| # taz.de -- Robert Habeck im Nahen Osten: Energiekrise als Chance für Frieden | |
| > Der Bedarf an sauberem Strom und Trinkwasser soll eine Zusammenarbeit | |
| > zwischen verfeindeten Staaten möglich machen. Doch die Hürden sind hoch. | |
| Bild: Klimaschutzminister Habeck mit dem deutschen Botschafter in Jordanien, Ka… | |
| Jerusalem/Amman taz | Hier kann man die Klimakrise sehr unmittelbar | |
| erleben: Schon am Morgen ist es brütend heiß, als Bundeswirtschaftsminister | |
| Robert Habeck und die [1][im Außenministerium für den Klimaschutz | |
| verantwortliche Staatssekretärin Jennifer Morgan] am Mittwoch von der | |
| Uferstraße durch die steinige, staubige Wüstenlandschaft zum Toten Meer | |
| spazieren. Ganz bis an die Wasserkante kommen Morgan und der grüne deutsche | |
| Wirtschaftsminister bei diesem Termin, anders als im Reiseprogramm | |
| angekündigt, aber gar nicht. Denn die liegt nochmal rund 15 Meter tiefer | |
| als der Weg. Und der Abstand wird jedes Jahr größer. Denn der Wasserspiegel | |
| des Toten Meeres, der derzeit rund 350 Meter unter dem Meeresspiegel liegt, | |
| sinkt jedes Jahr um einen weiteren Meter ab. | |
| Daran sei vor allem der Klimawandel schuld, sagt der jordanische | |
| Wasserminister Mohammad Al Najjar, der Habeck und Morgan hierher, an den | |
| tiefstgelegenen oberirdischen Ort der Welt, begleitet hat. „Es gibt hier | |
| immer weniger Regen und immer mehr Verdunstung“, erläutert Al Najjar. | |
| [2][Daneben spielt auch die Wasserentnahme aus dem Jordan eine Rolle], dem | |
| Grenzfluss zwischen Israel und dem palästinischen Westjordanland im Westen | |
| und Jordanien im Osten, der im Norden als kleines Rinnsal ins Tote Meer | |
| mündet. Mehr als die Hälfte der Quellen in Jordanien ist aufgrund des | |
| sinkenden Wasserspiegels bereits ausgetrocknet. | |
| Doch während Energie und Wasser in der Vergangenheit im Nahen Osten zu | |
| Konflikten und Kriegen beigetragen haben, könnten sie künftig einen Beitrag | |
| zur Versöhnung leisten. Davon ist zumindest Robert Habeck überzeugt. Als | |
| Beispiel dient ein [3][Projekt, bei dem Investoren aus den Vereinigten | |
| Arabischen Emiraten in der jordanischen Wüste ein Solarkraftwerk | |
| finanzieren würden, mit dessen Strom eine Meerwasserentsalzungsanlage am | |
| Mittelmeer] betrieben werden soll. Das dort produzierte Trinkwasser soll | |
| dann von Israel und Jordanien gemeinsam genutzt werden. Dieses Projekt sei | |
| „ein Beispiel dafür, dass einige arabische Staaten jetzt anfangen, mit | |
| Israel zu kooperieren“, sagt der Minister. Und hofft: „Das ist vielleicht | |
| der Beginn eines Prozesses.“ | |
| ## NGO weniger begeistert | |
| Deutlich skeptischer fällt die Einschätzung der Organisation EcoPeace aus, | |
| auf deren Idee das Projekt zurückgeht. Die NGO ist seit 27 Jahren in der | |
| Region aktiv, und zwar in Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten. | |
| Zwar sagt auch deren Mitarbeiterin Nada Majdalni: „Der Klimawandel kann die | |
| Chance bieten, Frieden in den Nahen Osten zu bringen.“ Und sie freut sich, | |
| dass die Idee eines grenzüberschreitenden Strom- und Wasserprojekts | |
| aufgegriffen wird. „Am Anfang dachten alle, wir wären Träumer.“ Aber | |
| bezüglich der Umsetzung ist Majdalni weniger euphorisch als Habeck: „Bisher | |
| gibt es nur eine Absichtserklärung.“ Zudem seien – anders als im | |
| ursprünglichen Konzept von EcoPeace vorgesehen – die Palästinensergebiete | |
| komplett außen vor. | |
| Dort ist eine Nutzung von Solarenergie auch unabhängig von diesem kaum | |
| möglich: Fast zwei Drittel der Fläche gehören zum sogenannten C-Gebiet, das | |
| komplett unter israelischer Militärverwaltung steht. Ebenso wie die meisten | |
| anderen Wirtschaftsaktivitäten sind damit auch Solarkraftwerke nicht | |
| zulässig. Habeck hofft, dass sich das noch ändert. Im Westjordanland gebe | |
| es schließlich genug Flächen, und erneuerbarer Strom werde sowohl in Israel | |
| als auch in den Palästinensergebieten gebraucht. | |
| Diesen Bedarf gibt es tatsächlich. Israel hat zwar auch in der aktuellen | |
| Krise kein Problem, seinen Energiehunger zu stillen. Denn durch die | |
| Ausweitung der Gasförderung vor der eigenen Küste ist das Land inzwischen | |
| nicht nur unabhängig von Importen, sondern exportiert sogar Gas in | |
| Nachbarländer. | |
| ## Konkrete Pläne fehlen | |
| Doch die globalen Klimaziele gelten auch hier: Das Klimagesetz, das das | |
| Kabinett gerade auf den Weg gebracht hat, sieht vor, dass Israel bis 2050 | |
| klimaneutral werden soll. Der momentane Ökostromanteil von gerade mal 7 | |
| Prozent muss dafür stark steigen. | |
| Steffen Hagemann, Leiter des israelischen Büros der grün-nahen | |
| Heinrich-Böll-Stiftung, ist aber skeptisch, dass es schnelle Fortschritte | |
| gibt. „Über eine Energiewende wird in Israel jetzt zwar viel gesprochen“, | |
| sagt er der taz. „Konkrete Pläne dafür gibt es aber kaum.“ Das gelte auch | |
| für das Klimagesetz: „Es nennt keine konkreten Zwischenziele“, berichtet | |
| Hagemann. Ein großer Teil der Einsparungen solle offiziell durch „unknwon | |
| technologies“ erfolgen, also noch unbekannte Technologien, was eher bei der | |
| FDP als bei Habeck auf Begeisterung stoßen dürfte. | |
| Und von einem Ausstieg aus der [4][Gasförderung ist in Israel] bisher keine | |
| Rede: Ganz im Gegenteil hatte das Land im Vorfeld von Habecks viertägiger | |
| Nahost-Reise die Hoffnung geäußert, künftig auch in großem Stil fossiles | |
| Gas nach Europa exportieren zu können. Dem hat Habeck in Jerusalem aber | |
| eine klare Absage erteilt. Bis eine neue Pipeline oder ein | |
| Flüssiggasterminal in mehreren Jahren fertiggestellt wären, werde der | |
| Verbrauch von fossilem Gas in Europa bereits wieder sinken, sagte Habeck. | |
| Seit der Reise des Wirtschaftsministers nach Katar im März hat sich seine | |
| Position zu fossilen Erdgasimporten damit stark verändert. | |
| ## Business-Case Erneuerbare Energien | |
| Stattdessen setzt der Minister auch im Nahen Osten voll auf den Ausbau | |
| erneuerbarer Energien. Zu diesem Zweck veranstaltet Deutschland auch | |
| zusammen mit Jordanien eine große Konferenz am Toten Meer, die Habeck am | |
| Mittwoch eröffnete. Seit diese vor fünf Jahren zum letzten Mal stattfand, | |
| habe sich die Stimmung komplett verändert. „Was bisher nur eine politische | |
| Forderung war, wird jetzt zu einem Business-Case“, sagt er. | |
| Als Mitveranstalter einer großen Konferenz für die Region, kann Habeck sich | |
| dagegen gut vorstellen, [5][aus dem Mittelmeerraum künftig Wasserstoff oder | |
| Derivate wie Ammoniak nach Deutschland zu importieren]. Auch der | |
| jordanische Energieminister Saleh-Al Kharabsheh hält das bei einer | |
| gemeinsamen Pressekonferenz mit Habeck für eine gute Idee: „Kein Land kann | |
| alle Probleme innerhalb seiner eigenen Grenzen lösen“, sagt er. | |
| Und tatsächlich drängen sich im Konferenzzentrum mit Blick auf das Tote | |
| Meer mehrere Hundert Vertreiter*innen von Unternehmen aus dem Nahen | |
| Osten, Nordafrika und Europa, die auf gute Geschäfte mit dem Klimaschutz | |
| hoffen. Auch wenn man im klimatisierten Kongresszentrum wenig von der | |
| Klimakrise spürt: Zumindest auf dem Weg zu den dunklen Limousinen, die in | |
| großer Zahl vor dem Gebäude parken, kann sich hier niemand der drückenden | |
| Hitze entziehen. | |
| 8 Jun 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Malte Kreutzfeldt | |
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