# taz.de -- Synagoge bekommt neuen Davidstern: Die Sternstunde von Görlitz | |
> Gut 80 Jahre nach dem NS-Pogrom bekommt die Synagoge in Görlitz wieder | |
> einen Davidstern. Als nächstes soll auch die Thora-Rolle zurückkehren. | |
Bild: Ein 600 Kilogramm schwerer Davidstern hängt an einem Kran und wird auf d… | |
BERLIN/GÖRLITZ taz | Die letzte Hürde ist nur noch das Wetter. Ruhige | |
Windverhältnisse vorausgesetzt, wird am Montag um 12 Uhr ein Kran den | |
Davidstern, Symbol jüdischen Glaubens, wieder auf die Spitze der | |
[1][Görlitzer Synagoge] hieven, wo er vor fast 84 Jahren herabstürzte. | |
Obwohl die Inneneinrichtung der Synagoge in der Reichspogromnacht am 9. | |
November 1938 zum Teil vernichtet wurde, blieb das Gebäude selbst | |
weitgehend unbeschadet. Den Brand hatten Feuerwehrleute gelöscht. | |
Doch am nächsten Morgen waren Unbekannte auf das Dach geklettert und hatten | |
den Stern abgehackt. Er fiel auf die Straße und wurde unter dem Beifall von | |
Umstehenden zertrümmert. Die Görlitzer Nachrichten frohlockten, „dass nun | |
endlich der Davidstern verschwunden ist, der bisher als Fremdling das | |
Stadtbild unserer aufragenden Türme störte“. | |
Nun ist er wieder da. Ein neuer, 600 Kilogramm schwerer Stern wird die | |
Görlitzer Silhouette bereichern. Die Synagoge wurde bereits am 12. Juli | |
2021 nach aufwändiger Rekonstruktion, in die 12,6 Millionen Euro flossen, | |
[2][als Kulturforum wiedereröffnet]. Was auffiel: Obwohl selbst | |
Lichtschalter rekonstruiert wurden, war ein neuer Davidstern nicht | |
vorgesehen. | |
Warum so geplant wurde, dazu gab es verschiedene Versionen. Weil die | |
Erinnerung an die Schändung damit offengehalten werden sollte, lautete die | |
eine. Weil es die Jüdische Gemeinde Dresden als Rechtsnachfolgerin der | |
Görlitzer Gemeinde so empfohlen habe, da das Haus nicht mehr als Synagoge | |
konzipiert sei, lautete eine andere. Wirklich schlüssig wirkte beides | |
nicht. | |
## Bürgermeister und Stadtrat einstimmig für den Davidstern | |
„Setzt den Davidstern wieder auf die Synagoge!“, forderte daher im Juli | |
2020 der Förderkreis Görlitzer Synagoge, der den Wiederaufbau begleitete. | |
Der Appell führte im Rathaus zum Umdenken. [3][Octavian Ursu], seit 2019 | |
Oberbürgermeister mit CDU-Parteibuch, sprach sich, anders als einer seiner | |
Vorgänger, vehement für den Stern aus. | |
Doch die Verhältnisse im Stadtrat waren kompliziert, da die AfD seit der | |
Kommunalwahl 2019 mit 13 Sitzen die größte Fraktion stellt. Allerdings | |
unterstützten auch die Görlitzer Rechtsaußen das Vorhaben demonstrativ und | |
so sprach sich der Stadtrat im Februar 2021 einstimmig für Wiedererrichtung | |
des Sterns aus. Das Vorhaben sollte mit Spenden finanziert werden. | |
Und die Spenden dafür kamen 2021 schneller zusammen als erwartet, denn | |
inzwischen regt sich wieder jüdisches Leben in Görlitz. „Mitglieder und | |
auch Freunde der Jüdischen Gemeinde“, so betont Alex Jacobowitz, | |
überreichten der Stadt eine Spende von 70.000 Euro. | |
Jacobowitz, 1960 in New York geboren, ist Vorsitzender der Jüdischen | |
Gemeinde, eines Vereins mit 28 Mitgliedern. Dazu kamen weitere 11.000 Euro, | |
die in der Stadt und außerhalb eingeworben wurden. Das Rathaus beauftragte | |
daraufhin einen Metallbauer aus dem Görlitzer Umland, einen Davidstern | |
herzustellen. | |
## Auch die Thora soll zurückkehren | |
Im August 2021 feierte Jacobowitz mit fast vierzig Gästen in der Synagoge | |
den ersten Gottesdienst nach der Schändung. Am Montag dürfte ein weiterer | |
Festakt hinzukommen. In seinem Aufruf 2020 hatte der Förderkreis betont, | |
dass der Stern auch Ausdruck dafür wäre, dass jüdisches Leben willkommen | |
sei. Zur offiziellen Feierstunde lädt das Rathaus am 9. November in die | |
Synagoge ein. | |
Für Alex Jacobowitz ist damit der Wiederaufbau nicht vollendet. Im Dezember | |
2021 waren Fragmente einer Görlitzer Thora, die seit der Pogromnacht als | |
verschollen galt, [4][in der Stadt aufgetaucht]. Inzwischen hat Jacobowitz | |
bei einem sächsischen Trödler eine weitere Thora erworben. Seine Idee: In | |
diese Rollen die Görlitzer Fragmente einzufügen, um die Synagoge wieder | |
dauerhaft mit einer Thora auszustatten. Jüdisches Leben ist in Görlitz | |
willkommen. Davon kündet von nun an der Stern. | |
12 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Juedische-Gemeinde-in-Sachsen/!5780840 | |
[2] /Juedische-Gemeinde-in-Sachsen/!5780840 | |
[3] /Kommentar-OB-Wahl-in-Goerlitz/!5603198 | |
[4] /Wiedergefundene-Thora-Rolle-von-Goerlitz/!5825103 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
## TAGS | |
Görlitz | |
Judentum | |
Jüdisches Leben | |
Sachsen | |
Synagoge | |
GNS | |
NS-Dokumentationszentrum | |
Reisen in Europa | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Sachsen | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Marian Offman über Antisemitismus: „Ich stehe auf ihren Todeslisten“ | |
Deutsch zu sein und zugleich jüdisch, kann das gutgehen? Das fragt sich | |
Marian Offman, früherer jüdischer Stadtrat in München, in seinem ersten | |
Roman. | |
Suche nach Identität: Zeitreise ins jüdische Polen | |
Vor rund 100 Jahren reiste der Schriftsteller Alfred Döblin nach Warschau, | |
Lublin, Krakau, Lodz. Auch auf der Suche nach seiner jüdischen Identität. | |
Jüdische Spuren in Detmold: Wenn eine Synagoge zerfällt | |
In Detmold droht einem historischen Bethaus der Abriss. Ein Anwalt der | |
rechten Szene will es durch Parkplätze ersetzen lassen. | |
Wiedergefundene Thora-Rolle von Görlitz: Christliche Freude, jüdische Tränen | |
83 Jahre lang waren die Thora-Rollen verschwunden. Nun sind Fragmente | |
aufgetaucht. Aber Juden hat man zur Präsentation nicht eingeladen. | |
Jüdische Gemeinde in Sachsen: Davidstern am Himmel von Görlitz | |
In der sächsischen Stadt erwacht das jüdische Leben erneut. Nach 30 Jahren | |
Sanierung wird die Synagoge als Kulturforum wiedereröffnet. |