Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Antisemitismus-Debatte: Verfehlte Empörung
> Bundeskanzler Olaf Scholz betont die deutsche Empfindlichkeit bei
> Antisemitismus. Dabei verkennt er, wer davon wirklich betroffen ist.
Bild: Olaf Scholz: Irritierter Blick während der Pressekonferenz mit Mahmoud A…
Peinlich war's anzusehen, wie Bundeskanzler Olaf Scholz diese Woche
[1][neben Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas stand, als der bei einer
Pressekonferenz] ernsthaft behauptete, Israel habe bis heute in den
palästinensischen Gebieten „50 Holocausts“ begangen. Scholz guckte etwas
irritiert, schüttelte dann aber doch noch Abbas' Hand. Ja, klar, die Juden
von heute sind die Nationalsozialisten von damals. Kennt man schon,
spätestens seit der diesjährigen documenta, wo das später [2][abgehängte
Agitprop der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi] Juden als Blutsauger
mit SS-Runen am Hut zeigte.
Hinterher hat er sich ja quasi für sein Schweigen entschuldigt, unser
Kanzler. Seine Haltung nachgereicht. Dafür muss man in Deutschland fast
dankbar sein. „Gerade für uns Deutsche ist jegliche Relativierung des
Holocaust unerträglich und inakzeptabel“, verlautete Scholz. Moment mal,
wenn Antisemitismus gerade für die Deutschen so unerträglich ist, dann
frage ich mich, ob ich mir die Diskussionen der letzten Wochen über die
Documenta eigentlich eingebildet habe? Aber dazu gleich mehr. Holen wir uns
lieber nochmal in Erinnerung, was Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter
des Bundes, zu sagen hatte. Der meinte es zwar gut, verfehlte das Ziel aber
auch ganz knapp. Durch seine Holocaust-Relativierung habe Abbas jegliche
Sensibilität „gegenüber uns deutschen Gastgebern vermissen lassen“, sagte
Klein.
Fällt Ihnen was auf? Scholz und Klein stellen gleichermaßen die Deutschen
ins Zentrum ihrer Empörung. Man möchte einmal nachfragen, ob die beiden
nicht verstanden haben, wer tatsächlich unter Holocaustrelativierungen und
Antisemitismus leidet? Zum Mitschreiben: Es sind Jüdinnen und Juden.
Die Deutschen feiern sich ja selbst gerne dafür, wie super sie die
Vernichtung von 6 Millionen Juden aufgearbeitet haben. Die Verletzung
darüber, dass sich Abbas im Täterland so äußert, wie man es nur von einem
Mann erwarten kann, der schon in seiner Dissertation vor 40 Jahren den
Holocaust relativierte, muss wirklich tief sitzen.
Sich selbst als vorbildlich, als Weltmeister der Erinnerung an die Shoa zu
begreifen, ist bis heute ein zentrales Element des deutschen
Selbstverständnisses. Der Glaube an eine tatsächliche Aufarbeitung der
NS-Vergangenheit sei „nicht weniger als die größte Lüge der
Bundesrepublik“, schrieb Samuel Salzborn, Politikwissenschaftler und
Antisemitismusbeauftragter des Landes Berlin, treffend in seinem Buch
„Kollektive Unschuld. Die Abwehr der Shoah im deutschen Erinnern“. Sein
Kollege Felix Klein müsste es eigentlich besser wissen.
## Erneuter Antisemitismus-Vorwurf bei der documenta
Das alles fällt natürlich sehr unglücklich in eine Zeit, in der sich genug
andere in Deutschland als Volldeppen in Sachen Antisemitismuserkennung
erwiesen haben und zeigen, dass hier eben gar nix super läuft und der
Weltmeistertitel noch sehr weit weg ist. Erst diese Woche tauchte schon
wieder eine antisemitische Karikatur auf der documenta auf. Und erneut sind
die Urheber des „Kunstwerks“ Taring Padi, deren Werk den Auftakt gemacht
hatte in der Reihe
Antisemitismus-in-der-Kunst-der-nicht-zu-übersehen-ist-und-doch-niemanden-i
nteressiert.
Ein Triptychon zeigt diesmal mehrere Personen mit Geldsäcken. Einen davon
mit langer Nase, wulstigen Lippen und hämischem Grinsen, auf dem Kopf eine
Kippa, die abgeklebt war. [3][So berichtet es das Junge Forum der
Deutsch-Israelischen Gesellschaft], das es entdeckt hatte. Mal wieder
wollte die künstlerische Leitung der documenta „keinerlei antisemitische
Bildsprache“ verzeichnen können. So gut funktioniert das mit dem deutschen
Antisemitismusradar.
Ein entschiedener Einsatz gegen Antisemitismus ist keine
Selbstverständlichkeit in Deutschland. Die Frage ist, wann
Weltmeisterdeutschland sich darüber empören wird.
Hinweis: Die künstlerische Leitung der documenta fifteen, das indonesische
Kollektiv ruangrupa, hat mittlerweile mit einer ausführlichen
[4][Kontextualisierung auf den Vorwurf] reagiert. Demnach handele es sich
bei der Kopfbedeckung des Grinsenden auf dem Holzschnitt „nicht um die
Darstellung einer jüdischen religiösen Kopfbedeckung“. Die überarbeitete
Figur auf dem Bild von Taring Padi zeige vielmehr eine klassische und weit
verbreitete indonesische Kopfbedeckung: die „kopiah“ oder „peci“ in Bah…
Indonesia.
20 Aug 2022
## LINKS
[1] /Abbas-Holocaust-Vergleich/!5875414
[2] /Antisemitismus-auf-der-Documenta/!5860701
[3] https://twitter.com/JuFoDIG/status/1559266934289571842?s=20&t=n7TSOwfM6…
[4] /Bild-in-Kassel-ueberklebt/!5875388
## AUTOREN
Erica Zingher
## TAGS
Antisemitismusbeauftragter
Felix Klein
Antisemitismus
Kolumne Grauzone
Olaf Scholz
Documenta
Kolumne Grauzone
Holocaust
Abbas
Mahmud Abbas
Westjordanland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Instrumentalisierung des 9. November: Intifada vor der Nudelbox
Moderner Antiimperialismus wäre in diesen Zeiten dringend notwendig.
Stattdessen wird sich lieber weiter auf Israel fokussiert – auch am 9.
November.
Scholz, Abbas und die SPD: Unglaublich nah am Bullyradar
Man muss den Mund aufmachen, damit Bullys nicht die Macht übernehmen. Das
gilt für Olaf Scholz, für die Autorin und ihre Tochter.
Anfangsverdacht der Volksverhetzung: Polizei ermittelt gegen Abbas
Die Berliner Polizei ermittelt einem Medienbericht zufolge gegen
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Grund ist seine
Holocaust-Relativierung im Bundeskanzleramt.
Holocaust-Aussage von Mahmud Abbas: Ungeschickt und kontraproduktiv
Palästinenserpräsident Abbas hat seinem Volk mit dem Holocaust-Vergleich
keinen Gefallen getan. Seine Wut über die Lage im Nahen Osten ist indes
berechtigt.
Palästinenserpräsident Abbas: Unbeliebt, aber schwer zu ersetzen
Die umstrittenen Äußerungen von Abbas finden in Palästina kaum ein Echo.
Die Kritik aus Israel ist umso härter. Kooperation bleibt aber nötig.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.