# taz.de -- Umsetzbarkeit der Energiewende-Pläne: Wer soll das alles machen? | |
> Die Energiewende soll schnell kommen. Windräder und Solarpaneele gibt’s | |
> genug. Es fehlen Stromtrassen, Geschäftsmodelle und Arbeitskräfte. | |
Bild: Industriekletterer am Rotorblatt | |
„Das ist das größte energiepolitische Gesamtpaket der letzten zwei | |
Jahrzehnte“, sagte Robert Habeck [1][im April bei der Vorstellung des | |
„Osterpakets“]. Das Signal des grünen Wirtschafts- und Klimaministers: | |
Vorbei die Zeiten, wo Energiewende und Klimaschutz von einer zögerlichen | |
Politik ausgebremst wurden. Jetzt, so der Grüne, würden Gesetze geändert, | |
Gelder bewilligt, die „Bremsklötze beseitigt“. Dieser Linie folgte in | |
dieser Woche der Bundestag und stimmte für das Oster- und das Sommerpaket. | |
Wenn es jetzt also noch klemmt, so die Regierung, hat das andere Gründe als | |
bisher: „[2][Die Probleme werden wir nicht bei den Gesetzen haben“, so | |
Habeck, „sondern bei der Produktion und der Bautätigkeit.“] | |
Denn vor Deutschland liegt ein gewaltiger Ausbau der Öko-Infrastruktur. Da | |
trifft die Theorie des Klimaschutzes auf die Realität der Baustellen: Nach | |
langem Dornröschenschlaf sollen die Erneuerbaren, vor allem Wind- und | |
Solarenergie, jetzt in Deutschland mit einem Kaltstart hochgefahren werden. | |
Aber es ist unklar, wie und von wem die großen Pläne überhaupt in der | |
gewünschten Windeseile umgesetzt werden können. Woher sollen all die Wind- | |
und Solaranlagen kommen? Wer soll sie planen, finanzieren und montieren? | |
Für die Umsetzung seiner Pläne ist das Ministerium auf viele Akteure und | |
günstige Entwicklungen angewiesen. Habeck sagt: „Die Industrie muss sich | |
darauf einstellen, ihre Kapazitäten enorm zu steigern.“ | |
Die Ausbaupläne sind ehrgeizig: Der Anteil des Ökostroms am Gesamtaufkommen | |
soll bis 2030 von etwa 45 Prozent (2021) auf 80 Prozent hochgeschraubt | |
werden. Gleichzeitig soll insgesamt mehr Strom produziert werden. [3][Dafür | |
braucht es laut Habeck jedes Jahr zusätzlich 10 Gigawatt Leistung bei Wind | |
an Land – etwa 5-mal so viel, wie 2021 installiert wurden. Bei Photovoltaik | |
(PV) muss es 4-mal so schnell gehen wie jetzt und die Kapazität auf | |
jährliche 22 Gigawatt steigen]. Die Windkraft im Meer soll von derzeit 8 | |
auf enorme 30 Gigawatt bis 2030 steigen. | |
## „Dieser Ausbau ist zu schaffen“ | |
Auch wenn manche in der Branche hinter vorgehaltener Hand meinen, das sei | |
alles nicht machbar, sagt Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer des | |
Dachverbands [4][VDMA Power Systems]: „Dieser Ausbau ist von den | |
industriellen Kapazitäten her zu schaffen.“ Der Dachverband vertritt die | |
Herstellerfirmen von Energieanlagen. Der globale Windmarkt gebe diese | |
Mengen her, ist Rendschmidt überzeugt. Ähnlich schätzt das der | |
[5][Bundesverband Solarwirtschaft] (BSW) ein. Der Weltmarkt produziere | |
inzwischen jährlich PV-Anlagen mit einer Kapazität von 150 Gigawatt, ein | |
Vielfaches des deutschen Bedarfs. Weil die Fabriken hochautomatisiert sind, | |
lasse sich das Produktionsvolumen leicht anpassen. | |
Allerdings hapere es oft an scheinbar kleinen Logistikfragen, warnen die | |
Branchen. Dennis Rendschmidt kritisiert, dass die Genehmigungsprozesse | |
derzeit zu starr und kompliziert sind. So seien für die Errichtung einer | |
Windenergieanlage in Deutschland bis zu 120 Genehmigungen notwendig. Und | |
„europaweit fehlt es zum Beispiel an Spezialkränen, mit denen man die | |
riesigen Anlagen aufstellen kann“, sagt Rendschmidt. | |
Am wichtigsten sei aber, dass sich die Unternehmen – anders als beim Auf | |
und Ab der Vergangenheit – auf die langfristigen Rahmenbedingungen | |
verlassen können. Erst wenn klar sei, dass Fragen wie Flächenbedarf, | |
Bürokratie oder Artenschutz geklärt sind, werde die Industrie in neue Werke | |
investieren, um langfristig die gewünschten Mengen herzustellen. | |
„Für den nötigen erhöhten Ausbau nach 2030 müssen die Signale jetzt | |
kommen“, sagt Rendschmidt. Und der Industrievertreter wünscht sich höhere | |
Preise für die Windanlagen: „Der Stahl für eine Windenergieanlage ist in | |
den letzten Jahren viermal so teuer geworden wie vorher.“ | |
## Kompromisse beim Vogelschutz und den Abstandsregeln | |
Das Wirtschaftsministerium ist dabei, zumindest die bürokratischen Hürden | |
abzubauen: Inzwischen gibt es Kompromisse beim Vogelschutz, bei der | |
Flugsicherung und bei der Bereitstellung von zwei Prozent der Landesfläche | |
für Wind. Der Bundesverband WindEnergie rechnet damit, dass sich die Zahl | |
der jetzt in Deutschland stehenden 28.300 Anlagen auf 35.000 erhöhen wird, | |
wenn die Ampel ihre Pläne durchsetzt. Zwei Prozent der Landesfläche brauche | |
man trotzdem, weil höhere Windräder weitere Abstände zu Wohngebieten | |
erfordern. | |
Auch bei der Photovoltaik soll geklotzt werden: Von Anlagen, die jetzt 60 | |
Gigawatt leisten, auf 215 Gigawatt Leistung im Jahr 2030. Der Dachverband | |
BSW geht davon aus, dass sich die Zahl der PV-Anlagen dafür verdoppelt. Das | |
Umweltbundesamt rechnet mit „Millionen von neuen Anlagen“, jeweils zur | |
Hälfte auf Hausdächern und auf Freiflächen wie Äckern, Seen, Parkplätzen. | |
Die Anlagen herzustellen ist nicht das Problem – eher, sie auf die Dächer | |
zu schrauben: Arbeitskräfte sind knapp, auch bei der Energiewende. „Bei der | |
Umsetzung der Investitionen für ein klimaneutrales Deutschland könnte es zu | |
Engpässen bei Arbeitskräften kommen“, warnt ein [6][Gutachten], das die | |
grüne Bundestagsfraktion bereits im Mai 2021 erstellen ließ. | |
[7][Studien für die Industrie] gehen davon aus, dass jährlich 70 | |
Milliarden Euro investiert werden müssen, um die Klimaziele zu erreichen. | |
Um diese zusätzlichen Investitionen umzusetzen, seien 2035 mehr als 760.000 | |
Stellen nötig, heißt es. Heute beschäftigt die Branche Klima/Umwelt bereits | |
etwa 2 Millionen Menschen. Für die neuen Jobs werden zum großen Teil | |
Fachkräfte gesucht. „Ein erheblicher Teil, rund 40 Prozent des | |
Arbeitskräftebedarfs für Klimaneutralität im Jahr 2035 entfällt auf | |
Berufsgruppen, in denen die Bundesagentur für Arbeit für das Jahr 2019 | |
einen Mangel an Fachkräften, Spezialisten oder Experten identifiziert hat“, | |
warnen die Autoren des Gutachtens. | |
## Es braucht mehr Berufswechsler | |
Dazu kommt: In den Rechnungen werden Jobs nicht berücksichtigt, die durch | |
mehr Exporte entstehen könnten. Der Bedarf an Arbeitskräften könnte also im | |
Exportland Deutschland sogar noch deutlich höher sein. | |
Um die Klimaziele nicht an fehlenden HandwerkerInnen scheitern zu lassen, | |
brauche es mehr Branchen- und Berufswechsel, bessere Qualifizierung und | |
höhere Bezahlung für diese Berufe, heißt es in dem Papier der | |
Umweltökonomen Jürgen Blazejczak und Dietmar Edler. Auch müsse man mehr | |
Frauen und Ältere beschäftigen sowie jedes Jahr etwa 200.000 | |
ZuwandererInnen aus der EU und Drittstaaten. Schließlich seien „besondere | |
Maßnahmen zur Aufwertung des sozialen Status von Ausbildungsberufen | |
notwendig“. Alle diese Potenziale zu erschließen erfordere „große | |
politische Anstrengungen“. | |
Auch bei den Unternehmen lasse sich noch viel verbessern, meint der BSW | |
Solar. Bisher arbeiten in Deutschland etwa 25.000 Menschen in 5.000 | |
Betrieben an der Solarwende – diese Zahl müsse sich verdoppeln. Aber das | |
Potenzial sei da. Denn bisher kümmern sich laut Branchenverband nur etwa | |
ein Zehntel der Elektrounternehmen und ein Zwanzigstel der ElektrikerInnen | |
um die Solartechnik. Das werde nun ausgeweitet. | |
Unklar ist bisher auch, wie die nötige Infrastruktur ausgebaut wird: | |
[8][Weiter fehlen Hunderte von Kilometern an Stromtrassen]. Ladestellen für | |
E-Autos sowie Terminals und Elektrolyse-Anlagen für grünen Wasserstoff sind | |
erst in der Planung. Für die Sanierung von Gebäuden fehlen HandwerkerInnen | |
und elektrische Wärmepumpen[9][.] Zumindest deren Produktion soll jetzt ab | |
2024 auf mindestens 500.000 im Jahr gesteigert werden. | |
Und schließlich gilt die Abhängigkeit von Rohstoffen wie Kobalt, Lithium | |
oder seltenen Erden als Achillesferse der Erneuerbaren. Eine aktuelle | |
[10][Untersuchung des Öko-Instituts] relativiert dies jedoch: Die größte | |
Nachfrage komme hier bislang aus den Sektoren Digitalisierung, Verteidigung | |
und Stahlindustrie. Da brauche es Kriterien für einen „nachhaltigen | |
Bergbau“ und ein EU-weites Recyclingsystem. | |
9 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Mehr-Tempo-bei-der-Energiewende/!5847957 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=mhjP7_i2zE4 | |
[3] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/Energie/0406_ueberblickspapier_o… | |
[4] https://www.vdma.org/power-systems | |
[5] https://www.solarwirtschaft.de/ | |
[6] https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_a… | |
[7] https://bdi.eu/themenfelder/energie-und-klima/klimapfade/ | |
[8] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Dossier/netze-und-netzausbau.html | |
[9] /Grosse-Nachfrage-nach-Waermepumpen/!5846879 | |
[10] https://henrike-hahn.eu/files/upload/themenhintergruende/Study_MEP-Henrike… | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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