# taz.de -- Wie Dinge den Alltag prägen: Lebendige Momente | |
> Die Dinge, die wir im Alltag mit uns herumtragen, wirken sich unmittelbar | |
> auf unsere Stimmung aus. Vor allem, wenn es sich um besondere Dinge | |
> handelt. | |
Bild: Abweichung im Stadtbild: Ein Plüschaffe vom Sperrmüll fährt durch Kauf… | |
Wir haben so viele Dinge. Dinge, die wir tragen, heben, um uns haben. Es | |
sind die Dinge, die etwas aus uns machen. Wie wir uns durch den Alltag | |
bewegen und wer wir sind. Es sind die Dinge, die uns als Menschen prägen. | |
Sie ‚dingen‘ uns. Be-dingen unser Leben. | |
Ich fahre in [1][Hamburg] am Gerichtsgebäude vorbei, Richtung Planten un | |
Blomen. Eine Frau kommt mir auf dem Bürgersteig entgegen. Sie trägt ein | |
Paar lila Rollschuhe über der Schulter, in der Hand eine große, | |
durchsichtige Tüte mit vielen aufgeblasenen Luftballons. | |
Wie schön diese Dinge aussehen. So spielerisch und leicht: Rollschuhe und | |
bunte Luftballons. Wird sie gleich bei Planten un Blomen auf der | |
Rollschuhbahn laufen gehen? Was macht sie wohl mit den Ballons? | |
Ich schaue auf die anderen Menschen um mich, mit Aktenkoffern, Kopfhörern. | |
Plötzlich konzentriert sich mein Fokus auf die Dinge: Was für Dinge tragen | |
wir eigentlich sonst? | |
Das häufigste Ding, eine Art Menschding geworden, ist ja das | |
[2][Smartphone], über das wir uns beugen, den Kopf senken. Es steuert | |
unsere Hand- und Körperbewegungen, unsere Konzentration, unseren Blick. | |
Eher ein zusätzliches Körperteil als ein Ding, fällt es uns sofort auf, | |
wenn es fehlt. Auch sonst ist es meist funktional, was man trägt und hält. | |
Taschen, Rucksäcke. Was sind aber die Dinge, die abweichen, die Teil oder | |
Ziel von etwas Besonderem im Alltag sind? | |
Im Studium meinte mal einer, dass ihm die Stadt, in der wir studieren, | |
nicht gefalle, weil so wenig Abweichendes im Stadtbild geschehe. In seiner | |
Heimatstadt passiere es einfach mal, dass einer ein Cello ohne Hülle über | |
die Straße trägt. Das würde ihm hier fehlen. | |
## Menschen mit Blumen sehen nie unglücklich aus | |
Kinder tragen oft besondere Dinge mit sich: Äste, Puppenwagen, Stofftiere, | |
Spiel-Zeug. Zeug zum Spielen: Wann habe ich das letzte Mal etwas | |
Spielerisches getragen? | |
Früher bin ich einmal mit einer großen Schaufensterpuppe vom Flohmarkt | |
durch die Straßen gegangen. Als ich diese Puppe im Arm hielt, schauten mich | |
alle an und lächelten. | |
Wenn ich Filme mache, wie zuletzt meinen [3][Dokumentarfilm „Die Ecke“], | |
passiert oft etwas, weshalb ich bestimmte Dinge organisieren oder halten | |
muss. Wir tragen einen riesigen Sonnenschirm über die Straße und befestigen | |
ihn an einem Laternenpfahl. Ich trage ein Megafon, große Kreidestücke oder | |
Küchenstühle aus einem Haus, die wir aufstellen. Und das hat etwas Schönes | |
beim Filmen, dass man selbstverständlich Dinge aus einem anderen | |
Zusammenhang in den [4][Alltag] überführt, um etwas aufzubauen und zu | |
gestalten. | |
Wenn Menschen Blumen tragen, hat das auch immer etwas Besonderes. Menschen | |
mit einem Blumenstrauß in der Hand sehen nie unglücklich aus. Letztens in | |
der U-Bahn habe ich einen Mann gesehen, der einen riesigen Käfig mit einem | |
Kanarienvogel mit sich trug. Er kam mit allen Menschen in der Bahn ins | |
Gespräch. | |
Menschen, die zusammen ein Boot zum Wasser tragen, sehen glücklich aus. | |
Jugendliche, die irgendwohin einen Grill schleppen, die zusammen Skateboard | |
fahren. Sie haben diesen leuchtenden Ausdruck im Gesicht, ein Lächeln. Es | |
ist der unbewusste Stolz, ein Ding mit sich zu tragen, das von einem | |
besonderen oder gar abenteuerlichen Vorhaben erzählt. | |
Momente mit besonderen Dingen sind oft die lebendigsten Momente in unserem | |
Leben. | |
Und vielleicht ist es gut, darauf zu achten. Wann tragen wir Dinge des | |
Besonderen und nicht des Alltäglichen mit uns herum? Und wie oft machen wir | |
das eigentlich? | |
Und dann sind da die besonderen Dinge, die nicht an uns, aber im Raum | |
hängen: Eine Geige, die plötzlich im Baum baumelt, einfach so. Ohne Verweis | |
oder Erklärung. Oder Ballettschuhe, die jemand in einen Strauch gehängt | |
hat: Irritationen im urbanen Raum. Street art ist auch eine | |
Eroberungsstrategie, sich den Raum, der konform ist, zurückzuholen. Ihn mit | |
Ritzen, Aufwürfungen, Fragezeichen zu versehen. Ihn selbstwirksam zu | |
gestalten. So ist es auch an uns. Je mehr wir die absurden Dinge an uns | |
lassen, umso mehr be-dingen sie das Besondere in unserem Leben. | |
6 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Hamburg/!t5007846 | |
[2] /Smartphone/!t5010632 | |
[3] http://www.christa-pfafferott.de/works/die-ecke-dokumentarfilm/ | |
[4] /Gluecksmomente-im-Alltag/!5843603 | |
## AUTOREN | |
Christa Pfafferott | |
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