# taz.de -- Wissenschaftlerinnen über Mutterschaft: Unsichtbare Mütter | |
> Sarah Czerney und Lena Eckert haben ein Netzwerk für Mütter in der | |
> Wissenschaft gegründet. Noch immer gibt es für Frauen mit Kindern große | |
> Hürden. | |
Bild: Oft wird Frauen signalisiert, die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Wiss… | |
taz: Frau Czerney, Frau Eckert, Sie geben nun schon Ihr zweites Buch zum | |
Thema Mutterschaft in der Wissenschaft heraus. Sind Mutterschaft und | |
Wissenschaft überhaupt miteinander vereinbar? | |
Beide: Nein. | |
Sarah Czerney: Für einige ist es vielleicht individuell vereinbar. Wir | |
würden aber sagen, strukturell ist eher eine Unvereinbarkeit festzustellen, | |
und zwar nicht der Tätigkeiten: Man kann sehr wohl Mutter sein und | |
Wissenschaftlerin. Aber die gesellschaftlichen Positionierungen | |
„Wissenschaftler“ und „Mutter“ mitsamt ihren Idealisierungen und | |
Ideologisierungen sind unvereinbar. | |
Lena Eckert: Diese beiden Positionierungen befinden sich in zwei sich | |
diametral gegenüberstehenden symbolischen Kontexten. In der westlichen | |
Philosophie ist das mit der Körper-Geist-Trennung zu erklären, dass eben | |
der Wissenschaftler den Geist und das Geniesein, darstellt. Und die Mutter | |
genau das Gegenteil – mit ihrer Körperlichkeit, ihrer ständigen | |
Verfügbarkeit und der Sorgearbeit in der Familie, die sie zu 100 Prozent | |
unentgeltlich erfüllen muss. | |
Haben Sie ein Beispiel dafür? | |
SC: Das kann in Bewerbungsgesprächen die unzulässige Frage nach | |
Kinderwunsch, nach Familienplanung sein, die meistens nur Frauen gestellt | |
wird. Oder eine Tagung, bei der eine Mutter gefragt wird: Wo sind denn Ihre | |
Kinder gerade? Das bedeutet: [1][In erster Linie bist du zuständig für die | |
Kinder.] | |
Warum ist das Thema Mutterschaft und Wissenschaft wichtig? | |
LE: Weil es bisher tabuisiert wurde. Einerseits auf der fachlichen Ebene, | |
weil es sehr wenig Forschung zu Mutterschaft gibt. Andererseits aber auch | |
auf der personellen Ebene – unter den ohnehin schon wenigen Frauen in | |
wissenschaftlichen Führungspositionen sind sehr wenige Mütter. Mütter | |
werden strukturell aus dem Wissenschaftsbetrieb herausgedrängt. Das | |
verstärkt sich noch mal mehr infolge der Pandemie. | |
Sie beide sind an ostdeutschen Wissenschaftseinrichtungen angestellt. Macht | |
das einen Unterschied in der Mutterschaft? | |
LE: Ich habe eine westdeutsche Sozialisation. Meine Vermutung ist, dass wir | |
im Osten immer noch die bessere Kinderbetreuung haben, zumindest hatten wir | |
sie vor der Pandemie. Wir sprechen auch viel darüber. | |
SC: Ich bin 1984 in Magdeburg geboren und würde sagen, dass ich | |
ostsozialisiert bin. Ich stelle schon einen Unterschied fest. Neben dem, | |
was Lena sagt, gibt es eine Normalisierung von Erschöpfung. Weil das | |
nämlich zu gehen hat, dass man diese Doppelt- und Dreifachbelastung | |
aushält, weil das die erwerbstätigen Ostmütter immer schon gemacht haben. | |
Und wenn nun deren Töchter in unserer Generation als Mütter plötzlich | |
aufbegehren gegen diese Erschöpfung, dann reißt das noch mal andere Gräben | |
auf. | |
Gibt es denn einen Unterschied in verschiedenen Fachrichtungen? | |
LE: Wir beide kommen aus den Geisteswissenschaften, aber in den | |
MINT-Fächern sehen wir noch mal härtere Parameter. Es ist ein noch stärker | |
männlich dominiertes Feld. Dazu kommt zum Beispiel die Laborarbeit, die | |
Schwangere oft nicht durchführen können. | |
Warum ist das ein Problem? | |
LE: Wir hatten bei einer Lesung mal eine Teilnehmerin, die erzählte, dass | |
sie in einem Forschungsprojekt arbeitete, das mit radioaktiver Strahlung | |
operierte, als sie schwanger war – sie durfte und wollte also nicht mehr | |
dort arbeiten. Das wurde individuell gelöst. Ihre Kolleginnen sind für sie | |
eingesprungen, Praktikantinnen haben die Forschung durchgeführt und die | |
Messdaten an sie nach Hause gemeldet. Das war nur möglich aufgrund des sehr | |
zuvorkommenden und kollegialen Umfelds. | |
Was wäre eine bessere Lösung? | |
LE: Dass Mütter eben nicht die ganze Zeit individuelle Lösungen finden | |
müssen, sondern supported werden oder einfach selbstverständlich da sind. | |
Was eben heißen würde, dass sehr viele Regeln umgeschrieben werden müssten, | |
die sonst nur den unabhängigen Wissenschaftler im Blick haben, der keiner | |
anderen Tätigkeit als nur der Wissenschaft verpflichtet ist. | |
Wie sieht das konkret aus? | |
SC: Wir wünschen uns eine erhöhte Sichtbarkeit des Themas Mutterschaft, und | |
zwar einerseits auf einer theoretischen Ebene, also dass Mutterschaft | |
diskutiert wird – vor allem in Fächern, die sich gesellschaftskritisch | |
nennen. Und andererseits arbeiten wir dafür, dass tatsächliche Mütter in | |
der Wissenschaft sichtbarer sind, auch als Vorbilder. Auch Gremien sind zu | |
homogen. Die müssen diverser werden. | |
LE: Dann gibt es viele strukturelle Sachen, wie zum Beispiel | |
Stipendienausschreibungen oder bei Förderprogrammen, wo oft das biologische | |
Alter und nicht das akademische Alter mit Herausrechnung der Elternzeiten | |
und der daraufhin ja weiter bestehenden Familienarbeit gesehen wird. | |
SC: Auch müssten sich sämtliche Wissenschaftseinrichtungen überlegen, wie | |
sie mit dem Corona-Gender-Gap umgehen wollen. Mit dem Fakt, dass infolge | |
der Pandemie weibliche Personen mit [2][Care-Aufgaben] noch häufiger aus | |
der Wissenschaft rausfallen. Das wird dramatisch sein in den nächsten | |
Generationen. | |
Wie kommt Ihr Thema im Wissenschaftsbereich an? | |
LE: Wir bekommen sehr viele Anfragen aus den unterschiedlichsten | |
Universitäten und Hochschulen für Lesungen, Workshops und | |
Podiumsdiskussionen. | |
SC: Es gibt einen großen Bedarf, sich auszutauschen und zu vernetzen. In | |
fast jeder Lesung sind Tränen geflossen bei Beteiligten, die erleichtert | |
waren festzustellen, dass sie nicht alleine sind. Die Strukturen, in denen | |
wir sind, vereinzeln uns. Das Thema Mutterschaft ist unsichtbar, jede | |
struggelt so vor sich hin und der Gedanke liegt nahe: Es liegt an mir, dass | |
ich es nicht schaffe. | |
LE: Es gibt ein Tabu, das dem aufliegt: Wir kennen Geschichten von | |
Wissenschaftlerinnen, die ihr Kind verschweigen, bis zu dem Punkt, an dem | |
sie dann auf der Professur sitzen. Und dann fangen sie an zu erzählen: „Ich | |
habe übrigens eine achtjährige Tochter.“ | |
Können Sie das nachvollziehen? | |
SC: Klar, weil es das System, wie es gerade ist, weniger stört. Und wenn | |
man da Erfolg haben möchte, verstehe ich das. | |
Sie haben gerade von der Unterstützung gesprochen – erfahren Sie auch | |
negative Reaktionen? | |
LE: Wir merken, dass es Widerstände gibt und Irritation und stellen | |
Berührungsängste mit dem Thema Mutterschaft fest, gerade in feministischen | |
Kreisen. Mir wurde sogar schon gesagt: „Ja, aber das ist doch was | |
Privates.“ Von einer ausgesprochenen, selbst bezeichneten Feministin, wo | |
mir die Kinnlade auf den Tisch gefallen ist und ich mir gedacht habe: | |
Hallo, das Private ist doch politisch! Mutter und Mutterschaft sind | |
irgendwie bieder, klebrig – man traut sich nicht so richtig ran. Wir | |
wünschen uns, dass Mütter wieder Teil der feministischen Bewegung und auch | |
des akademischen Feminismus werden – Mutterschaft als politische Kategorie. | |
Sie haben nicht nur zwei Bücher herausgegeben, sondern auch das | |
[3][Netzwerk Mutterschaft und Wissenschaft] gegründet. Was wollen Sie mit | |
dem Netzwerk erreichen? | |
SC: Vor allem Sichtbarkeit für das Thema schaffen, Austausch ermöglichen | |
zwischen Müttern in der Wissenschaft. Das geschieht in lokalen Gruppen und | |
bei Onlinetreffen. | |
LE: Wir haben bereits mehr als 350 Mitglieder und wollen eine politische | |
Schlagkraft entfalten. Wir wünschen uns für das Netzwerk, dass die | |
Ressourcen gebündelt werden können, um es auszubauen. Dass wir vielleicht | |
in ein, zwei Jahren auch eine große Tagung organisieren oder gemeinsam | |
Förderanträge stellen können. | |
SC: Was noch wichtig ist: Es ist ein Netzwerk für Mütter und ihre | |
Alliierten. Diese Probleme, die an dem Thema Mutterschaft und Wissenschaft | |
hängen, die betreffen eigentlich alle. | |
Sind denn auch Kinderlose dabei? | |
SC: Vereinzelt bisher. Aber wir beobachten zunehmend, dass wir außerhalb | |
von Mütterkreisen wahrgenommen werden. Zum Beispiel sind wir auf der | |
Jahrestagung der GEW, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, | |
eingeladen, einen Input zu liefern zu Mutterschaft und Wissenschaft. Weil | |
diese Themen eben sichtbarer werden außerhalb der Kreise der „Betroffenen“. | |
26 Jul 2022 | |
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[3] https://www.mutterschaft-wissenschaft.de/ | |
## AUTOREN | |
Nicole Opitz | |
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