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# taz.de -- Fairer Mutterschutz für Selbstständige: Kinder als Karriererisiko
> Mutterschutz und Elternzeit gelten nur eingeschränkt für
> Politiker:innen und Selbstständige. Doch eine EU-Richtlinie lässt
> hoffen.
Bild: Kämpft für gleiche Rechte im Mutterschutz für Selbstständige: Schrein…
Patrick Puhlmann hat ein Problem. Allerdings keines, das er selbst
verursacht hat, sondern eines, das ihm andere bereiten. Der Landrat des
Kreises Stendal in Sachsen-Anhalt ist seit vergangenem Jahr Vater und will
seine Familie so unterstützen, wie [1][das moderne Väter eben machen]: mit
Elternzeit. Politiker sollten Vorbild sein, vor allem [2][bei familiärer
Carearbeit].
Auch Johanna Röh hat ein Problem. Sie ist vor acht Wochen Mutter geworden
und damit ein finanzielles Risiko eingegangen. Keines, das viele Eltern
trifft, weil Kinder nun mal kosten. Als selbstständige Tischlerin mit
eigener Werkstatt in Alfhausen in Niedersachsen ist sie in der Zeit des
Mutterschutzes – sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Entbindung –
finanziell nicht abgesichert.
Auf den ersten Blick scheinen beide Probleme unabhängig voneinander zu
existieren. Was hat der finanziell abgesicherte Lokalpolitiker ohne
Vätermonate mit der [3][selbstständigen Handwerkerin in Mutterschutz] ohne
finanziellen Schutz zu tun? Die Verbindung zwischen Puhlmann und Röh ist
das Gesetz: Während für Mütter und Väter in gewöhnlichen
Beschäftigungsverhältnissen – Verkäufer:innen, Lehrer:innen, Angestellte
bei Krankenkassen – Mutterschutz und Elternzeit ganz klar geregelt sind,
gilt das für Politiker:innen und Selbstständige nicht.
Es ist kompliziert, holen wir also etwas aus. Politiker Puhlmann könnte
zwar [4][Elternzeit nehmen], dafür müsste er seine Arbeit aber vollständig
ruhen lassen. Der ambitionierte Landrat will aber nicht komplett pausieren,
sondern von August bis Mitte Oktober seine Arbeitsstunden einfach nur
reduzieren, auf 22 Stunden wöchentlich. Dabei hat sein Arbeitgeber, in
diesem Fall der Kreistag, ein Mitspracherecht. Und der sagte bei einer
Abstimmung Ende Juni: No way, so geht das nicht, entweder ganz aussteigen
aus dem Job oder gar nicht.
## Abgeordnete haben kein Recht auf Elternzeit
Die Stendaler Vaterschaftscausa erinnert an alte Debatten um Mutterschaft
im Plenarsaal. Vor vier Jahren wurde [5][die Grünen-Abgeordnete Madeleine
Henfling] aus dem Thüringer Landtag geworfen, weil sie bei einer Abstimmung
[6][ihr Baby dabei] hatte.
Abgeordnete haben kein Recht auf Elternzeit, ihr Mandat ist ihre
verfassungsrechtliche Pflicht. Wie sie die auslegen, bleibt ihrem Ermessen
und Gewissen geschuldet. Das ist ein Dilemma. Nehmen Abgeordnete ihre Sache
ernst und entscheiden sich dafür, verkürzt weiter- oder rasch wieder zu
arbeiten, werden sie von manchen parlamentarischen Prozessen
ausgeschlossen. Auch Mütter wie die Grüne Franziska Brantner und die
[7][frühere CDU-Familienministerin Kristina Schröder] kennen das.
Die Tischlermeisterin Röh nimmt ihren Job ebenfalls ernst. Sie kann und
will ihren Handwerksbetrieb nicht lahmlegen, nur weil sie ein Kind bekommen
hat. Doch ihre Schwangerschaft und die Geburt ihrer Tochter sind für sie
ein unternehmerisches Risiko. Selbstständige bekommen weder
Lohnfortzahlungen für den Fall, dass sie wegen der Schwangerschaft
ausfallen, noch den Arbeitgeberzuschuss zum Mutterschaftsgeld. Betroffene
können nur vor der Kinderphase genügend Geld für die Zeit mit dem Baby zu
Hause sparen.
Im Fall von Röh war das nicht möglich. Ihre Werkstatt läuft zwar gut, am
Ende blieb trotzdem nicht genug Geld zum Sparen fürs Baby übrig. Das hat
die junge Frau so geärgert, dass sie die Petition [8][„Gleiche Rechte im
Mutterschutz für selbstständige Schwangere“] in den Bundestag eingebracht
hat. „Selbstständige Schwangere müssen den gleichen gesetzlichen
Mutterschutz genießen wie Angestellte. Eine Schwangerschaft darf keine
Existenzbedrohung sein oder zu einer Chancenungleichheit auf dem
Arbeitsmarkt führen“, heißt es darin. In ein paar Tagen läuft die Petition,
die bis Dienstagnachmittag 61.422 Menschen unterschrieben haben, aus.
Würde der Bundestag nur einige Kilometer weiter nach Brüssel schauen, fände
er eine Lösung des Problems: Eine EU-Richtlinie schreibt vor,
Selbstständige beim Mutterschutz finanziell besser abzusichern. So „können
sie Mutterschaftsleistungen erhalten, die eine Unterbrechung ihrer
Erwerbstätigkeit während mindestens 14 Wochen ermöglichen“.
Puhlmanns Problem hat sich unterdessen gelöst: Der Landrat darf seine
Elternzeit jetzt nehmen, wie er das möchte. Der Kreistag hat sich
überzeugen lassen.
12 Jul 2022
## LINKS
[1] /Vaeter-in-der-Politik/!5859622
[2] /Offener-Brief-an-Familienministerin-Paus/!5861910
[3] /Petition-der-Woche/!5844741
[4] /Diskriminierung-von-Fuersorgenden/!5857067
[5] /Babys-im-Parlament/!5688597
[6] /Vaeter-in-der-Politik/!5859622
[7] /Debatte-Schroeders-Schwangerschaft/!5127601
[8] https://epetitionen.bundestag.de/content/petitionen/_2022/_05/_06/Petition_…
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Elternzeit
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Mutterschutz
Kolumne Kinderspiel
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Familie
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Elternzeit
Wissenschaft
Väter
Babynahrung
Gesundheitspolitik
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