| # taz.de -- Fünf Jahre AfD im Abgeordnetenhaus: Milchglas und Rechtspopulismus | |
| > Die AfD hat den Ton im Abgeordnetenhaus rauer gemacht. Dagegen helfen | |
| > konsequente Ausgrenzung, Konfrontation – und eben Milchglas. | |
| Bild: AfD-Parteitag in Berlin-Biesdorfer, Juni 2021: Kristin Brinker und Georg … | |
| Berlin taz | Im obersten Stockwerk des Abgeordnetenhauses sitzt die | |
| Fraktion der Linken direkt neben der AfD. Trennt diese beiden Parteien | |
| inhaltlich normalerweise so ziemlich alles, ist es hier nur eine dünne | |
| Glasscheibe in einer Tür. Früher war diese transparent. Heute klebt | |
| Milchglasfolie drauf. Aus nachvollziehbaren Gründen. | |
| Die Linksfraktion hat die undurchsichtige Folie dort anbringen lassen. Sie | |
| will verhindern, dass die AfD sehen kann, wer bei der Linken über den Flur | |
| läuft. Das Milchglas ist gewissermaßen der physische Ausdruck einer | |
| veränderten politischen Kultur im Abgeordnetenhaus. Die AfD sitzt seit 2016 | |
| in Berlins Parlament, und seither hat sich einiges verändert. Wenn man sich | |
| mit Abgeordneten verschiedener Fraktionen im Berliner Parlament unterhält, | |
| wird klar: Der Ton hier ist rauer geworden. | |
| Übereinstimmend erzählen Abgeordnete verschiedener Fraktionen, dass die | |
| AfDler an parlamentarischer Arbeit nicht wirklich interessiert seien und im | |
| Abgeordnetenhaus im Wesentlichen nur für ihre Social-Media-Kanäle | |
| performen, um Ausschnitte von Reden für die Selbstinszenierung zu nutzen. | |
| Auf Twitter und Facebook hat die AfD zudem verschiedene Kampagnen | |
| orchestriert, die zielgerichtet gegen Abgeordnete diverser Fraktionen | |
| hetzten. | |
| Natürlich ist das auch im Plenum spürbar: Die linke Fraktionsvorsitzende | |
| Anne Helm, die bereits vor ihrem Einzug ins Abgeordnetenhaus im Fokus | |
| rechter Hetzer und Neonazis stand, sagte der taz: „Im Plenum hat man das | |
| Gefühl, man redet gegen eine Pegida-Demonstration an.“ Besonders häufig | |
| gebe es Verbalattacken gegen weibliche Abgeordnete in demütigender Absicht. | |
| Während der Reden komme es zu Kussgeräuschen, Gesten und sexistischen | |
| Kommentaren. Helm sagt, sie halte dennoch nichts davon, so etwas komplett | |
| zu ignorieren: „Widerspruch muss dauerhaft deutlich sein, sonst schreitet | |
| eine Normalisierung voran, die gefährlich ist.“ | |
| ## Unterschiedlicher Umgang mit der AfD | |
| Der Umgang mit dem martialischen Auftreten, rassistischen Reden und | |
| persönlichen Diffamierungskampagnen ist dabei durchaus unterschiedlich. | |
| Auch hier im Parlament gibt es jene, die auf strikte Ausgrenzung und | |
| Konfrontation setzen, und solche, die sich zwar von der AfD abgrenzen, sie | |
| aber dennoch „in einer harten und fairen Auseinandersetzung argumentativ | |
| stellen wollen“, wie es etwa Burkard Dregger von der CDU der taz sagt. | |
| Damit die AfD sich nicht als ausgegrenztes Opfer stilisieren könne. Die | |
| Brandmauer zur AfD stehe aber selbstverständlich, wie Dregger zusichert, | |
| man würde mit der AfD keine gemeinsamen parlamentarischen Initiativen | |
| ergreifen. | |
| Allerdings weisen Abgeordnete anderer Fraktionen auch darauf hin, dass sich | |
| die CDU teilweise in bestimmten Ausschüssen gar nicht so schlecht mit der | |
| AfD verstehe. Nach dem Untersuchungsausschuss Hohenschönhausen etwa dankte | |
| die AfD der CDU für die gute Zusammenarbeit – auch wenn die CDU nichts | |
| davon wissen wollte und das zurückwies. Thematisch gibt es in manchen | |
| Bereichen allerdings Überschneidungen – hinzu kommt, dass auf der gesamten | |
| rechten Seite des Parlaments kaum Frauen sitzen: Sowohl in der CDU als auch | |
| in FDP und AfD sind bis auf wenige Ausnahmen nur Männer. | |
| „Die Brandmauern sind nicht immer so hoch, wie man sich das wünschen | |
| würde“, sagt June Tomiak von den Grünen, Sprecherin für Strategien gegen | |
| Rechtsextremismus. Am Anfang der Legislatur habe es Versuche gegeben, einen | |
| demokratischen Konsens im Abgeordnetenhaus zum Umgang mit der AfD zu | |
| verabreden – auch mit CDU und FDP. Einen Konsens zum Umgang fanden | |
| schließlich aber nur die Fraktionen von Rot-Rot-Grün. | |
| Auch Tomiak hat schon Diffamierungen im Netz erlebt und klagte etwa | |
| erfolgreich gegen Gunnar Lindemann, Querdenken-naher Abgeordneter aus | |
| Marzahn. Nachdem Lindemann einer einstweiligen Verfügung Tomiaks nicht | |
| nachkam, ein Twitter-Post mit Falschbehauptungen zu löschen (er hatte | |
| geschrieben, sie werfe Steine auf einer Demo), musste er eine | |
| Vertragsstrafe zahlen. Tomiak tritt jetzt in dessen Wahlkreis | |
| Marzahn-Hellersdorf direkt gegen ihn an: „Um Paroli zu bieten gegen | |
| Lindemann und gegen die AfD insgesamt, auch in ihren Hochburgen“, sagt sie. | |
| ## Zwischenrufe unter der Gürtellinie | |
| Im Plenum nehme auch Tomiak ein stetiges „Blöken“ aus der AfD-Fraktion | |
| wahr, wenn sie rede. Bei ihr zielten die AfDler*innen meist auf das | |
| Alter, wie sie sagt. Die Zwischenrufe unter der Gürtellinie waren mehrfach | |
| Thema im Ältestenrat. Tomiak ist mit 24 Jahren die jüngste Abgeordnete im | |
| Parlament. Insgesamt sei der Umgang der demokratischen Fraktionen mit der | |
| AfD allerdings gut, so Tomiak. Aber CDU und FDP vergäßen oft im Umfang mit | |
| der AfD, „was der Unterschied zwischen demokratisch gewählt und | |
| demokratisch ist“. | |
| Übereinstimmend von mehreren Fraktionen heißt es, dass die eigentliche | |
| parlamentarische Arbeit in den Ausschüssen der AfDler*innen eher | |
| Arbeitsverweigerung gleichkomme. [1][Einige Anträge hat die AfD sogar | |
| nachweislich abgeschrieben]. In manchen Ausschüssen ließen sich AfDler eher | |
| unregelmäßig blicken. Übereinstimmend berichten Abgeordnete verschiedener | |
| Fraktion etwa davon, dass die AfD im Untersuchungsausschuss zum Anschlag am | |
| Breitscheidplatz häufig durch Abwesenheit glänzte. | |
| Benedikt Lux, Innenpolitiker der Grünen, sagte dazu: „Ich weiß dabei nicht, | |
| was mir lieber ist: ein fauler oder ein fleißiger Rechtsextremer.“ Bei der | |
| Berliner AfD habe es sich definitiv um die faule Abgeordnete gehandelt, die | |
| Qualität von Anfragen, Anträgen und Wortbeiträgen sei teilweise unter aller | |
| Kanone gewesen. „Ich schätze den argumentativen Austausch mit Konservativen | |
| im Ringen um bestmögliche Politik“, sagt Lux, aber man merke: Der AfD gehe | |
| es nicht um einen demokratischen Austausch. Oder wie es ein anderer | |
| Mitarbeiter der Linken mit Blick auf Trumps ehemaligen Chefstrategen Steve | |
| Bannon formuliert: „Die AfD hat ihren Bannon gelesen: Die wollen einfach | |
| ‚den Straftraum mit Scheiße fluten‘.“ | |
| Wie das konkret läuft, weiß der Politikwissenschaftler Benedict Ugarte | |
| Chacón. Er ist freier Journalist und seit Januar auch Referent der | |
| Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Ugarte Chacón hat Anfang des Jahres das | |
| Buch „Parlamentarischer Populismus“ über die Arbeit der AfD-Fraktion in | |
| Berlins Parlament im Berliner Wissenschaftsverlag veröffentlicht und dafür | |
| zahlreiche Redebeiträge, die Parlamentsdokumentation und die Inhalte der | |
| AfD ausgewertet. Die parlamentarischen Initiativen erwiesen sich nach | |
| seiner Analyse als nicht fundiert. Laut Ugarte Chacón lesen AfD-Abgeordnete | |
| häufig nicht einmal die Ausschussunterlagen oder denken sich einfach Dinge | |
| aus. „Das ist völlig unprofessionell. Die halten zwar Reden, sind aber | |
| ansonsten stinkfaul“, so Ugarte Chacón. | |
| ## Der fachkompetente Unterbau fehlt | |
| Man merke, dass der Partei ein fachkompetenter Unterbau fehle: Mitarbeiter | |
| bei der AfD arbeiteten meistens aus Überzeugung dort und nicht aufgrund von | |
| Fachkompetenz. Und solche, die kompetent seien, wollten sich zumeist nicht | |
| ihren Lebenslauf ruinieren, indem sie für die AfD arbeiteten, sagt Ugarte | |
| Chacón. | |
| „Der Ton wird rauer“, sagt auch Ugarte Chacón, der mittlerweile auch mit | |
| der AfD in Ausschüssen zu tun hat. Man habe sich zwar auch früher nicht mit | |
| Samthandschuhen angefasst, aber durch die AfD hätten offene Äußerungen von | |
| Ressentiments deutlich zugenommen: „Im Prinzip führt die AfD jedes Problem | |
| auf Flüchtlinge zurück. Sie seien schuld an dreckigen Schulen, an nicht | |
| funktionierenden Ämtern, an aller Kriminalität sowieso.“ | |
| Gefährlich sei, die Positionen der AfD zu normalisieren. „Das aber | |
| geschieht vor allem in Medien“, sagt Ugarte Chacón, „einerseits schreibt | |
| der Tagesspiegel, etwas überspitzt, wie schlimm die Nazis beim Flügel sind, | |
| andererseits darf Ronald Gläser in der selben Zeitung einen Gastbeitrag zu | |
| Rundfunkgebühren veröffentlichen.“ Auch im RBB würde ständig die AfD | |
| interviewt. „Die Republikaner und die NPD hat man nicht so behandelt“, sagt | |
| Ugarte Chacón. „Dabei ist es es gefährlich, die AfD in den normalen Diskurs | |
| einzubeziehen, weil es eine Normalisierung von rechtspopulistischen | |
| Positionen ist.“ | |
| Das Argument, dass sich die AfD ansonsten als Opfer gerieren würde, lässt | |
| er nicht gelten: „Die AfD geriert sich immer als Opfer. Das ist ein | |
| grundlegendes ideologisches Element rechtspopulistischer Akteure.“ | |
| Rechtspopulismus lebe davon, dass er sich als Underdog inszeniere, so der | |
| Politikwissenschaftler. „Trump war der mächtigste Mann der Welt und tat | |
| trotzdem so, als sei er der Underdog.“ | |
| ## Die AfD ausgrenzen | |
| Ugarte Chacón rät dringend zu strikter Ausgrenzung: „Man sollte die AfD und | |
| ihre Wähler ernst nehmen, wie sie sind.“ Wenn die AfD einen Schießbefehl an | |
| der Grenze befürworte, muss man auch so mit der AfD umgehen: „Wie mit | |
| Leuten, die andere umbringen wollen eben.“ Es schade nicht, dazu eine | |
| Haltung zu haben und die AfD auszugrenzen. So erklärt Ugarte Chacón auch | |
| aller Inkompetenz zum Trotz eine konstant zweistellige Umfragewerte der | |
| Rechtspopulisten: „Die Leute wählen die AfD, weil sie rassistisch ist. Dann | |
| sind die Wähler halt Rassisten.“ Die brauche man nicht abzuholen. Dass man | |
| diese Wähler*innen zurück zu gewinnen versuche, sei Selbstbetrug. | |
| Der AfD-Fraktionsvorsitzende Georg Pazderski lehnte mehrere | |
| Gesprächsanfragen der taz ab. Landeschefin Kristin Brinker sagte im | |
| Rückblick auf die Legislatur: „Für Newcomer haben wir uns gut geschlagen. | |
| Wir waren eine vernünftige und gute Opposition.“ | |
| Dass die anderen Fraktion das geschlossen anders sehen, machte auch noch | |
| einmal der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) in seiner | |
| Abschiedsrede vergangene Woche deutlich. Brinker hatte sich zuvor in einem | |
| Radio-Interview nicht wirklich vom Rechtsextremisten Björn Höcke | |
| distanziert. Müller sagte: „Wie halten Sie es damit? Mit einem Menschen, | |
| den man gerichtlich bestätigt Faschist nennen kann und der von einer | |
| 1.000-jährigen Zukunft Deutschlands spricht? Was haben Sie gesagt? Gar | |
| nichts. Sie haben rumgeeiert! Ein Faschist gehört nicht in die Politik (…) | |
| Sie sind eine Belastung für unser demokratisches Handeln!“ | |
| Alle Fraktionen außer der AfD applaudierten ausgiebig nach diesen Sätzen | |
| Müllers, die AfD-Fraktion tobte. | |
| 20 Sep 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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