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# taz.de -- Gefährliche Müllentsorgung in Kambodscha: Marken-Pulli im Brennof…
> In Kambodscha landen Reste aus Textilfabriken in Ziegelöfen. Greenpeace
> hat Beweise gesammelt und kritisiert die Unternehmen Nike, Reebok, Next
> und andere.
Bild: Arbeit an einem Ziegel-Brennofen in Kambodscha im Jahr 2017
Reste von Schuhen, Sweatshirts und Stoffen aus der Produktion globaler
Kleidungsmarken landen in Kambodscha illegal im offenen Feuer von Brennöfen
zur Ziegelproduktion. Das wirft die Umweltschutzorganisation Greenpeace
Herstellern namhafter Marken wie Nike, Reebok, Clarks und anderen vor. Sie
würden damit ihrer Verantwortung für die Entsorgung nicht gerecht.
Die Verbrennung von Textilienverschnitt und Produktionsabfällen im offenen
Feuer widerspricht sowohl kambodschanischen Gesetzen wie den
selbstgesteckten Umwelt- und Sozialstandards der Unternehmen. Laut
Greenpeace würden Emissionen steigen und die ArbeiterInnen hochgiftigen
Dämpfen ausgesetzt.
Zudem verweist die Organisation auf die schlechten Arbeitsbedingungen bei
der Ziegelproduktion, bei der die Kleidungsreste verfeuert würden. Aufgrund
eines Baubooms in dem südostasiatischen Land ist die Nachfrage nach Ziegeln
hoch. Seit Jahren kritisieren Experten in den Ziegelbrennereien
Kinderarbeit und Schuldknechtschaft, die als moderne Sklaverei bezeichnet
wird.
Ein Team von Greenpeace aus Großbritannien habe Beweise für die illegale
Müllverbrennung und die Entsorgungswege gesammelt, erklärte die
Organisation. Nach monatelangen Recherchen [1][veröffentlichte sie nun die
Ergebnisse]. Die taz konnte Dokumente, Fotos und Videos einsehen, die das
Team im Dezember 2021 und Januar 2022 anfertigte.
GPS-Daten verorten die Fotos an verschiedenen Standorten rund um die
Hauptstadt Phnom Penh in der Nähe der Flüsse Mekong und des Tonle Sap. Sie
zeigen Label der Marke Diesel, Reebok und Next, Überreste von Textilien von
Polo von Ralph Lauren, Kleidungsstücke mit dem bunten Logo von Nike,
Materialreste samt Verpackung und Auftragsnummern der Modemarke Michael
Kors, einen halben Damenschuh und weitere Schuhteile von Clarks.
## Die Müllsäcke türmen sich
Videoaufnahmen aus der südöstlichen Kandal-Provinz zeigen unter anderem
einen Arbeiter, der mit nacktem Oberkörper und nur mit einem Paar
Handschuhe geschützt an einem Brennofen schuftet. Erst mit den Händen, dann
mit einer Stange, lang wie ein Besenstiel, drückt er Plastiksäcke mit
Textilienresten in ein etwa 70 Zentimeter großes Loch. Flammen schlagen ihm
entgegen. Hinter ihm türmen sich in einer dunklen Wellblech-Halle weitere
Plastiksäcke mit weiterem Müll.
Eigentlich sollten Textilabfälle nicht auf diese Weise entsorgt werden.
Doch mit Kambodschas Bauboom wuchs die Nachfrage nach Baumaterial und damit
die Nachfrage nach Brennstoffen für die Ziegelbrennereien, erklärt Laurie
Parsons, Dozent für Humangeografie an der Royal Holloway University in
London, der taz. Parsons forscht zu sozialen und klimatischen
[2][Auswirkungen der Textil- und Ziegelproduktion in Kambodscha] und hat
auch Greenpeace bei deren Recherchen beraten. Textilabfälle seien ein
günstigerer Brennstoff als Holz. Der Geograf schätzt, dass täglich mehrere
Hundert Tonnen Bekleidungsabfälle in den Öfen verbrannt würden.
In den rund 500 Ziegelbrennereien des Landes arbeiteten bis zu 10.000
Menschen, erklärte Parsons. Darunter seien auch viele Kinder, einige von
ihnen erst 12 Jahre alt. Die Arbeit an den Öfen, die Temperaturen von
mehreren Hundert Grad erreichen, sei sehr gefährlich. „Bei der Verbrennung
von Acrylkleidern, vor allem wenn sie zusammen mit Plastiktüten und anderen
Abfällen verbrannt werden, wie es in Kambodscha der Fall ist, werden
Plastikmikrofasern und andere giftige Chemikalien in die unmittelbare
Umgebung freigesetzt, die die Gesundheit von Arbeitern gefährden“, so
Parsons.
In einem Video von Greenpeace berichtet ein Mann, er habe mit 15 Jahren
angefangen, in der Ziegelfabrik zu arbeiten. Jeden Tag kämen zwei, drei
Lastwagen mit Textilabfällen. Von dem Rauch bekomme er Nasenbluten. Und er
erzählt, dass er mit der Arbeit angefangen habe, weil seine Familie
Schulden bei einem Geldverleiher aufgenommen hatte. Er müsse sich wiederum
vom Inhaber des Brennofens Geld leihen, weil er nicht genug zum Leben habe.
Diese derart beschriebene Schuldknechtschaft sei bei ArbeiterInnen in der
Ziegelproduktion sehr verbreitet, erklärt Parsons. Viele von ihnen seien
ehemalige Landwirte, die Mikrokredite aufgenommen hätten und deren Ernten
unter anderem aufgrund des Klimawandels nicht ausfielen wie erhofft. Die
Besitzer der Brennöfen würden dann die Kredite übernehmen und die Menschen
– teilweise über Generationen – in Abhängigkeit für sich arbeiten lassen.
## Scheinheilige Kampagnen
Die Entsorgung von Produktionsresten unter derart schlechten Bedingungen
für Mensch und Umwelt widerspricht den selbstgesteckten ethischen
Standards, mit denen internationale Markenhersteller mittlerweile werben.
So startete Nike 2019 eine Kampagne, um den Co2-Ausstoß und Müll auf null
zu reduzieren. Reebok hat Kollektionen mit Schuhen aus pflanzenbasiertem
und recyceltem Material, Ralph Lauren erklärt auf seiner Webseite,
Lieferanten sollten Abfälle minimieren und gefährliche und nicht
gefährliche Abfälle ordnungsgemäß entsorgen.
Dass Abfälle aus der Bekleidungsindustrie dennoch in den Brennöfen landen,
liegt an einem System aus Abfallzwischenhändlern in Kambodscha. Die
Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)
veröffentlichte 2021 einen [3][Untersuchungsbericht über die lokale
Abfallwirtschaft]. Formal würde der Abfall auf lizensierten Mülldeponien
entsorgt, erklärt Hanna Guy, Autorin des GIZ-Berichts, der taz. Allerdings
bestehe eine blühende informelle Abfallindustrie, bei der der Abfall
mehrfach weiterverkauft würde.
„Erst wird er vielleicht an einen Großhändler verkauft, dann in kleineren
Portionen weiterverkauft, manchmal vier oder fünf Mal“, so Guy. „Am Ende
kauft jemand Lkw-Ladungen voller Abfälle. Darin können Markenetiketten
enthalten sein, aber auch Plastik aus anderen Fabriken oder Flaschenreste.“
Viola Wohlgemuth, Expertin für Kreislaufwirtschaft und Modeabfälle bei
Greenpeace, erklärte, die Unternehmen seien in jedem Fall in der Pflicht,
Umweltzerstörung und moderne Sklaverei überall in ihrer Lieferkette zu
unterbinden. „Es ist unerträglich zu sehen, wie Modeabfälle von führenden
Marken zu giftigem Sondermüll in offenen Brennöfen werden, an denen moderne
Sklaven beschäftigt sind.“ Wohlgemuth wirft den Unternehmen, die mit der
Reduzierung von Abfall und CO2-Emissionen werben, Heuchelei vor. „Die
Modeindustrie produziert am laufenden Band Berge von toxischem, nicht
recycelbarem Abfall an beiden Enden ihrer Lieferkette und immer wieder sind
es die ärmeren Communitys im globalen Süden, die darunter leiden.“
Die Unternehmen und Mutterkonzerne von Nike, Reebok, Ralph Lauren, Diesel
und Michael Kors reagierten trotz mehrfacher Nachfrage nicht auf Anfragen
der taz.
Ein Sprecher von Clarks erklärte: „Die Vorwürfe verstoßen gegen unsere
Unternehmenswerte, Grundsätze und Geschäftspraktiken.“ Man werde nun eine
gründliche Untersuchung durchführen. Die Zulieferer würden Abfälle an ein
staatlich zugelassenes Entsorgungsunternehmen übergeben. Es handele sich
bei dem beschriebenen Fall um eine Ausnahme.
Die Firma Next erklärte, man sei bereits im Februar von Greenpeace auf die
Vorfälle aufmerksam gemacht worden und habe um mehr Details gebeten. Erst
im Juli habe Greenpeace Bilder von Etiketten übersandt. „Es hat den
Anschein, dass es möglicherweise zu einem Verstoß gekommen ist, weil sich
die Lieferanten von Next in Kambodscha nicht an die vertraglich
vorgeschriebene Entsorgungspolitik gehalten haben“, erklärte ein Sprecher
des Unternehmens. Auch Next will den Vorfall nun untersuchen. Die Firma
habe Ethik-Teams vor Ort, die in Kambodscha die Vertragsfabriken regelmäßig
auf Einhaltung ethischer Standards überwachten. Es sei eine
Herausforderung, den Verschnitt zu einem bestimmten Lieferanten
zurückzuverfolgen. Aber wo das gelänge, würden „notwendige Maßnahmen“
ergriffen.
8 Aug 2022
## LINKS
[1] https://unearthed.greenpeace.org/2022/08/08/garment-waste-nike-clarks-cambo…
[2] https://www.projectbloodbricks.org/team
[3] https://asiagarmenthub.net/resources/2021/waste-streams-mapping_cambodia-1.…
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
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