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# taz.de -- Indiens komplizierte CO2-Reduktionsziele: Zwischen Armut und Klimak…
> Die indische Regierung hat ihr Klimaziel verschärft. Dass die Emissionen
> bis 2030 auch absolut sinken, verspricht sie nicht. Was heißt das?
Bild: Bis 2030 sollen die Hälfte des indischen Stroms aus Erneuerbaren kommen:…
Mumbai/Berlin taz | Indien hat dieses Jahr schon eine Klimakrise hinter
sich. Das Frühjahr war viel zu heiß. Die Weizenernte brach ein, der
ungewohnte Kühlbedarf führte zu Stromausfällen, im westindischen
Bundesstaat Gujarat berichteten Naturschützer:innen von Vögeln, die
ausgetrocknet und tot vom Himmel gefallen seien. Die internationale
Forschungsinitiative World Weather Attribution wies schnell nach: Das ist
der Klimawandel. [1][Die menschlichen Treibhausgasemissionen haben das
extreme Wetter 30-mal wahrscheinlicher gemacht.] Jetzt hat Indiens
Premierminister Narendra Modi endlich neue Klimaziele für das laufende
Jahrzehnt vorgestellt. Das Kabinett hat sie gerade verabschiedet.
Die Pläne waren international mit Spannung erwartet worden – und mit einer
gewissen Ungeduld. Laut Pariser Weltklima-Abkommen wären sie eigentlich
schon vor zwei Jahren fällig gewesen, spätestens aber im vergangenen
November zur Weltklimakonferenz im schottischen Glasgow.
Wie sich Indiens Treibhausgas-Emissionen entwickeln, ist fürs Weltklima
wichtig. Das Land hat den weltweit dritthöchsten CO2-Ausstoß. Vor dem
südasiatischen Land kommen im internationalen Ranking nur China auf Platz 1
und die USA.
Auf der anderen Seite stößt ein:e durchschnittliche:r Inder:in nur den
Bruchteil dessen aus, was pro Kopf in diesen Ländern emittiert wird.
Indiens Emissionen sind nur in absoluten Zahlen so hoch, weil das Land so
viele Einwohner:innen hat. Diese leben im Einzelnen keineswegs
besonders klimaschädlich: Indiens Bevölkerung macht 18,1 Prozent der
Menschen auf der Erde aus, die Treibhausgas-Emissionen tragen aber nur 7
Prozent zum weltweiten Ausstoß bei. Diese Diskrepanz prägt Indiens Rolle
beim globalen Klimaschutz.
## Frage der Klimagerechtigkeit
Deshalb ist das Klimaziel, das sich Indien nun bis 2030 gibt, auch etwas
komplizierter: Die Regierung setzt es ins Verhältnis zur Wirtschaftskraft.
Ein US-Dollar Bruttoinlandsprodukt soll im Jahr 2030 mit 45 Prozent weniger
CO2-Emissionen verbunden sein als im Vergleichsjahr 2005. Das ist eine
Verbesserung gegenüber dem, was Indien 2015 geplant hatte, als das
Paris-Abkommen beschlossen wurde: Damals wollte das Land seine Wirtschaft
nur um 33 bis 35 Prozent weniger CO2-intensiv machen. Zugleich lässt das
Ziel offen, ob sich Indiens Emissionen 2030 nicht doch weiter aufwärts
bewegen, wenn die Wirtschaft wie geplant wächst.
Im Paris-Abkommen ist im Prinzip auch geregelt, dass manche Länder beim
Klimaschutz langsamer sein dürfen als andere. Wer historisch wenig
Verantwortung für den Klimawandel trägt und ein armes Land ist – beides
trifft auf Indien zu –, muss auch mehr Zeit bekommen. Die reichen
Industrieländer müssen dafür Raum schaffen, indem sie ihre Emissionen umso
schneller absenken.
Der Weltklimarat IPCC hat allerdings Anfang des Jahres in seinem
Sachstandsbericht zur Klimakrise auch vorgerechnet: [2][Insgesamt müssen
die weltweiten Emissionen schon vor 2025 ihren Höhepunkt erreichen, wenn
die Erde sich nicht um mehr als 1,5 Grad erhitzen soll.]
## Beim Fossilausstieg ist mehr drin
Ein weiteres Versprechen der indischen Klimaziele ist, dass die Hälfte des
Stroms 2030 „aus nichtfossilen Quellen“ kommen werden. Das hatte Modi
bereits im November in Glasgow angekündigt. Aber ist das zu schaffen?
Vibhuti Garg, Energiespezialistin am Institute of Energy Economics and
Financial Analysis in Delhi, sagte der taz, es sei ein „sehr wahrscheinlich
erreichbares“ Ziel. Indien könne auch mehr leisten. „Wir beziehen bereits
40 Prozent aus erneuerbaren Energien“, so Garg. Bis zur 50-Prozent-Marke
ist es also kein großer Sprung mehr.
Allerdings muss man beachten, dass Indien nicht nur beim bisherigen
Strombedarf auf andere Quellen umstellen muss – sondern zugleich auch immer
mehr Strom bereitstellen will. Längst nicht jedes Dorf in Indien ist schon
elektrifiziert, und auch in manchen Gegenden, die bereits am Stromnetz
hängen, sind wöchentliche bis tägliche stromfreie Stunden eher die Regel
als die Ausnahme.
Trotz dieser Herausforderung hofft Garg, „dass Indien dieses Ziel
übertrifft“. Denn weltweit sei eben mehr Engagement nötig, um die
Erderwärmung zu bremsen. Sie vermisst außerdem die Zusage, dass in den
kommenden acht Jahren 500 Gigawatt Strom aus erneuerbaren Energien
produziert würden. In Glasgow hatte Modi das noch in Aussicht gestellt.
Geblieben ist dagegen Indiens Agenda, bis 2070 Netto-null-Emissionen zu
erreichen. Das heißt: höchstens so viel Treibhausgas auszustoßen, wie der
Atmosphäre gleichzeitig wieder entzogen werden, sei es auf natürlichem Wege
durch Wälder oder durch Technologien.
## Indische Verhinderer
Die Umstellung auf erneuerbare Energie dürfte Indien nicht leicht fallen.
Auf der einen Seite ist das Land dabei, die Möglichkeiten auszubauen.
Derzeit sind nichtfossile Kraftwerke mit einer Leistung von 170 Gigawatt
installiert. Längst haben indische Riesen wie Adani, Reliance oder Tata
Wind- und Solarenergie entdeckt, fördern hybride Energieparks und
investieren in Technologien wie grünen Wasserstoff. Auf der anderen Seite
ist Indien auch der zweitgrößte Kohleverstromer der Welt, produziert selbst
und importiert viel Kohle.
In Glasgow verhinderte die Regierung zusammen mit China und dem Iran, dass
es der Kohleausstieg [3][in den Beschluss zum Abschluss der Konferenz
schafft]. Die Pflicht, Kohlekraftwerke im Sinne des Klimas und der
Luftqualität zumindest durch Filter oder andere technische Vorrichtungen
weniger schädlich zu machen, schob Delhi kürzlich erneut auf 2025 auf.
Indiens Städte zählen zu den am stärksten verschmutzten der Welt.
Gerade seit Russlands Angriff auf die Ukraine habe das Kohle-Thema noch mal
Aufwind bekommen, meint Energieexpertin Garg. Mit Blick auf europäische
[4][Länder wie Deutschland, die in der Gaskrise die Kohle quasi
wiederentdecken,] sagt sie: Die Industriestaaten könnten Indien nichts
vorschreiben, was sie selbst nicht einhalten.
Der Umweltaktivist Yash Agrawal aus Mumbai blickt deshalb wenig
optimistisch auf die aktuelle Entwicklung. Er sehe keine substanziellen
Maßnahmen, um die nun erklärten Klimaziele tatsächlich zu erreichen,
kritisiert er. „Die systematische Schließung von Kohlekraftwerken, ein
Stopp neuer Autobahnen und der Abholzung von Wäldern für
Infrastrukturprojekte wie Hochgeschwindigkeitszüge sollten umgesetzt
werden“, meint der 26-Jährige. Er würde sich mehr Klimagerechtigkeit
wünschen.
Wie andere Länder des Globalen Südens macht Indien sein Klimaziel zudem
davon abhängig, dass die Industrieländer genug Hilfsgeld schicken. Das
entspricht internationalen Vereinbarungen, es geht dabei aber schleppend
voran. [5][Schon vor mehr als zehn Jahren haben die Industriestaaten
versprochen, ab 2020 gemeinsam 100 Milliarden US-Dollar bereitzustellen] –
und zwar jährlich.
Bislang ist diese Summe allerdings nie erreicht worden. Das beklagen nicht
nur die armen Länder, die auf das Geld warten, oder Hilfsorganisationen wie
Oxfam. Auch der Industrieländerclub OECD selbst kommt in seinen
Berechnungen auf eine eklatante Lücke von fast einem Fünftel der Summe.
„Wir wissen, dass mehr getan werden muss“, sagte OECD-Chef Mathias Cormann
Ende Juli bei der Präsentation der Zahlen für 2020.
Von der indischen Regierung heißt es dazu: „Indien wird seinen fairen
Anteil an solchen internationalen finanziellen Ressourcen und auch an
technologischer Unterstützung brauchen.“
9 Aug 2022
## LINKS
[1] /Extreme-Hitze-in-Indien-und-Pakistan/!5853515
[2] /IPCC-Bericht-im-Detail/!5837975
[3] /Die-Ergebnisse-der-COP-26/!5815148
[4] /Ersatz-fuer-Gas-in-der-Stromerzeugung/!5871326
[5] /Petersberger-Klimadialog-in-Berlin/!5869188
## AUTOREN
Natalie Mayroth
Susanne Schwarz
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