# taz.de -- Parlamentswahl in Schweden: Bullerbü war immer nur Fantasie | |
> Der Erfolg der Schwedendemokraten bei der Parlamentswahl wird mit Sorge | |
> beobachtet. Doch ob sie etwas zu melden haben werden, ist ungewiss. | |
Bild: Wer an Schweden denkt, landet ziemlich schnell an roten Holzhäuschen in … | |
Mythen haben es an sich, dass ihre Widerlegung meist scheitert. | |
Oktoberfest, Rüdesheimer Drosselgasse und Berliner Mauer: Bei Touristen, | |
die Deutschland mal besuchen wollen, kann man nicht punkten, sagt man, es | |
gebe hierzulande noch mehr als diese seltsamen Orte. Wer an Schweden denkt, | |
in grünalternativen Kreisen und über sie weit hinaus, kommt in der Fantasie | |
vielleicht auf die Geschichten Astrid Lindgrens, auf Wälder, falunrote | |
Häuser, Ikea und natürlich auch Abba und Königin Silvia. | |
Dieses Land wird nun mit einem [1][skrupelarmen liberalkonservativen | |
Politiker namens Ulf Kristersson] einen Ministerpräsidenten bekommen, der | |
sich mit unverhohlener Ansage von einer aus Nazistoff erwachsenen Partei, | |
den Schwedendemokraten, mindestens dulden lassen will. Das scheint diesem | |
Phantasma, Schweden sei seit hundert Jahren ein Land sozialdemokratisch | |
gefärbten Einvernehmens, zu widersprechen. | |
Wahr ist nur: Der bürgerliche Block um Kristersson hätte auf alle | |
Ewigkeiten [2][keine Chance gegen den sozial-links-liberalen Block] mit den | |
Sozialdemokraten an der Spitze, er musste insofern ein politisches Risiko | |
eingehen. Das tat er, indem er, der politische Dauerwendehals, transparent | |
machte, sich von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten wählen zu | |
lassen. | |
Zumal diese keine Naziformation mehr ist, wie einst, als sie ihre | |
Popularität in den achtziger Jahren zunächst an der südschwedischen Küste | |
um Karlskrona zu nähren begann. Was die Rechtspopulisten eint, ist der | |
Glaube, man müsse die Migration zurückschrauben, man brauche viel mehr Geld | |
im Staatshaushalt, um Migrant*innen – und gar kriminelle Schweden mit | |
Migrationshintergrund – wieder aus dem Land zu schaffen, man brauche | |
weniger Queeres im Fernsehen und möge ein Land wie in den seligen | |
Sechzigern wiederbegründen. | |
## Desaströses Wahlergebnis | |
Noch wahrer ist: [3][Kristersson und seine Parteien] fuhren, abgesehen von | |
ihren schwedendemokratischen Alliierten, ein desaströses Wahlresultat ein, | |
im Land wie bei den gleichzeitig abgehaltenen Kommunal- und Gemeindewahlen. | |
Sieger sind eigentlich die Sozialdemokraten mit der zurückgetretenen | |
Ministerpräsidentin Magdalena Andersson der Spitze – und natürlich nämliche | |
Schwedendemokraten. Die sind nun zweitstärkste Kraft im Stockholmer | |
Riksdag, hinter den ihnen verhassten Sozialdemokraten, aber noch vor den | |
Moderaten, wie die Partei Kristerssons heißt. | |
Kurzum: Was Kristersson nun realisieren wird, ist etwas, was auch der | |
Hamburger CDU-Politiker Ole von Beust 2001 ins Werk setzte – trotz massiver | |
Verluste seiner Partei konnten er und die FDP die SPD und Grüne aus der | |
Regierung werfen, weil man in den Senat auch noch die Rechtspopulisten um | |
den früheren Richter Ronald Schill holte. Das geschah übrigens zum großen | |
finanziellen Schaden der Stadt – die in dieser Zeit unter anderem | |
Energiewerke und Grundstücke verkaufte. | |
Fast am wahrsten wird sein, dass Kristersson und seine Allianz die Polizei | |
im angeblich dann erfolgreicheren Kampf gegen sogenannte migrantische | |
Clankriminalität aufrüsten wird; dass er, darauf kommt es diesen Parteien | |
an, die Bildungspolitik mehr denn je auf Elitenrekrutierung und weniger auf | |
die Partizipation von Schüler*innen aus nichtprivilegierten Schichten | |
setzen wird. | |
Das neue Schweden, wie der liberalkonservative Politiker es erträumt, soll | |
leistungsbewusster und weniger sozialstaatlich sein. [4][Ob die | |
Schwedendemokraten] wirklich etwas zu melden haben werden, ist ungewiss, | |
sie sagen ja nur: Schweden zuerst! Sie werden aber nicht wirklich | |
gebraucht, ihr Politikangebot ist nicht mehrheitsfähig. | |
## Kein demographisches Arbeitskräfteprobleme | |
Am allerwahrsten ist indes, dass Bullerbü immer nur ein Fantasiedorf war; | |
dass das Land zukunftsfähig ist, weil es unter anderem mithilfe seiner | |
offenen Migrationspolitik die Einwohnerzahl seit 1970 um ein Viertel | |
gesteigert hat. Schweden hat eben kein demografisch begründetes | |
Arbeitskräfteproblem, so wie Deutschland, Frankreich und Italien. | |
Im Übrigen ist das politische Bekenntnis des „Schweden zuerst!“ nicht | |
rechtspopulistischer Provenienz, sondern stammt aus sozialdemokratischem | |
Regierungsgemüt. Ihre Flüchtlingspolitik während der Nazizeit war nur | |
ausnahmsweise freundlich deutschen Juden gegenüber; die Hilfen für | |
baltische Flüchtlinge, die vor den stalinistischen Imperatoren in den | |
vierziger Jahren flohen, waren rar: Schweden ist erst in jüngerer Zeit ein | |
einwanderungsfreundlicheres Land geworden. Und so wird es vermutlich | |
bleiben – die Grenzen zu schließen, wie im Ungarn Viktor Orbáns, schließen | |
die Liberalen und Christdemokraten in Kristerssons Allianz aus. | |
Gegen alle Mythen bleibt Tatsache, dass Schweden ohne die neuen, migrierten | |
Schweden kein funktionierendes Restaurantwesen hätte, keinen | |
Dienstleistungsbereich, der diesen Namen verdient – und ein Showbusiness, | |
das ohne die Helden und Heldinnen im Pop, die alle nicht wie einst Annika, | |
Lisa, Karlsson oder Bosse aussehen, keinen ästhetischen Weltanschluss | |
hätte. | |
16 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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