# taz.de -- Neiddebatte und Bürgergeld: Wer soll da noch arbeiten? | |
> Mit dem Bürgergeld soll es mehr Grundsicherung geben. Arbeitgeber empören | |
> sich. Unsere Freiheit wird schließlich auch auf dem Arbeitsamt | |
> verteidigt. | |
Bild: Die Neider der Reichen erblassen – ein Symbolbild | |
Das Wort „Neiddebatte“ fällt in Deutschland oft, aber zu Recht. Zum | |
Beispiel wenn es um die Hochzeit von Finanzminister Christian Lindner (FDP) | |
geht, die Menschen in Krisenzeiten als unangemessen pompös kritisierten. | |
Oder wenn diese Menschen vorher schon [1][die Erbschaftssteuer als zu | |
lasch] bemängelt haben. Vom niederen Gefühl des Neides zeugt auch, wenn | |
Menschen kritisieren, dass Energieunternehmen ohne Zutun von | |
kriegsbedingten Preissteigerungen profitieren. Sollen die Neider ihr scheiß | |
Gas doch selbst besorgen! | |
Natürlich hängt der gesellschaftliche Frieden in diesem Land auch davon ab, | |
dass der Finanzminister bei einer Inflationsrate von 7,5 Prozent mit Protz | |
heiraten darf; dass manche Kinder in Reichtum, andere in Armut geboren | |
werden; dass Unternehmen nicht nur Arbeitnehmer:innen, sondern auch die | |
Notsituation von Menschen ausbeuten dürfen. Unsere Freiheit wird eben | |
nicht nur in der Ukraine, sondern auch auf Sylt verteidigt. | |
Und auf dem [2][Arbeitsamt!] Ab 2023 soll es 502 statt wie bisher 449 Euro | |
Grundsicherung geben. Das beschloss das Bundeskabinett am Mittwoch mit dem | |
Bürgergeld. Leistungsempfänger:innen sollen in den ersten sechs | |
Monaten – außer bei Meldeversäumnissen – nicht mehr sanktioniert werden. | |
Danach sind Kürzungen von 30 Prozent erlaubt. Ein bisschen Vermögen und | |
eine größere Wohnung sind in den ersten beiden Jahren auch erlaubt. Wer | |
soll da noch arbeiten gehen? | |
## Unerschütterlicher Glaubenssatz | |
Was für ein Zivilisationsbruch, der von den zu längst überwunden geglaubten | |
sozialen Irrungen regredierenden Sozialdemokraten vorangetriebenen wurde. | |
Wäre er schon tot, würde sich Altkanzler Schröder im Grab umdrehen. „Es ist | |
kein Zeichen von Fairness und Respekt gegenüber den arbeitenden Menschen“, | |
kritisierte Arbeitgeberpräsident [3][Rainer Dulger] das geplante Bürgergeld | |
ganz selbstlos. Und Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands | |
des Deutschen Handwerks, sagte: „Es sorgt für Demotivation bei denjenigen, | |
die mit einem geringen Gehalt regulär arbeiten.“ | |
Der Ärger der Vertreter derer, die ihr Geld mit Anderearbeitenlassen | |
verdienen, ist verständlich: Dem Volk fehlt bald nicht mehr nur das Gas zum | |
Heizen und die Butter auf dem Brot, sondern auch die Motivation zur Arbeit. | |
Ein Schelm, wer in ihren Einlassungen Neid auf 53 Euro mehr Grundsicherung | |
erkennt. Während auch Unionspolitiker als parlamentarische Restvernunft | |
nörgeln, verteidigen SPD und Grüne das Unglaubliche entschuldigend. | |
Bürgergeld klinge doch nur besser als Hartz IV, der Fuffi gleiche | |
[4][höchstens die Inflation aus.] Und wenn das Bürgergeld so nah an die | |
Löhne komme, könnten die Anderearbeitenlasser [5][doch vernünftige Löhne | |
zahlen], lamentieren Gutmenschen. Warum sollten sie? Den Wert einer | |
Gesellschaft erkennt man schließlich daran, wie sie mit ihren Reichen | |
umgeht. Diesen Glaubenssatz kann in Deutschland selbst die engagierteste | |
Krisenpolitik nicht erschüttern. | |
16 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
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