# taz.de -- Unterwegs mit dem 9-Euro-Ticket: Zurückbleiben, bitte! | |
> Zu Pfingsten überfüllte Züge von Berlin in Richtung Ostsee: Das | |
> 9-Euro-Ticket machte den Ausflug günstig, Werbung für den Regionalverkehr | |
> war es nicht. | |
Bild: Ganz schön eng war es zu Pfingsten in den Zügen Richtung Küste | |
Fahren mit dem [1][9-Euro-Ticket] tatsächlich mehr Menschen dauerhaft Bahn | |
– oder lassen sie, wie es zum Beispiel am Pfingstwochenende offenbar viele | |
Menschen getan haben, genau einmal das Auto stehen und tun es danach nie | |
wieder? Denn billig mag der Ausflug mit dem Regionalexpress von Berlin an | |
die Ostsee vielleicht gewesen sein – eine gute Werbung für den ÖPNV war er | |
mit Sicherheit nicht. „Das Pfingstwochenende hat die [2][Mängel und | |
Unzulänglichkeiten im Regionalverkehr] schonungslos offengelegt“, | |
bilanzierte Jens Wieseke, stellvertretender Vorsitzender des Berliner | |
Fahrgastverbands Igeb, gegenüber der taz. | |
Insbesondere an den großen Berliner Umsteigepunkten in Richtung Norden, | |
Hauptbahnhof und Gesundbrunnen, war die Lage am Freitag und Samstag | |
angespannt. Die Bundespolizei musste Bahnmitarbeiter*innen | |
unterstützen, die teils vergeblich versuchten, die Menschen in die Züge zu | |
sortieren. Die Regionalexpresslinien 3 und 5 in Richtung Stralsund und | |
Rostock konnten nicht starten, Fahrgäste mussten wieder aussteigen, | |
Fahrräder mitzunehmen war unmöglich. | |
Eine Bahn-Sprecherin bemühte sich am Montagvormittag allerdings um eine | |
positive Sicht auf die Lage: „Pfingsten ist traditionell immer ein | |
Wochenende, an dem die Züge sehr ausgelastet sind, und teilweise waren sie | |
eindeutig zu voll.“ Allerdings, so die Konzernsprecherin: „Es lief ja | |
noch.“ Man setze zusätzliches Personal für die „Fahrgastlenkung“ auf den | |
Bahnsteigen ein. Wie viel höher als „normal“ an verlängerten Wochenenden | |
das Fahrgastaufkommen im Berlin-Brandenburger Regionalverkehr gewesen ist, | |
könne man noch nicht sagen, die Zahlen müssten nach der erwarteten | |
Rückreisewelle am Montag erst noch analysiert werden. | |
## Fahrräder blieben draußen | |
In der Bahn-App und auf dem Twitteraccount der DB war die Standardmeldung | |
des Wochenendes, dass wegen eines „außergewöhnlich hohen Fahrgastaufkommens | |
eine Beförderung und die Mitnahme von Fahrrädern nicht mehr möglich“ sei. | |
Betroffen waren insbesondere ab Samstag Züge der Linien RE3 | |
(Stralsund-Berlin-Lutherstadt-Wittenberg) und RE5 | |
(Rostock-Berlin-Wünsdorf-Waldstadt), aber auch der RE7 (Dessau-Berlin-Bad | |
Belzig) und der RE1 (Magdeburg-Berlin-Cottbus) waren überfüllt. | |
„Bitte wählen Sie eine andere Verbindung“, hieß es auch bereits ab | |
Montagmittag für den Rückreiseverkehr auf diesen Strecken in Richtung | |
Berlin – trotz zusätzlich eingesetzter Züge auf den Linien nach Stralsund | |
und Rostock. | |
Wieseke vom Igeb betont, mit dem 9-Euro-Ticket würden falsche Hoffnungen | |
geweckt, wenn man glaube, es müsse nun jedem möglich sein, am Wochenende | |
mitsamt seinem Fahrrad im Regionalexpress von Berlin ins Umland gelangen zu | |
können. Im Sinne einer nachhaltigen Verkehrswende gehe es darum, die | |
Menschen aus den ländlichen Regionen besser an die Ballungsräume | |
anzuschließen und dort Kapazitäten auszubauen – das sei „die eigentliche | |
Hauptaufgabe“, sagt Wieseke. | |
Als Beispiel nennt der ÖPNV-Experte die Regionalexpresslinie 1 zwischen | |
Berlin und Frankfurt (Oder). Die sei auch ohne 9-Euro-Ticket im | |
Berufsverkehr bereits „hoffnungslos überlastet“. Allerdings könne die | |
Strecke momentan auch kaum mehr aufnehmen als die drei Züge, die dort | |
bereits pro Stunde fahren. Wieseke sagt, es müssten deshalb andere Strecken | |
ausgebaut werden, die noch Verkehr in Richtung Osten aufnehmen können – | |
etwa die sogenannte Ostbahn von Lichtenberg ins polnische Küstrin-Kietz. | |
Deren Ausbau ist jetzt tatsächlich auch ein frisch beschlossenes Projekt | |
der „[3][Taskforce i2030/Knoten Berlin“], die am Freitag auf einem | |
„Bahngipfel“ unter anderem von Berlins Regierenden Bürgermeisterin | |
Franziska Giffey und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (beide | |
SPD) vorgestellt worden war. | |
Für Wieseke ist klar: „Der Ausflugsverkehr ist nachrangig, auch wenn man da | |
sicher im Detail noch nachsteuern muss.“ Es müsse zum Beispiel möglich | |
sein, für eine Familie mit dem Fahrrad am Wochenende mit dem Zug an die | |
Ostsee zu gelangen. „Aber wenn man das 9-Euro-Ticket als Impuls für eine | |
nachhaltige Verkehrswende nutzen will, dann muss man jetzt fragen: Was ist | |
möglich?“ Platz für jeden Radtouristen werde man nicht schaffen können, | |
sagt Wieseke, das sei „illusorisch“. Vielmehr gehe es um die Pendler*innen, | |
da müsse man die Infrastruktur schaffen, dass dauerhaft mehr Menschen vom | |
Auto auf die Bahn umsteigen wollen. | |
Mitte der Woche will der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) eine | |
erste Bilanz der 9-Euro-Tickets ziehen, das bundesweit mehr als 7 Millionen | |
Mal verkauft wurde. Dann soll es erste Zahlen dazu geben, inwiefern sich | |
das 9-Euro-Ticket auch bereits auf den Berufsverkehr auswirkt, sagte eine | |
DB-Sprecherin am Montag. | |
In Berlin haben allein die Berliner Verkehrsbetriebe bereits rund 1 Million | |
der Fahrscheine abgesetzt, mit denen bundesweit der Regionalverkehr zum | |
Preis von 9 Euro pro Monat genutzt werden kann, wie ein BVG-Sprecher am | |
Wochenende mitteilte. Ein Teil der Verkäufe entfällt bereits auf die Monate | |
Juli und August, in denen das Angebot ebenfalls noch gilt. | |
6 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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