# taz.de -- Jüdische Spuren in Detmold: Wenn eine Synagoge zerfällt | |
> In Detmold droht einem historischen Bethaus der Abriss. Ein Anwalt der | |
> rechten Szene will es durch Parkplätze ersetzen lassen. | |
Bild: Extrem gefährdet: historische Synagoge in Detmold | |
DETMOLD taz | Die Stadt [1][Detmold am Teutoburger Wald] ist ein beliebtes | |
Touristenziel. Das nationalistische, nach dem Deutsch-Französischen Krieg | |
errichtete [2][Hermannsdenkmal] ist eine ihrer Hauptattraktionen, das 120 | |
historische Gebäude umfassende Freilichtmuseum eine weitere, und | |
schließlich gibt es da noch die pittoreske Altstadt mit ihren schmucken, | |
Jahrhunderte alten Fachwerkhäusern. Detmold ist merklich stolz auf seine | |
Geschichte und präsentiert sich als weltoffene Kulturstadt. | |
Kaum sichtbar allerdings ist die bis auf das Spätmittelalter | |
zurückreichende jüdische Geschichte des Orts. Wie in vielen deutschen | |
Städten wurden auch die Detmolder Juden im frühen 17. Jahrhundert | |
vertrieben, aber nach dem Dreißigjährigen Krieg siedelten sich rasch wieder | |
erste Familien an. Obwohl die Geleit- und Schutzbriefe zunächst nur | |
temporär gültig und mit hohen Abgaben verbunden waren, beantragte die | |
jüdische Gemeinde bereits 1652 die Einrichtung eines eigenen Friedhofs. | |
Seit 1670 erlaubte Graf Simon Heinrich den Juden offiziell wieder die | |
Abhaltung von Gottesdiensten, es muss einen kleinen Betraum gegeben haben. | |
Viel wissen wir zwar nicht über diese Zeit des jüdischen Gemeindelebens in | |
der Residenzstadt, aber im Jahr 1742 war die bestehende Synagoge offenbar | |
für die etwa 18 jüdischen Familien des Orts zu klein geworden. Die Gemeinde | |
mietete eine umgebaute Fachwerkscheune an, die von nun an und bis ins 20. | |
Jahrhundert als Synagoge fungierte. | |
All das ist zwar der historischen Forschung seit Langem bekannt, die | |
meisten Detmolder Bürgerinnen und Bürger dürften über diesen Aspekt ihrer | |
Stadtgeschichte aber kaum etwas wissen. Obwohl es seit Jahrzehnten | |
zivilgesellschaftliche Initiativen gibt, die die Spuren jüdischen Lebens in | |
der Stadt wieder ins Bewusstsein rücken wollen, ist es auch heute noch | |
problemlos möglich, in Detmold zu leben, ohne von diesem jüdischen Erbe je | |
etwas mitzubekommen. | |
## Versteckt im Hinterhof | |
Etwas versteckt im Hinterhof einer kleinen Einkaufspassage befindet sich | |
zwar ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus, und wo einst die in | |
der Reichspogromnacht zerstörte, 1907 eröffnete prächtige Reformsynagoge | |
stand, ist heute eine Gedenktafel angebracht. Aber man muss schon sehr | |
aufmerksam durch die Straßen schlendern, um etwa die hebräische Inschrift | |
am einstigen Vorsängerhaus in der Exterstraße zu entdecken oder die | |
Gedenkplakette für den berühmtesten jüdischen Sohn der Stadt, den | |
Philologen Leopold Zunz. | |
Noch unscheinbarer ist ein kleines, vom Zerfall bedrohtes Fachwerkhäuschen | |
in der Bruchmauerstraße, das vor 1742 als Synagoge der Gemeinde fungierte. | |
1633 möglicherweise bereits als Bethaus errichtet, handelt es sich um eine | |
der ältesten nachgewiesenen Synagogen in Norddeutschland. | |
Schülerinnen und Schüler des örtlichen Grabbe-Gymnasiums haben vergangenes | |
Jahr eine digitale Stadtführung „[3][Jüdische Spuren in Detmold]“ | |
entwickelt und im Zuge dieses Projekts direkt gegenüber dem Bethaus an der | |
alten Stadtmauer Informationsbanner angebracht, die auf die Geschichte | |
des Gebäudes hinweisen. Aber kaum jemand verirrt sich hierher. Und so | |
erregt es bislang auch wenig Aufsehen, dass der Rechtsanwalt Hendrik | |
Schnelle, dem das Gebäude gehört, seit Jahren versucht, dieses Denkmal | |
jüdischen Lebens abreißen und stattdessen Parkplätze bauen zu lassen. Ein | |
„Schandfleck im Stadtbild“ sei die ehemalige Synagoge, sagte er der | |
Lippischen Landeszeitung. | |
Tatsächlich ist der Anblick der maroden Holzfassade mit den zugenagelten | |
Fenstern wenig erbaulich. Doch die umliegenden, hübsch restaurierten | |
Fachwerkhäuser in der Nachbarschaft zeigen, dass sich an dem Zustand des | |
historischen Gebäudes mit ein wenig gutem Willen und öffentlichen Mitteln | |
durchaus etwas machen ließe. Die [4][Jüdische Gemeinde Herford-Detmold] | |
sähe am liebsten eine Begegnungsstätte oder ein kleines Museum in dem | |
Gebäude untergebracht, wie der Vorsitzende Matitjahu Kellig berichtet. | |
Zweifellos ließe sich an diesem Ort die faszinierende Geschichte der | |
lippischen Juden gut erzählen – eine Geschichte zwischen urbanem und | |
dörflichem Raum, eine Geschichte von Tradition und Moderne in der Provinz, | |
eine Geschichte auch der jüdisch-christlichen Nachbarschaft. | |
## Die Stadt will kaufen | |
Doch der Plan, in der einstigen Synagoge die jüdische Geschichte Detmolds | |
zu vermitteln, scheint auf absehbare Zeit nicht realisierbar zu sein. Zwar | |
will die Stadt das Gebäude kaufen und hat dem Eigentümer auch ein | |
marktgerechtes Angebot unterbreitet, wie Pressesprecher Marius Roll betont, | |
aber Schnelle beharrt auf seiner Parkplatzidee. Immer wieder zieht er vor | |
Gericht, um den Abriss des denkmalgeschützten Gebäudes einzuklagen. Zuletzt | |
war es das Verwaltungsgericht in Minden, das seinen Antrag ablehnte, doch | |
Schnelle, der sich vor Gericht selbst vertritt, will zur Not bis zum | |
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ziehen, wie er in | |
einer Mitteilung verkündete. Offenbar lässt ihm das Thema keine Ruhe. | |
Wer etwas genauer hinschaut, ahnt warum. Schnelle tummelt sich seit | |
mindestens zwei Jahrzehnten in der rechten Szene. 2002 wurde er vom | |
Landgericht Detmold wegen Volksverhetzung verurteilt, weil er öffentlich | |
gefordert hatte, Homosexuelle zu „vergasen wie damals die Juden“. Seither | |
tritt er immer wieder als Szeneanwalt in Erscheinung, leistete etwa | |
[5][Beate Zschäpes Brieffreund Robin S.] und dem [6][rechtsextremen | |
Youtuber Tim K.] vor Gericht juristischen Beistand. Schnelle stellte den | |
ersten Antrag auf Abriss zwar bevor die historische Bedeutung des Gebäudes | |
bekannt war, das lange Zeit fälschlich für ein Gartenhaus aus dem Jahr 1770 | |
gehalten wurde, aber dass er nach den Erkenntnissen der Baudenkmalbehörden | |
weiter an seinem Vorhaben festhält, wirft zumindest Fragen auf. | |
Ob Schnelle mit seinen Plänen zur Zerstörung eines einzigartigen | |
historischen Denkmals Erfolg haben wird, ist nicht entschieden. Die lokalen | |
Medien berichten zwar über den Fall, doch eine größere öffentliche Debatte | |
ist bislang ausgeblieben. | |
Die Stadt betont weiterhin, das Gebäude kaufen zu wollen, aber die | |
Verhandlungen liegen auf Eis. Könnten die strikten Auflagen zur Erhaltung | |
historischer Gebäude ein Hebel sein, um den Eigentümer entweder zum Verkauf | |
oder zur Sanierung zu zwingen? | |
Alle zwei, drei Monate schaue das Denkmalamt nach dem rechten, lässt die | |
Stadt wissen, aber es sei da wenig zu machen. Nicht einmal das | |
Privatgelände, das Schnelle videoüberwachen lässt, dürfen die Beamten | |
eigentlich betreten. Als es für jeden erkennbar durch die kaputten Fenster | |
und das Dach in das Gebäude regnete, ließ Schnelle zwar die Fenster | |
notdürftig mit Brettern zunageln, aber Bestandsschutz im eigentlichen Sinne | |
leistet er nicht. Eines steht fest: Je länger der Streit sich hinzieht, | |
desto mehr verfällt das alte Bethaus. Matitjahu Kellig warnt: „Das Gebäude | |
könnte jederzeit zusammenstürzen, wenn einmal ein Sturm oder ein heftiges | |
Gewitter aufzieht.“ | |
## Es gibt Widerstände | |
Deshalb gelte es nun, schnell zu handeln und den Erhalt der ehemaligen | |
Synagoge langfristig zu sichern. Als engagierter Bürger setzt sich Kellig, | |
passionierter Konzertpianist und emeritierter Professor der Musikhochschule | |
der Stadt, für dieses Ziel ein. Er kennt Detmold gut, lebt seit 30 Jahren | |
hier, ist angesehen und bestens vernetzt. Er weiß, dass er zwar nicht | |
allein ist mit seiner Sorge, dass es aber auch Widerstände gibt. | |
Vor einigen Jahren attackierte ihn der Neonazi Sascha Krolzig von der | |
Partei Die Rechte öffentlich als „frechen Judenfunktionär“. Krolzig wurde | |
wegen Volksverhetzung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung | |
verurteilt, doch Kellig wurde trotzdem weiterhin so massiv bedroht, dass er | |
eine Zeit lang unter Polizeischutz stand. All das hat ihn verändert, sagt | |
er, aber zugleich bestärken ihn die Anfeindungen auch in seiner Haltung. | |
Der Erhalt der ehemaligen Synagoge und ihre Umwidmung zur Begegnungsstätte | |
würden ihn glücklich machen, verrät er. | |
Doch ob es dazu kommt, hängt auch vom öffentlichen Interesse ab. Marius | |
Roll von der Stadt Detmold freut sich über die Berichterstattung, ihm ist | |
der momentane Zustand des historischen Gebäudes peinlich. Was sollen | |
israelische Touristen denken, wenn sie in Detmold zu Besuch sind und | |
erfahren, dass so mit dem jüdischen Kulturerbe umgegangen wird? Dass diese | |
möglicherweise die richtigen Schlüsse ziehen könnten, dass nämlich die | |
Spuren jüdischen Lebens in Detmold noch immer nicht die Aufmerksamkeit | |
erhalten, die sie verdienen, will Roll nicht akzeptieren. Die Zukunft wird | |
zeigen, was mit dem historischen Synagogengebäude passiert – es ist ein | |
Wettlauf gegen die Zeit. | |
9 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.detmold.de/startseite/?no_cache=1 | |
[2] https://www.hermannsdenkmal.de/ | |
[3] https://storymaps.arcgis.com/stories/c71f4d1dc5b143e6a88210a4f974d050 | |
[4] https://jg-hf-dt.de/ | |
[5] /NSU-Prozess-am-OLG-Muenchen/!5340232 | |
[6] /Beleidigungen-gegen-Sawsan-Chebli/!5664035 | |
## AUTOREN | |
Philipp Lenhard | |
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