# taz.de -- Die Notdurft in Berlin: Erschwerter Toilettengang | |
> Umsonst Pinkeln können ist in Berlin die Ausnahme. Ansonsten sind | |
> öffentliche Klos nur mit Kreditkarte benutzbar. | |
Bild: Auf die Toilette müssen alle mal | |
Berlin taz | Wer kennt es nicht, man sitzt im Park oder geht spazieren und | |
plötzlich meldet sich die Blase. Doch wohin mit dem ganzen Wasser, das man | |
bei diesen Temperaturen literweise in sich reinschüttet? Wie gut, dass es | |
öffentliche Toiletten gibt, ganze 280 sind das in Berlin. Blöd nur, dass | |
diese nicht für alle Menschen zugänglich sind, wo doch der Toilettengang | |
eine der wenigen Sachen ist, die alle Menschen geschlechter- und | |
klassenübergreifend gemein haben. | |
Doch ausgerechnet anhand der beiden Merkmale Klasse und Geschlecht werden | |
Menschen in puncto Pinkeln diskriminiert. Schon seit Längerem gibt es in | |
Berlin Proteste – sogenannte [1][Piss-ins] – von Flinta, also Frauen, | |
Lesben, intersexuellen, nicht-binären, trans und agender Personen, gegen | |
die Benachteiligung auf dem Pott. Denn während Männer kostenlos Pissoirs | |
nutzen können, müssen Frauen 50 Cent bezahlen, um ihre Notdurft zu | |
verrichten. | |
Dabei verweist schon das Wort an sich darauf, worum es sich hierbei | |
handelt: um eine Notwendigkeit. | |
Leistungen bereitzustellen, die für ein menschliches Dasein notwendig sind, | |
ist Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge – und zu der gehören eben auch | |
Toiletten. Hier unterschiedliche Maßstäbe an die Nutzer*innen anzulegen, | |
ist nichts anderes als staatliche Diskriminierung – Frauen müssen | |
schließlich auch nicht mehr für die Müllentsorgung oder den Rundfunk | |
zahlen, nur weil sie keinen Penis haben. | |
Doch statt Pissoirs – beziehungsweise [2][Missoirs] – [3][auch für Frauen | |
kostenlos zur Verfügung zu stellen], legt Berlin in Sachen Diskriminierung | |
noch eins drauf: Seit dieser Woche [4][sind 230 der 280 Toiletten nur noch | |
bargeldlos], also mit Kreditkarte oder App benutzbar. | |
Schuld seien die ganzen Kleingelddieb*innen, die mit ihren [5][Einbrüchen | |
in die wertvollen Klohäuschen] enorme Geld- und Sachschäden verursacht | |
haben, heißt es aus der Senatsverwaltung. 150 bis 180 Aufbrüche gibt es | |
laut Betreiberfirma Wall GmbH pro Woche, der Schaden soll im sechsstelligen | |
Bereich liegen. | |
Die Berliner*innen zahlen also gleich doppelt für ihren Klogang, erst | |
die Nutzungsgebühr, dann für die dadurch entstandenen Schäden. Die Lösung | |
für diesen [6][teuren Toiletten-Teufelskreis] wäre natürlich ganz einfach, | |
no money, no problem. Kostenlose öffentliche Toiletten, wie es sie etwa in | |
Paris seit 2006 gibt und [7][wie sie die Linkspartei fordert], wären zwar | |
eine schnelle und unbürokratische Lösung, allerdings sind wir hier immer | |
noch in Deutschland. Also wird es vorerst nur 50 kostenlose öffentliche | |
Toiletten geben – für 3,6 Millionen Berliner*innen und jährlich rund 14 | |
Millionen Tourist*innen. Und das natürlich auch nur als Pilotprojekt für | |
ein halbes Jahr, um zu gucken, wie das kostenlose Pinkeln so ankommt | |
(Spoiler: gut). | |
Der Rest der blasengeplagten Passant*innen muss weiter blechen – | |
vorausgesetzt er oder sie besitzt eine Kreditkarte oder Apple Pay. Dadurch | |
werden nicht nur diejenigen von der öffentlichen Daseinsvorsorge | |
ausgeschlossen, die am häufigsten darauf angewiesen sind: Obdachlose und | |
Rentner*innen. Es wirft auch die Frage auf, für wen der öffentliche Raum | |
überhaupt noch zugänglich ist. Und ob wir wirklich in einer Stadt leben | |
wollen, die nur per Kreditkarte aufschließbar ist. | |
21 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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