| # taz.de -- Erderwärmung und soziale Gerechtigkeit: Die Welt retten | |
| > Die Autorin Octavia Butler hat vor 30 Jahren vieles vorausgesehen, was | |
| > heute passiert. Sie zeichnet eine düstere aber nicht aussichtslose | |
| > Perspektive. | |
| Bild: In Kalifornien kommt es zu tödlichen Hitzewellen, Wasserknappheit und br… | |
| Der Weltuntergang kommt. Höchstwahrscheinlich. Denn wir als Menschheit sind | |
| weit davon entfernt, entschlossen die nötigen Schritte zu gehen, um die | |
| Klimakatastrophe und die damit verbundenen gesellschaftlichen Folgen | |
| abzuwenden. Der Untergang wird allerdings nicht so aussehen, wie wir ihn | |
| uns in Büchern und Filmen vorstellen: Der Boden wackelt, der Himmel | |
| verdunkelt sich, überall erklingt Klagen und Wehgeschrei, die Erde öffnet | |
| sich und verschluckt Groß und Klein, Alt und Jung, Arm und Reich ganz ohne | |
| Unterschied. | |
| Nein, er kommt nicht plötzlich, sondern in Wellen und zu verschiedenen | |
| Zeiten. Er trifft Regionen und Menschen ungleich. Die | |
| Science-Fiction-Autorin [1][Octavia E. Butler] hat das in ihrer | |
| „Parabel-Serie“ in den 1990er Jahren sehr realistisch beschrieben. Wer | |
| wissen will, wie unsere dystopische Zukunft aussehen könnte, sollte diese | |
| Bücher lesen. Darin beschreibt sie einen „[2][Klimawandel]“, der in den | |
| 2020er Jahren unter anderem in Kalifornien zu tödlichen Hitzewellen, | |
| Wasserknappheit, brennenden Wäldern und brutalen Stürmen führt. | |
| Kommt bekannt vor, nicht wahr? Die Hauptfigur Lauren lebt in einer kleinen | |
| Gemeinschaft, die sich mit hohen Wänden und Waffen vor aggressiven Banden | |
| schützt. Wer Geld hat, schützt sich mit Stacheldraht und Elektrozäunen, | |
| bezahlt die Polizei, die sich nur für Reiche interessiert, oder beauftragt | |
| bewaffnete Sicherheitsdienste. Geld macht es auch möglich, wegzuziehen nach | |
| Kanada oder Russland, wo die Klimakrise nicht so hart zugeschlagen hat. | |
| Dort funktionieren Wirtschaft, staatliche und soziale Strukturen noch. | |
| Dort wird Wasser nicht ständig teurer. Ohne Geld ist eine Flucht kaum | |
| machbar. Die Grenzen sind nämlich geschlossen, der Weg ist | |
| lebensgefährlich. Die Gefahren verschärfen sich, als die USA einen Krieg | |
| gegen Kanada und das abtrünnige Alaska beginnen. Wer kein Geld hat, ist | |
| verletzlich. Das ist heute schon so. Aber wenn die Welt um dich herum | |
| zusammenbricht, wird diese Verletzlichkeit zur akuten Gefahr. Besonders | |
| arme Frauen fürchten die permanente Bedrohung durch sexualisierte Gewalt. | |
| ## Wellenförmig in die Katastrophe | |
| Einige wenige Rücksichtslose und wahnsinnig Handelnde reichen, um eine | |
| Dynamik des Misstrauens, der Angst und damit eine Gewaltspirale in Gang zu | |
| setzen. Butlers Beschreibungen sind realistisch. Der Weltuntergang durch | |
| die Klimakatastrophe hat schließlich schon angefangen, auch wenn es uns | |
| hier noch nicht so hart trifft. An manchen Orten der Welt stiegen in diesem | |
| Sommer die Temperaturen auf bis zu 60 Grad. Solche Hitzewellen werden immer | |
| öfter kommen. | |
| Nicht langsam und stetig, sondern wellenförmig in Schüben: Es wird Sommer | |
| geben, die weniger heiß sind mit weniger und nicht so schlimmen | |
| Waldbränden. Menschen, die es nicht wissen wollen, sagen dann: „Na bitte, | |
| ein kühler Tag, ist doch alles nicht so dramatisch!“ Im nächsten Sommer | |
| werden aber wieder neue Hitzerekorde gebrochen, neue Brände und | |
| Überschwemmungen zerstören ganze Regionen. Es trifft Alte härter als Junge, | |
| Kranke schlimmer als Gesunde, Arme schlimmer als Reiche. | |
| Die damit einhergehenden wirtschaftlichen Krisen begünstigen politische | |
| Krisen, Gewalt und Fanatismus. Butler beschreibt einen Rechtsruck. Die USA | |
| wählen einen Präsidenten, der [3][„America First“] fordert und die radika… | |
| Umkehr zu christlichen Werten. Er hetzt gegen Andersdenkende und | |
| Minderheiten. Teile seiner Gefolgschaft sind gewalttätig. Dieser Präsident | |
| leugnet das oder behauptet, damit nichts zu tun zu haben. Viele hoffen, | |
| dass eine starke Hand wieder für Ordnung sorgt im Land. | |
| Mit dieser autoritären Führung kommen Leute, die die damit verbundene Macht | |
| für ihre Zwecke missbrauchen. Selbsternannte, schwerbewaffnete | |
| „Kreuzritter“ überfallen verletzliche Gruppen, wie Flüchtlinge und Arme, | |
| rauben sie aus und versklaven sie gar. Das tun sie mit Hilfe eines | |
| „smarten“ Halsbandes, das auf Knopfdruck schreckliche Schmerzen bereitet | |
| und den Versklavten jede Möglichkeit zum Widerstand nimmt. | |
| Sklaverei bleibt offiziell zwar weiterhin verboten, die betreffenden | |
| Gesetze wurden aber mit der Zeit so aufgeweicht, dass Menschen- und | |
| Bürgerrechte faktisch nur noch für Leute mit Geld einforderbar sind. | |
| Vermutlich nicht genau so, aber doch ähnlich steht es uns bevor. | |
| Bürgerrechte werden im Angesicht des Untergangs von vielen als dekadenter | |
| Unsinn angesehen werden. Zumindest solange sie selbst so privilegiert sind, | |
| dass sie diese nicht in Anspruch nehmen müssen. | |
| ## Arme trifft es schlimmer | |
| Leute, denen der Schutz der Schwachen jetzt schon entweder egal oder ein | |
| Riesenärgernis ist, werden darum kämpfen, sich durchzusetzen. Die heute | |
| schon viel beklagte Polarisierung wird vor allem dort zunehmen, wo die | |
| Situation besonders schlimm ist. In Zukunft wird es zunehmend | |
| Ökoterrorismus geben. Leute, die sich schon heute als Opfer faschistischen | |
| Terrors verstehen, weil sie eine halbe Stunde lang von einer Sitzblockade | |
| aufgehalten werden, werden dann völlig ausflippen und einige sicher | |
| gewalttätig werden. | |
| So wird sich eine Spirale der Gewalt hochschaukeln, ganz wie Butler es | |
| beschreibt. Hier soll kein negatives Menschenbild gezeichnet werden. Die | |
| meisten Menschen sind im Grunde gut. Das Problem ist, dass eine negative | |
| Dynamik in Gang gesetzt werden kann, durch schlimme Ereignisse und wenige | |
| sehr aggressive Akteure. Es wird nicht gleichzeitig und allen passieren. | |
| Aber es wird passieren. Immer öfter. | |
| Oder wir als Menschheit schaffen es doch noch, uns so zu organisieren, dass | |
| wir eine gute Zukunft für alle schaffen. Auch Butler berichtet in ihren | |
| Büchern davon. Lauren gründet nämlich eine neue, sehr vernünftige Religion | |
| und schließt sich in einer freiheitlichen und freundlichen Gemeinschaft mit | |
| anderen zusammen. Auch so etwas ist möglich. Wahrscheinlicher ist aber der | |
| kommende, ungleichzeitige und ungerechte Weltuntergang. | |
| 4 Aug 2022 | |
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