Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Populistische Erzählungen in der Politik: Das Ende der Wahrhaftigk…
> Neben Vertrauen und Glaubwürdigkeit braucht es in einer Demokratie vor
> allem Wahrhaftigkeit. Dass einem auch mal der Kragen platzt, kann nicht
> schaden.
Bild: Wieder mal brennt der Wald bei Jüterbog
In Jüterbog südlich von Berlin [1][brennt mal wieder der Wald], die AfD
fährt Umfragerekorde ein und der rot angelaufene Kopf des [2][Kanzlers in
Falkensee] wird von vielen gleichsam als emotionales Wunder gefeiert. Diese
drei Ereignisse haben mehr miteinander zu tun, als es auf den ersten Blick
den Anschein erweckt. Bevor ich das auflösen kann, braucht es jedoch einen
Ausflug ins politische Föjetong!
Ist Wahrhaftigkeit in einer Demokratie, neben Vertrauen und
Glaubwürdigkeit, nicht die wichtigste Voraussetzung für gelungene
Parteipolitik, gar Grundlage für die anderen beiden? Und sind nicht alle
drei zusammen der entscheidende Impuls für die Stimmabgabe zugunsten einer
Partei? Warum verhalten sich derzeit dann relevante politische Akteure so
vorsätzlich demokratiegefährdend?
Bis auf die AfD stagnieren oder sinken die Werte aller im Bundestag
vertretenen Parteien. Je mehr man die radikal Rechten imitiere, desto
stärker mache man sie. Darin ist sich das Gros der Wissenschaft einig.
Willkommen im derzeitigen Höhenrausch der AfD! Beim Umgang mit den Rechten
erinnern mich Teile fast aller Parteien an Viehbauern, die – weil sie den
Wolf so sehr fürchten – ihre Herde nicht etwa durch eine besonders clevere
Zaunanlage sichern, sondern sich in Sicherheit wähnen, indem sie ihre
Schafe kurzerhand selbst reißen.
Zwei Beispiele für einen möglichen Ausweg: Die Pläne für eine
[3][gemeinsame Asylpolitik der EU] erinnern an den sogenannten
Asylkompromiss, den der Bundestag vor dreißig Jahren nach langer,
hemmungsloser Auseinandersetzung verabschiedete. Mit der
Drittstaatenregelung hatte sich Deutschland damals zunächst de facto
komplett abgeschottet. Der Rest ist Geschichte, die Menschen kamen
trotzdem, nicht erst 2015.
## Bessere Lösung wäre möglich
Man glaubt es kaum, aber eine bessere Lösung wäre möglich, wenn auch erst
mittelfristig wirksam: Die Ursachen von Flucht bekämpfen. Macht aber
keiner, weil: It’s the economy, stupid! Wäre es nicht wahrhaftiger, in
einem parteiübergreifenden Konsens diesseits der AfD der Gesellschaft die
Zusammenhänge zwischen unserem Lebenswandel und der Situation der Menschen
in ihren Ländern zu erklären und die daraus zu ziehenden Konsequenzen
offenzulegen, um die Ursachen einzudämmen?
Beim Klima ein ähnliches Bild: In Jüterbog läuft es bislang zwar glimpflich
ab, dennoch ließe sich auch am Beispiel dieses wiederkehrenden Infernos die
Wucht des Klimawandels im Kleinen veranschaulichen. Kein Jahr vergeht, in
dem sich nicht regional (Brandenburg und Ahrtal), national und in unserer
(un)mittelbaren Nachbarschaft (Italien, Spanien) Katastrophen abspielen,
anhand derer sich eine parteiübergreifende Erzählung rechtfertigen ließe,
die die Wähler:innen davon überzeugen könnte, dass alle einstecken
müssen und niemand verschont bleibe, Transformation und Anpassungen aber
gemeinsam zu wuppen wären. Auch die Wissenschaft bestätigt den in diesem
Fall tatsächlichen Sachzwang: ES.GIBT.KEINE.ALTERNATIVE.FÜR.DEUTSCHLAND!
Stattdessen wird populistischem Stuss das Wort geredet, wissenschaftliche
Erkenntnisse werden verwässert, um einen scheinbaren Vorteil im politischen
Wettbewerb zu erzielen. Ganz nebenbei gräbt man dabei der Demokratie
zugleich das Wasser ab.
Womit wir wieder beim schreienden Scholz in Falkensee wären. Offenbar kann
er nicht nur leisetreten und zaudern. Da lag so etwas wie Wahrhaftigkeit in
der Luft, wenn auch aus Sicht mancher einige seiner Sätze diskussionswürdig
waren. Viel erklärt hat er zwar nicht, aber er vertrat leidenschaftlich
seine Haltung und erhöhte offenbar hierdurch auch seine Glaubwürdigkeit.
Lautet die Schlussfolgerung am Ende also: Mehr Falkensee statt Tegernsee?
Einen Versuch wäre es jedenfalls wert!
13 Jun 2023
## LINKS
[1] /Waldbrand-in-Jueterbog/!5936169
[2] https://www.youtube.com/watch?v=m0CDWs5cUU4
[3] /Innenministerinnen-zu-EU-Asylreform/!5936290
## AUTOREN
Bobby Rafiq
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Kolumne Bobsens Späti
Olaf Scholz
Schwerpunkt AfD
Waldbrände
Asylpolitik
Schwerpunkt AfD
Waldbrände
Bundestag
## ARTIKEL ZUM THEMA
Studie zur AfD: Partei darf verboten werden
Die AfD ist verbotsreif, analysiert das Institut für Menschenrechte. Sie
widerspricht dem Grundgesetz, Mitglieder gehörten entwaffnet.
Brennende Wälder auf der Nordhalbkugel: Frühling mit extremen Waldbränden
Besonders früh, besonders heftig: Die Waldbrandsaison sorgt schon jetzt für
hohe Emissionen. Deutschland geht neue Wege bei der Brandbekämpfung.
Generaldebatte im Bundestag: Vertauschte Rollen
CDU-Chef Merz wirkte bei der Generaldebatte im Bundestag gebremst, der
unterkühlte Kanzler entfesselt. Die AfD sehnt sich nach der Katastrophe.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.