# taz.de -- Generaldebatte im Bundestag: Vertauschte Rollen | |
> CDU-Chef Merz wirkte bei der Generaldebatte im Bundestag gebremst, der | |
> unterkühlte Kanzler entfesselt. Die AfD sehnt sich nach der Katastrophe. | |
Bild: Friedrich Merz spricht in der Generaldebatte zum Haushalt im Bundestag | |
BERLIN taz | Die Generaldebatte ist der Bierzeltmoment im Parlament. Es | |
geht, mehr als sonst, um Angriff und Rhetorik. Friedrich Merz hat als | |
Oppositionsführer die krachenden Attacke, die beißende Kritik an der | |
Regierung wieder auf Niveau gebracht. Doch am Mittwoch Morgen wirkt er erst | |
einmal etwas verhalten. Für den nicht ganz taufrischen Vorwurf, die | |
Scholz-Regierung liefere der Ukraine zu wenig schwere Waffen, zitiert er | |
sehr lange ein Zeitungsinterview mit Politikwissenschaftler Herfried | |
Münkler. Hatte der Kanzler nicht kürzlich vor einem Gepard-Panzer für die | |
Fotografen posiert? | |
Merz greift die offenen Flanken der Regierung an – da bietet sich die | |
Atomkraft überdeutlich an. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck, der | |
etwas zerknittert auf der Regierungsbank sitzt, hat sich angesichts der | |
Energiekrise [1][zum Reservebetrieb für zwei AKWs durchgerungen]. Sein | |
Koalitionspartner [2][FDP will die AKWs aber lieber gleich mehrere Jahre | |
länger] laufen lassen. Eine gespaltene Regierung – ein Geschenk für die | |
Opposition. | |
Merz beteuert, niemand wolle zurück zur Kernenergie – fordert aber, wie die | |
FDP, dass die drei AKWs, die „die sichersten der Welt“ seien, mit neuen | |
Brennstäben Jahre länger laufen. Nur der Reservebetrieb sei | |
unverantwortlich. „Stoppen Sie diesen Irrsinn, Herr Bundeskanzler“, ruft | |
der CDU-Mann am Ende – eine wohlgesetzte Klimax im Bierzeltmodus. Dass die | |
Atomkraft nur sechs Prozent der Stromproduktion in Deutschland ausmacht, | |
geht in diesem Trommelwirbel unter. | |
Insgesamt fehlt Merz Rede alles, was man sonst von ihm erwarten kann: die | |
spontane Zuspitzung, die überraschende Pointe, die originelle Bösartigkeit. | |
Auch der Seitenhieb auf Habeck, der sich nach dem unglücklichen Auftritt | |
bei „Maischberger“ als Hämeopfer geradezu anbietet, wirkt gesucht. Er nennt | |
Habeck „den Minister, dem man beim Denken zusehen kann“. | |
## Kein leichter Gegner | |
Olaf Scholz, bekanntlich nüchtern und technokratisch, liegt das | |
Bierzelthafte nicht. Der Kanzler betont, dass man das Nötige tue, Pipelines | |
und [3][LNG-Terminals] baue. Er verteidigt routiniert [4][das | |
Entlastungspaket]. So weit, so erwartbar. Dann aber stürzt er sich auf | |
Merz, als gäbe es kein Morgen. Die Regierung tut zu wenig? „Wir haben das | |
Problem schon gelöst, bevor Sie überhaupt verstanden haben, dass wir ein | |
Energieproblem haben!“, ruft er und schneidet mit dem Arm die Luft entzwei. | |
Diese fetzig-arrogante Formulierung gefällt Scholz so gut, dass er sie | |
glatt noch vier Mal wiederholt – was zu viel ist. | |
Die Union, so Scholz, sei zudem an dem Debakel schuld, weil sie die | |
Energiewende verschleppt und jedes Windrad verhindern wollte. Die CSU habe | |
„heroisch gegen Stromleitung in den Süden“ gekämpft. Das sind zwar die | |
Schlachten von gestern. Aber der Kanzler dreht damit die Rollen um: Der | |
Angegriffene wird zum Angreifer. | |
In Sachen Waffen und Ukraine verweist Scholz kühl auf US-Präsident Joe | |
Bidens nüchternen Text in der New York Times. Deutschland werde die Ukraine | |
so lange wie nötig mit Waffen versorgen, aber, ganz im Sinne Bidens, ohne | |
blindlings eine Eskalation zwischen Russland und der Nato zu riskieren. Der | |
transatlantische Gestus schützt. Merz Angriff wegen der schweren Waffen | |
verhallt geräuschlos. | |
Es ist ein Schlagabtausch mit vertauschten Positionen. Merz verhalten, der | |
Kanzler entfesselt. Das ist nur eine Momentaufnahme, verstärkt durch die | |
Erwartungshaltung, dass Merz ein blendender Redner ist, Scholz nicht. Aber | |
dieser Mittwochvormittag zeigt, dass es vorschnell ist, den Kanzler | |
abzuschreiben. Er ist kein leichter Gegner. | |
## „Steigbügelhalter“ russischer Propaganda | |
Und die Opposition? AfD-Fraktionschefin Alice Weidel sieht die | |
mittelständische Wirtschaft „vor dem Zusammenbruch“. Inflation und Krise, | |
so Weidel, „zerstören die bürgerliche Mittelschicht.“ Wenn man der | |
AfD-Chefin glaubt, ähnelt Deutschland 2022 dem von Hyperinflation und | |
Hunger gebeutelten Deutschland 1923. Ein Land vor dem Abgrund, nun | |
zertrümmert von grünen Ideologen, die die Wirtschaft ruinieren, | |
Staatsfinanzen sowieso. Es ist die übliche Mixtur aus [5][Neoliberalismus, | |
Putin-Fantum und Klimaleugnerei]. Aber auch für AfD-Verhältnisse bizarr. | |
Die Rechtsextremen spekulieren mit dieser überbordenden | |
Katastrophenrhetorik darauf, die Krise in einen Energieschub für sich | |
selbst zu verwandeln. Der grüne Andreas Audretsch attestiert Weidel und | |
Tino Chrupalla, in dessen Rede Putin als Opfer westlicher Sanktionen | |
erscheint, später „Steigbügelhalter für russische Propaganda“ zu sein. | |
Die Linkspartei hat es im Schatten von AfD, Scholz und Merz nicht leicht, | |
überhaupt sichtbar zu werden. Fraktionschefin Amira Mohamed Ali fordert, | |
wie üblich, das Ende der Schuldenbremse, eine Vermögenssteuer, mehr Geld | |
für Arme. Und sie garniert diesen überraschungsfreien Katalog mit einer | |
sterilen Empörungsvokabel. Das Entlastungspaket sei „eine Frechheit“ und | |
„ein Witz“ Es ist ein lustloser, bemühter Auftritt, von dem kaum etwas | |
hängen bleibt. So wird die Linkspartei den sozialen Protest nicht | |
kanalisieren können. | |
7 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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