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# taz.de -- Geschichte einer Erschütterung: Der Reporter
> Manche Menschen sind nur kurze Wegbegleiter und hinterlassen doch einen
> Eindruck. Mir ging es so mit dem Reporter von der Lokalzeitung.
Bild: Gemeinsam auf demselben Weg unterwegs – und niemand weiß, wie lang
Damals hat er mich nervös gemacht. Jetzt ist er nicht mehr da. Vor drei
Jahren habe ich Filmaufnahmen an einer Straßenecke in Thüringen für meinen
Film „Die Ecke“ gemacht. Wir wollten eine Straße absperren und haben das
bei der Polizei angemeldet. Ein Reporter hatte dies im Vorhinein
mitbekommen. Er schrieb mir per Mail, dass er über unseren Dreh berichten
wolle. Ich war unglücklich, dass ein Reporter dazukommen wollte. Es
stresste mich. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bereit für die
Öffentlichkeit, ich wollte mich ganz auf den Dreh konzentrieren Aber ich
konnte und wollte es auch nicht mehr verhindern, dass er da sein würde. Oft
lösen Dinge etwas aus. Und dann ist es wichtig, diesen Dingen ihren Lauf zu
lassen. Gerade beim Filmemachen entsteht oft so Unerwartetes.
Als wir schließlich an der Straßenecke drehten, kam sogar noch mehr Presse:
die Zeitung, ein Fernsehteam. Der Reporter hatte sich als einziger vorher
bei mir angemeldet. Er war beim Dreh zurückhaltend. Anders als die anderen
Reporter hielt er sich im Hintergrund und machte als einer der letzten mit
mir ein Interview.
Jetzt, nach weiteren Dreharbeiten, dem Schnitt und Corona-bedingten Pausen
ist [1][der Film „Die Ecke“] fertig geworden. Am Freitag haben wir ihn in
Oberdorla gezeigt, dort, wo wir damals gedreht haben.
Der Reporter hatte mich gebeten, dass ich ihn über den Film auf dem
Laufenden halte. Daher scrollte ich jetzt durch mein Handy. Ich fand seinen
Namen und die Nummer seiner Redaktion. Als ich anrief, ging ein anderer
Mann ans Telefon. Ich erzählte ihm, dass ich den Reporter zu dem
Vorführtermin einladen wollte. Der Mann fragte mehrmals, was dieser Termin
mit dem Reporter zu tun hätte. Ich verstand diese Fragen nicht. Ich
wiederholte, dass ich dem Reporter versprochen hatte, mich zu melden. Aber
er war nicht beim Film selbst involviert, fragte der Kollege. Wurde er von
Ihnen interviewt? Kommt er im Film vor? Nein, sagte ich.
## Der Abschied ist immer um uns
Dann erst räusperte sich der Mann. Der Kollege sei leider verstorben, sagt
er.
Oh nein, entfuhr es mir sofort. Ja, sagte der Mann. Er wirkte betroffen.
Jetzt verstand ich, warum er wissen wollte, ob sein Kollege zu sehen war.
Ob es etwas von ihm gab aus der Zeit.
Als ich auflegte, dachte ich noch länger über den Reporter nach. Vor drei
Jahren beim Dreh war er noch lebendig gewesen. Er war da, voller Tatkraft,
ein Mann mittleren Alters. Jetzt war er tot. Damals wusste er vielleicht
noch nicht, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleiben würde, dass er diesen
Film nicht mehr sehen würde.
Ich dachte darüber nach, was wohl passiert war. Ich gab noch mal seinen
Namen in mein Mail-Programm ein und las unseren Mailverlauf. Vor dem Dreh,
der kurz nach Ostern stattfand, hatte mir der Reporter noch eine Nachricht
geschickt: „Schönes Osterfest!!!“ stand da. Nach dem Dreh schrieb er: „I…
hoffe, ich habe nicht zu sehr gestört – ich kann sehr gut nachempfinden wie
es ist, wenn man mal in Ruhe arbeiten möchte!“ Ich weiß noch, wie mich
damals seine sensible Art nachhaltig gefreut hat.
Er schickte mir dann noch den Bericht, der aus unserem Gespräch entstanden
war. Es war gut gewesen, dass er gekommen war. Erst danach habe ich mich
für die Filmförderung beworben und darauf verwiesen, dass mein Film
Medieninteresse hervorgerufen hätte, ich schickte auch seinen Beitrag.
Ich suchte ihn auch noch mal im Internet. Dort stand, dass der Reporter mit
45 Jahren verstorben war, schon ein Jahr nach unseren Dreharbeiten und am
Ostersonntag, also genau ein Jahr, nachdem er mir damals ein schönes
Osterfest gewünscht hatte.
Jetzt war die Premiere ohne ihn. Mich macht das traurig. Auch wenn er nur
ein kurzer Wegbegleiter war, war es gut, wie er unser Vorhaben auf seine
Art unterstützt hat. Es ist immer wieder merkwürdig, wie sehr uns der
[2][Tod] erschüttert. Dabei ist der Abschied immer um uns. Und auch die
Möglichkeit. Auch wenn er nicht zur Vorführung kommt. Den Beginn dieses
Films hat der Reporter mitgestaltet.
20 Nov 2022
## LINKS
[1] http://www.christa-pfafferott.de/works/die-ecke-dokumentarfilm/
[2] /Tod/!t5012539
## AUTOREN
Christa Pfafferott
## TAGS
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