# taz.de -- Gedanken über die Zeit zum Denken: Das Geheimnis der Pause | |
> Am schönsten sind Menschen oft in ihren Pausen. Da sind sie in sich | |
> versunken und tragen ein Geheimnis in sich. | |
Bild: Ein Moment, um ganz bei sich zu sein: Raucherpause | |
Am schönsten sind Menschen oft in ihren Pausen. Nicht in den geplanten | |
Pausen, in denen sie in den Urlaub fahren und wissen, dass sie pausieren | |
werden. Es sind die Momente, in denen ihnen ihre Pause gar nicht bewusst | |
ist. Wenn sie in sich versunken in einem Hof stehen, einen Kaffee trinken, | |
vielleicht eine Zigarette rauchen, lesen oder vor sich hinstarren. Es sind | |
in sich versunkene Momente des Seins. | |
Die Orte der Pausen sind oft Zwischenorte. Sitze in Verkehrsmitteln. Flure, | |
Balkone oder Hinterhöfe, in denen Menschen zwischen Kisten hocken, auf | |
einem Treppenabsatz sitzen oder sich an eine Hauswand lehnen. Pausen | |
geschehen in Winkeln aus Zeit und Raum. Es sind Ich-Momente im Versteck. | |
Einmal beobachtete ich ein Mädchen, das in einer Wartehalle eines | |
Flughafens saß, umgeben von Taschen. Ihr Gesicht war versunken in einem | |
dicken Wälzer. Ihre Eltern und Geschwister standen ein paar Meter abseits, | |
aßen und quatschten. Immer wieder gingen sie zu dem Mädchen und fragten sie | |
etwas. Doch das Kind blickte kaum auf, sie selbst und ihr Buch schienen ihr | |
auszureichen. Sie war völlig bei sich. | |
Vor Kurzem in der Salzwasser-Sole im Hamburger Schwimmbad blickte ich auf | |
die Menschen, die mit ausgebreiteten Armen auf dem Wasser trieben. Die | |
Menschen gönnten sich eine Pause, von der sie wussten, dass es eine war. | |
Doch selbst hier stellte ich diese Verwandlung fest, die so faszinierend | |
ist. Auf ihre fast nackten Körper zurückgeworfen, trieben die Badegäste in | |
bunten Badehosen und Bikinis im Salzwasser, ließen im Vertrauen los. | |
Fast sah es aus wie in einem futuristischen Film, als sollten sie im | |
Salzwasser konserviert werden für lange Zeit, hinübergetragen werden in ein | |
nächstes Jahrhundert. Jeder und jede für sich schwebend, das Gesicht zur | |
Decke gestreckt. Alle sahen zufrieden aus. Friedlich. | |
Ein Mann schaute nach oben, mit entrücktem Blick. Darin war etwas Zartes, | |
Ungeschütztes. An was dachte er jetzt, was fühlte er, von was ließ er | |
gerade los? | |
Das Besondere einer Pause ist, dass ein Mensch dabei mit sich kongruent | |
ist. Pausen und Langeweile sind Momente, in denen das psychische Gefäß leer | |
wird und deshalb neu gefüllt werden kann. Eine Pause machen zu können, | |
entspricht der Würde des Menschen. Jeder und jede hat ein Anrecht auf | |
Pausen. In die Leere zu gehen. Ins Ich. | |
Dabei steigt die Anzahl der Pausen zum Beginn und zum Ende der Lebenszeit | |
eines Menschen. Die Pausen umklammern das Leben. | |
Vor und nach den Jahren, in der die meisten Menschen Lohn- und Sorgearbeit | |
machen, sind die meisten Pausen möglich. Bei Kindern und Älteren. Es ist | |
besonders geheimnisvoll, ein Kind versunken in einer Pause zu sehen. Wenn | |
man ein Kind sucht und es plötzlich hinter einem Sofa findet, die Füße | |
gegen das Polster gestemmt, den Kopf versunken auf etwas gerichtet. Ganz | |
bei sich. Wie schön, was es an Geheimnis in dir gibt, möchte man rufen. | |
Alte Menschen machen auch Pausen. Und es ist manchmal leichter, in ihrer | |
Gesellschaft selbst ins Pausieren zu kommen. Doch alte Menschen scheinen | |
manchmal in die Pause zu fallen wie in eine Tiefe. Sie werden nicht mehr | |
ernst und für schön wahrgenommen in ihren Pausen. Nicht mehr arbeitend, | |
beschäftigt in getakteten Tagen machen sie keine Pause. Sie sind die Pause. | |
Dabei sind die Gedanken die gleichen lebendigen, fragenden und jungen | |
geblieben. Das Gespräch mit der damals 96-Jährigen bleibt mir im Kopf: Wie | |
sie erzählte, dass sie jetzt so viel am Fenster säße. Weil sie Zeit habe, | |
wofür früher nie Zeit war: die Vögel zu beobachten, die Wolken. Und sie | |
erzählt strahlend, was sie denkt, wenn ihre Augen das sehen, was sie nun | |
schon seit fast hundert Jahren sieht: Wolken, Vögel. | |
Sie denkt, wie schön das Leben ist, wie besonders es doch ist, wenn sie da | |
sitzt. Und man möchte rufen: Wie schön, was es alles an Geheimnis in dir | |
gibt! | |
27 Nov 2022 | |
## AUTOREN | |
Christa Pfafferott | |
## TAGS | |
Kolumne Zwischen Menschen | |
Hamburg | |
Menschenrechte | |
Altern | |
Kolumne Zwischen Menschen | |
Kolumne Zwischen Menschen | |
Kolumne Zwischen Menschen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Geschichte einer Erschütterung: Der Reporter | |
Manche Menschen sind nur kurze Wegbegleiter und hinterlassen doch einen | |
Eindruck. Mir ging es so mit dem Reporter von der Lokalzeitung. | |
Ein Märchen-Moment im Alltag: Die Haus-Schnecke | |
Das dreijährige Mädchen wollte eine Schnecke mit Haus als Haustier. In der | |
feuchten Wiese fanden wir keine. Aber dann geschah etwas Märchenhaftes. | |
Wie Dinge den Alltag prägen: Lebendige Momente | |
Die Dinge, die wir im Alltag mit uns herumtragen, wirken sich unmittelbar | |
auf unsere Stimmung aus. Vor allem, wenn es sich um besondere Dinge | |
handelt. |