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# taz.de -- Verkehrswende: 9-Euro-Ticket? Lieber Lastenrad!
> Das 9-Euro-Ticket ist ein schönes Experiment. Aber revolutionieren wird
> den Verkehr nur das Lastenrad.
Bild: Erst mit Turbo durch die Stadt und dann hier parken: Lastenräder sind di…
Wie sehr kann man sein eigenes Klischee sein? Dieser Herausforderung möchte
ich mich in diesem Jahr stellen. Erst habe ich meinen VW-Bus ohne
Umweltplakette verkauft, dann habe ich ihn vergangene Woche durch –
Achtung, Triggerwarnung! – ein Lastenrad mit Elektromotor ersetzt. Damit
fahre ich nun meine Kinder durch Berlin. Und wenn Sie sagen, Papa, mach’
mal Turbo, dann mach’ ich Turbo.
Merken Sie schon, wie sich Ihr Puls beschleunigt? Dann sind Sie nicht
allein: Irgendwann ist es Mode geworden, sich über Lastenräder aufzuregen.
Zuletzt [1][klang das in der Berliner Zeitung so]: Guck mal, der Papa mit
den zwei Kindern da, der grinst so arrogant! Wie viel Platz der wegnimmt!
Der ist doch voll Prenzlauer Berg! Und im Netz alle so: Haha, genau.
Das Lastenrad hat im Debattenkarussell den Platz eingenommen, den
vergangenes Jahr das vermeintlich drohende Verbot des Einfamilienhauses und
der Currywurst in der VW-Kantine hatten. Nur dass es diesmal nicht um
Ernährung oder Wohnen geht, sondern darum, wie wir uns in der postfossilen
Welt bewegen.
Solche Kulturkämpfe sind praktisch: Alle können einmal Dampf ablassen. Ist
ja auch nötig, wird ja immer wärmer da draußen. Doch leider werden dabei
die materiellen Fragen vermieden. Das Niveau der Lastenrad-Witze ist
ungefähr so hoch wie vor zehn Jahren, als Fleischesser noch Witze über
Vegetarier machten („Die essen meinem Essen das Essen weg“). Auch denen
wurde vorgeworfen, missionarisch zu sein, weil man sonst keine Argumente
hatte.
## Besser als E-Autos
Es stimmt, [2][beim Fahren auf dem Lastenrad] muss man grinsen. Aber das
ist nicht überheblich gemeint! Es ist nur der Fahrtwind, der die Mundwinkel
verzieht. Und, zugegeben, das Gefühl, Teil der Avantgarde zu sein. Denn ich
wage die These, dass das Lastenrad den Verkehr revolutionieren wird.
[3][9-Euro-Ticket, schön und gut], aber eine individualisierte Gesellschaft
braucht individuelle Verkehrsmittel.
48 Prozent, also fast die Hälfte der Arbeitnehmer, pendelt zur Arbeit
weniger als zehn Kilometer. Undenkbar, dass all diese Menschen auf ein
Fahrrad ohne Motor, Bus und Bahn umsteigen. Und was das kosten würde! An
neuen Schienen, Fahrzeugen, Busfahrern. Auf so einer Strecke ist das
Lastenrad schneller als das Auto und der Bus: am Stau vorbei, als Abkürzung
durch den Park und kein Stress beim Parken.
Selbst ein teures Lastenrad ist günstig, wenn man es mit dem E-Auto
vergleicht, braucht weniger Ressourcen, weniger Platz. Und vieles spricht
dafür, dass es sich durchsetzt: 2021 wurden in Deutschland 170.000 Stück
verkauft, 70 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zahl der E-Autos stieg in der
gleichen Zeit um 300.000. Aber nur, weil der Staat den Kauf mit 9.000 Euro
subventioniert, eine Summe, für die man mehrere Fahrräder kaufen könnte.
Im Wahlkampf hatten die Grünen Subventionen für Lastenräder gefordert und
wurden ausgelacht. Im Koalitionsvertrag fehlt die Forderung. Stattdessen
gibt die Regierung Milliarden für die Auto-Subvention aus. Legt man das
Geld drauf, das [4][Tankrabatt] und 9-Euro-Ticket kosten, könnte man davon
zwei Millionen Lastenräder verschenken an alle, die ihr Auto verschrotten.
Das wäre ein nachhaltigerer Beitrag zur Verkehrswende gewesen.
Das Lastenrad hat nur einen Nachteil: Es kann die deutsche
Automobilindustrie nicht retten. Macht deshalb keiner Witze über E-Autos
statt über Lastenräder? Wie patriotisch.
4 Jun 2022
## LINKS
[1] https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/lastenraeder-in-berlin-die…
[2] /Leben-ohne-Auto/!5846129
[3] /Billig-mit-dem-Zug-nach-Sylt/!5850477
[4] /Tankrabatt-der-Ampel-Koalition/!5855146
## AUTOREN
Kersten Augustin
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