| # taz.de -- Digitalfirmen und Nachhaltigkeit: „Treiber beim Energiehunger“ | |
| > Digitale Technologien könnten grün sein – sind es aber oft nicht. Eine | |
| > Studie zeigt, welchen Beitrag die Digitalisierung beim Klimaschutz | |
| > leisten könnte. | |
| Bild: Der Energieverbrauch von Google-Mutterkonzern Alphabet hat sich in fünf … | |
| Berlin taz | Knappe Metalle für Akkus, Elektronikgeräte, die schon kurz | |
| nach dem Kauf veraltet sind – und dann der ganze Stromverbrauch für | |
| Streaming, Cloud-Dienste, Bitcoin-Mining. Dazu das zusätzliche Licht durch | |
| immer mehr Bildschirme und digitale Werbeflächen, und Müllberge voller | |
| alter und ungenutzter Ladekabel. Nein, die digitalen Aspekte des Lebens | |
| taugen häufig nicht als Positivbeispiel in Sachen Nachhaltigkeit. | |
| Forscher:innen aus unterschiedlichen Fachbereichen von Nachhaltigkeit | |
| über Mobilität und Soziologie bis hin zu Informatik legen daher nun mit | |
| einer Studie ein Konzept für einen „Digitalen Neustart“ vor. „Wir sehen … | |
| der Digitalisierung zu viel Innovation als Selbstzweck und zu wenig | |
| Lösungen für Probleme“, sagt Dorothea Kleine, die als Professorin an der | |
| Universität Sheffield zur Digitalisierung forscht und eine der | |
| Neustart-Autor:innen ist, bei der Vorstellung. | |
| Zwei Jahre an Forschung haben die Autor:innen in die Studie gesteckt, | |
| und formulieren nun eine zentrale Frage für [1][eine digitale und | |
| nachhaltige Transformation]: „Wie können digitale Technologien so gesteuert | |
| werden, dass sie Nachhaltigkeitsherausforderungen lösen und gleichzeitig | |
| neue Probleme vermeiden?“ Ziel müsse es sein, ein „menschenwürdiges Leben | |
| für alle Menschen innerhalb der planetaren Grenzen“ zu schaffen. Planetare | |
| Belastungsgrenzen, das sind etwa der Süßwasserverbrauch, das Ozonloch und | |
| die Klimakrise. Wird der Schaden in einzelnen Bereichen zu groß und | |
| irreversibel, kann das die Lebensgrundlagen der Menschheit in Gefahr | |
| bringen. | |
| Vor allem der Lebensstil der Menschen in den industrialisierten Ländern | |
| belastet den Planeten über Gebühr – und daran hat auch die Nutzung | |
| digitaler Technologien einen Anteil. Ein Mensch in Deutschland verursacht | |
| im Schnitt gut 11 Tonnen CO2-äquivalente Emissionen im Jahr. | |
| Klimaverträglich wären 2 Tonnen. Das Öko-Institut hat vor zwei Jahren einen | |
| CO2-Fußabdruck des digitalen Lebens errechnet. Die Nutzung von Fernseher, | |
| Smartphone und Sprachassistenten ist ebenso darin wie Videostreaming, die | |
| Verwendung von Cloud-Diensten und Social Media. Und auch wenn das beim | |
| Überschlagen der eigenen Ökobilanz gerne vergessen wird: die Emissionen für | |
| die Herstellung etwa von Smartphones und Laptops. Auf 849 Kilogramm CO2 pro | |
| Person und Jahr kamen die Forscher:innen schließlich. Knapp die Hälfte | |
| davon geht alleine auf die Geräteherstellung zurück. | |
| ## „Zu stark am intensiven Konsum ausgerichtet“ | |
| Aber der individuelle Verbrauch ist nur eine Sichtweise auf das Problem. | |
| „Big Tech ist der Treiber beim Energiehunger“, sagt Tilman Santarius, | |
| Professor für Sozial-ökologische Transformation und nachhaltige | |
| Digitalisierung an der TU Berlin und ebenfalls einer der Autor:innen. So | |
| habe sich etwa der Energieverbrauch von Alphabet, wozu unter anderem Google | |
| und Youtube gehören, und Meta, Mutter von Facebook und Whatsapp, in den | |
| vergangenen 5 Jahren verdreifacht – linear zum Umsatz. Die Herstellung und | |
| Nutzung digitaler Geräte und Dienste mache aktuell rund 8 bis 10 Prozent | |
| der weltweiten Stromnachfrage aus. „Die [2][Geschäftsmodelle sind zu stark | |
| am intensiven Konsum] ausgerichtet“, kritisiert Santarius. Würde die | |
| gesamte Techindustrie so handeln wie Alphabet und Meta, dann sei es nicht | |
| einmal möglich, die globale Erhitzung auf 2 Grad zu begrenzen. | |
| „Wir müssen weg von Überkonsum und Wachstumsfixierung“, sagt | |
| Wissenschaftlerin Kleine. Denn auch wenn die Digitalisierung positive | |
| Effekte in Sachen Nachhaltigkeit haben kann – tendenziell sind sie laut den | |
| Autor:innen der Neustart-Studie seltener. Beispiel Landwirtschaft: Hier | |
| sollen digitale Anwendungen etwa dazu beitragen, gezielt und damit weniger | |
| zu düngen oder Pestizide zu nutzen. Precision Farming heißt das Schlagwort. | |
| In der Praxis werde der Pestizideinsatz aber nur geringfügig reduziert. | |
| Dass positive Effekte digitaler Technologien möglich sind, zeigt eine | |
| Studie, die das Borderstep-Institut im Februar veröffentlichte. Zum Thema | |
| Dienstreisen und Videokonferenzen prognostizieren die Autor:innen hier, | |
| dass die durch die Pandemie entstandene Verschiebung zumindest zum Teil | |
| beibehalten wird. Sie rechnen dabei mit einem Rückgang des durch | |
| Dienstreisen bedingten Verkehrs um 25 Prozent und mit 3 Millionen Tonnen | |
| CO2-Äquivalenten pro Jahr weniger. | |
| ## Weg vom privaten Pkw | |
| Die Neustart-Autor:innen formulieren für sechs Lebensbereiche von Wohnen | |
| über Energie bis hin zum Konsum im Detail, was sich ändern müsse. | |
| Veranschaulichen lässt sich das beispielsweise am Neustart-Programm für den | |
| Bereich Mobilität. „Die aktuellen Verkehrssysteme sind denkbar | |
| unnachhaltig“, kritisieren die Autor:innen. Sie müssten daher schleunigst | |
| reformiert werden: hin zu Bussen und Bahnen, die keine Emissionen und keine | |
| Luftverschmutzung verursachen, die ressourcenschonend sind und deren | |
| Nutzung inklusiv, erschwinglich, sicher und komfortabel ist. Im Einzelnen | |
| heiße das unter anderem: Weg vom privaten Pkw, hin zu elektrisch und mit | |
| Ökostrom betriebenen Bussen und Bahnen, Wasserstoffantrieb bei Lkws. | |
| Subventionen für nachhaltige Verkehrsmittel statt für Autos. | |
| Dort, wo Mobilität Daten generiert, sollten Transparenz, Datensouveränität | |
| der Nutzer:innen und Open Source Standard sein. Das wäre auch für den | |
| Logistiksektor relevant, wo wenige große Unternehmen den Markt dominieren | |
| und nicht immer die nachhaltigste Lösung anbieten. Mobilitätsplattformen, | |
| etwa für Ride-Sharing oder Essenslieferungen, sollten faire Löhne zahlen, | |
| Arbeitnehmer:innenrechte respektieren und auch einen | |
| gesellschaftlichen Beitrag leisten, etwa beim Transport | |
| mobilitätseingeschränkter Personen helfen. „Wenn sie richtig konfiguriert | |
| und verwaltet werden, können Mobilitätsplattformen die ökologische und | |
| soziale Nachhaltigkeit fördern“, schlussfolgern die Autor:innen. | |
| Diese Maßnahmen sind nur ein Ausschnitt dessen, was für den Bereich | |
| Mobilität vorgeschlagen wird. Hochgerechnet auf fünf weitere Sektoren – | |
| Industrie, Landwirtschaft, Wohnen, Energie und Konsum – ist der Aufwand für | |
| den Gesetzgeber erheblich. Das sehen auch die Neustart-Autor:innen und | |
| folgern: „Je früher die Weichen neu gestellt werden, desto höher ist die | |
| Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Neuausrichtung.“ | |
| ## Recht auf Reparatur | |
| Politisch dürfte dabei vor allem folgendes zentrale Ziel der Studie | |
| anecken, das Santarius bei der Vorstellung folgendermaßen formuliert: „Der | |
| Zweck der Digitalisierung muss sich den Nachhaltigkeitszielen unterordnen.“ | |
| Momentan werden digitale Anwendungen von politischer Seite für zahlreiche | |
| Zwecke vorangetrieben: zur Effizienzsteigerung im Gesundheitssystem | |
| beispielsweise, zu Überwachungszwecken im Bereich Kriminalitätsbekämpfung, | |
| oder um im globalen industriellen Wettbewerb vorne mitzuspielen, etwa bei | |
| künstlicher Intelligenz. Nachhaltigkeitsziele sind vergleichsweise selten | |
| dabei. Auch an anderen Stellen werden sie nicht mitgedacht, etwa als die EU | |
| kürzlich mehrere umfangreiche Gesetzespakete zur Plattformregulierung | |
| beschloss. Bei derartigen Vorhaben, fordert Santarius, müsse Nachhaltigkeit | |
| immer ein Teil sein. | |
| Für viele Nutzer:innen vor allem in den Industrieländern wäre dagegen | |
| ein anderes Ziel gewöhnungsbedürftig: Suffizienz. Also: Deutlich weniger | |
| Geräte verwenden, diese lange nutzen und reparieren. Die Autor:innen | |
| sprechen hier von „genügsamkeitsorientierten Lebensstilen“. Santarius gibt | |
| der Politik in diesem Zusammenhang schon mal ein erstes, ganz konkretes | |
| Ziel mit: ein Recht auf Reparatur. Das sei eine sehr kurzfristig umsetzbare | |
| Maßnahme, um signifikant Ressourcen und Energie einzusparen. | |
| Im Koalitionsvertrag ist ein solches Recht auch schon vereinbart. Eine | |
| Anfrage der taz zum aktuellen Stand hat das Bundesumweltministerium bis | |
| Redaktionsschluss nicht beantwortet. Im letzten Entlastungspaket fand sich, | |
| entgegen der Hoffnung von Umweltschützer:innen, kein Bonus für Menschen, | |
| die ihre Elektronikgeräte reparieren lassen – ein Konzept, das etwa in | |
| Thüringen und Österreich schon praktiziert wird. | |
| 3 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Svenja Bergt | |
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