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# taz.de -- Sondervermögen für Bundeswehr: Im militärischen Kaufrausch
> Die Bundeswehr soll mit zusätzlich 100 Milliarden Euro aufgestockt
> werden. Kritiker:innen sehen das geplante Sondervermögen als maßlos.
Bild: Davon gibt es bald mehr: Soldaten zeigen ihre Ausrüstung vor einem Panze…
Berlin taz | Es ist ein letztes, vergebliches Aufbäumen. Mit einer
Kundgebung auf dem Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude will die
Linkspartei am Freitagvormittag gegen die geplante Aufrüstung der
Bundeswehr protestieren. Nützen wird es nichts mehr, die große Koalition
für massive zusätzliche Militärausgaben steht. Die Einkaufsliste ist
bereits geschrieben. Nur wenige Stunden nach der Linken-Protestaktion
dürfte der Bundestag per Grundgesetzänderung die Regierung ermächtigen,
dafür ein „Sondervermögen“ in Höhe von 100 Milliarden Euro einzurichten.
Dabei ist der Begriff „Sondervermögen“ missverständlich. Tatsächlich geht
es um die Aufnahme von außerordentlichen Krediten, die von der
Schuldenbremse des Grundgesetzes ausgenommen werden. Schulden, die
zurückgezahlt werden müssen, bleiben es trotzdem. Dienen soll das Geld zur
„Finanzierung bedeutsamer Ausrüstungsvorhaben der Bundeswehr, insbesondere
komplexer überjähriger Maßnahmen“, heißt es in dem [1][Gesetzentwurf], auf
den sich SPD, Grüne und FDP mit der Union in zähen Verhandlungen
verständigt haben.
Das „Sondervermögen“ ergänzt den in diesem Jahr ohnehin um 3,5 Milliarden
auf rund 50,4 Milliarden Euro aufgestockten Verteidigungsetat. Dadurch
werde „im mehrjährigen Durchschnitt von maximal fünf Jahren zwei Prozent
des Bruttoinlandsprodukts auf Basis der aktuellen Regierungsprognose für
Verteidigungsausgaben nach Nato-Kriterien bereitgestellt“.
Finanziert werden sollen von dem „Sondervermögen“ eine ganze Reihe von
Rüstungsprojekten, die schon seit Langem auf der Wunschliste des deutschen
Militärs stehen. Einiges davon kann direkt bestellt werden, anderes
befindet sich erst noch in der Entwicklung. Die meisten größeren
Anschaffungen werden erst in ein paar Jahren einsatzfähig sein, manches
erst in den kommenden Jahrzehnten. Die Projektliste ist eine vorläufige,
sie soll jährlich fortgeschrieben werden.
Hauptposten des Wirtschaftsplans, den das Finanzministerium am Mittwoch dem
Haushaltsauschuss des Bundestags geschickt hat, ist dabei die „Dimension
Luft“, für die insgesamt 40,9 Milliarden Euro bereitgestellt werden sollen.
Konkret geht es dabei beispielsweise um den bereits angekündigten Kauf von
F-35-Kampfjets des US-amerikanischen Rüstungskonzerns Lockheed Martin, die
auch Atombomben abwerfen können. In den USA bestellt werden auch die neuen
schweren Transporthubschrauber Modell CH-47 „Chinook“ und Seefernaufklärer
vom Typ P-8 Poseidon, jeweils von Boeing. Der europäische Konkurrent Airbus
kommt dafür bei Entwicklung und Kauf eines neuen Eurofighter-Modells für
elektronische Kriegsführung zum Zuge.
Drohnen, Panzer und U-Boote
Die Bewaffnung der israelischen Drohnen des Typs Heron TP stehen ebenso auf
der Liste wie Kommunikations- und Radarsysteme und das weltraumbasierte
Frühwarnsystem Twister, ein nationenübergreifendes EU-Projekt. Auch ein
Flugabwehrsystem mit einer bodengestützten Kurz- und
Mittelstrecken-Flugabwehr sowie einem Drohnenschutzsystem ist dabei. Bis
2027 soll auch die Entwicklung des gemeinsam mit Frankreich und Spanien
geplanten Kampfflugzeugprojekts Future Combat Air System (FCAS) aus dem
Sondervermögen finanziert werden.
Bei der mit rund 19,3 Milliarden Euro veranschlagten „Dimension See“ steht
die Anschaffung neuer Korvetten, Fregatten und Festrumpfschlauch- sowie
Mehrzweckkampfboote ebenso auf dem Programm wie das gemeinsam mit Norwegen
entwickelte U-Boot der Klasse 212 CD. Fehlen darf auch nicht das neue
See-Ziel-Lenkflugköpersystem Future Naval Strike Missile, ebenfalls eine
deutsch-norwegische Gemeinschaftsentwicklung. Hinzu kommen
U-Boot-Flugabwehrflugkörper und Geräte zur Unterwasserortung.
16,6 Milliarden Euro sind für die „Dimension Land“ vorgesehen. Hier geht es
insbesondere um die Nachfolge für den Schützenpanzer Marder und den
Truppentransporter Fuchs sowie die Nachrüstung des Schützenpanzers Puma.
Auch ein Nachfolger für das gepanzerte Schneefahrzeug BV 206 steht auf der
Liste, ebenso der Transportpanzer Boxer mit Maschinenkanone. Hinzu kommen
bis 2024 Mittel für die Entwicklung eines Nachfolgers für den
Leopard-2-Panzer, der gemeinsam mit Frankreich entwickelt wird und wie das
FCAS nur vorübergehend aus dem „Sondervermögen“ finanziert werden soll und
danach aus dem normalen Verteidigungshaushalt.
Für die „Dimension Führungsfähigkeit/Digitalisierung“ sollen 20,7
Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Hier geht es vor allem um
Gelder für einen Rechenzentrumsverbund, aber auch für neue Funkgeräte.
Hinzu kommen elektronische Führungsinformationssysteme für Einsätze und
Investitionen in Satellitenkommunikation.
Neben diesen vier „Dimensionen“ gibt es noch zwei kleinere Posten: Für
Forschung, Entwicklung und künstliche Intelligenz (KI) sollen 500 Millionen
Euro ausgegeben werden. Dabei geht es vor allem um eine bessere „land- und
seegebundene robuste Navigation“ unter so genannten
Navigation-Warfare-Bedingungen, wie der Störung von Satellitensignalen,
sowie die Überwachung und Sicherung größerer Räume mittels KI. Außerdem
gibt es für die Beschaffung von Bekleidung und Ausrüstung der
Soldat:innen rund 2 Milliarden Euro.
Nicht enthalten in der „Sondervermögen“-Liste ist die Munition für die
Bundeswehr, die das Verteidigungsministerium drastisch aufstocken will.
Einen Finanzbedarf von rund 20 Milliarden Euro hat es hierfür errechnet.
Der soll aus dem laufenden Haushalt gedeckt werden. Das gilt auch für
Maßnahmen zur Cybersicherheit, für den Zivilschutz sowie die Stabilisierung
von Partnerländern, was weitere 10 Milliarden kosten dürfte.
So sieht also konkret das Aufrüstungsprogramm aus, das der
sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner
[2][„Zeitenwende“-Rede] Ende Februar angekündigt hatte. Im Bundestag wird
es keine größeren Widerstände dagegen geben. Nicht nur die Ampelkoalition
und die Union sind sich einig, dass in die Bundeswehr investiert werden
müsse. Die AfD sieht das genauso, wie ihr Abgeordneter Michael Espendiller
am Mittwoch bei der Debatte um den Verteidigungsetat im Bundestag
bekundete. Die Rechtsaußenpartei kritisiert nur, dass dafür neue Schulden
aufgenommen werden sollen. Espendiller forderte hingegen „radikale
Kürzungen in sämtlichen anderen Etats“.
Im Parlament gibt es also nur wenige Stimmen des Aufbegehrens. Einzig die
Linkspartei, die kleinste Fraktion, steht geschlossen dagegen. „Mit SPD,
FDP, Grünen und der Union hat sich die größte Koalition aller Zeiten
zusammengefunden, um ein gigantisches Konjunkturprogramm für die
Rüstungsindustrie zu starten“, empörte sich die stellvertretende
Fraktionsvorsitzende Gesine Lötzsch bei der Bundestagsdebatte am Mittwoch.
Ein paar Abweichler:innen aus der SPD und den Grünen gibt es allerdings
auch noch. So kündigte die Juso-Bundesvorsitzende Jessica Rosenthal [3][in
einem Gastbeitrag im Spiegel] an, gegen die Grundgesetzänderung zu stimmen.
Wie viele ihrer Fraktion sich auch noch verweigern werden, ist unklar.
Dass es in Teilen des sozialdemokratischen Spektrums Unmut gibt, ist kein
Geheimnis. Deutliche Worte kommen aus dem Forum Demokratische Linke 21,
einem Zusammenschluss linker SPDler:innen. „Die SPD war nach 1945 eine
Friedenspartei“, sagt deren Vorstandsmitglied Dierk Hirschel. „Dass die
Ampel jetzt das größte Aufrüstungsprogramm der Nachkriegsgeschichte
beschließen will, ist ein Bruch mit dieser friedenspolitischen Tradition.“
Aus den Reihen der Grünen heißt es, möglicherweise stimmten bis zu zehn
ihrer Abgeordneten gegen das „Sondervermögen“, es könnten aber auch wenig…
sein. Ein Grüner, der sich schon vor der Abstimmung aus der Deckung gewagt
hat, ist Frank Bsirske. In einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung
begründete der frühere Verdi-Vorsitzende seine Ablehnung. „Das
Sondervermögen und die dazugehörigen Festlegungen etablieren dauerhaft eine
haushaltspolitische Vorfahrtsregel für Rüstungsausgaben“, konstatiert er.
„Dieser kann und werde ich nicht zustimmen.“
Bsirske kritisiert, dass die Entscheidung zur Errichtung des
„Sondervermögens“ auf Grundlage einer „gar nicht mehr hinterfragten
Prämisse“ getroffen werde, nach der die baltischen Staaten und dann
Deutschland die nächsten Opfer eines russischen Angriffskrieges werden
könnten, wenn nicht massiv aufgerüstet wird. Diese Prämisse verliere jedoch
im Lichte des tatsächlichen Verlaufs des Ukrainekrieges immer mehr an
Plausibilität. Denn die russische Aggression erweise sich „nicht als
Erfolgsmodell, das zur Nachahmung einlädt, sondern als militärisches
Desaster“.
„Perspektivlose Rüstungsoffensive“
Ebenso kritisch sieht Bsirske, dass laut dem vorliegenden Gesetzentwurf
auch nach Verausgabung des „Sondervermögens“ weiterhin die finanziellen
Mittel bereitgestellt werden sollen, um das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr
und den deutschen Beitrag zu den dann jeweils geltenden
Nato-Fähigkeitszielen zu gewährleisten. Das laufe auf die dauerhafte
Einhaltung des 2-Prozent-Ziels der Nato hinaus, was zu dauerhaft stark
steigenden Rüstungsausgaben führe.
Damit liegt Bsirske ganz auf der Linie der Gewerkschaften. So forderte der
DGB-Bundeskongress Mitte Mai die Bundesregierung auf, „nicht an der von ihr
angekündigten Absicht festzuhalten, den deutschen Rüstungshaushalt
dauerhaft auf das Zwei-Prozent-Ziel der Nato oder darüber hinaus
aufzustocken“.
Der eingeschlagene Kurs führe die Gesellschaft „in eine Sackgasse und nicht
in eine gute Zukunft“, kritisiert Hans-Jürgen Urban, Mitglied im
geschäftsführenden Vorstand der IG Metall. „Der Rüstungs-Booster der
Bundesregierung von 100 Milliarden Euro bindet Ressourcen für eine
perspektivlose Rüstungsoffensive, die für die Flankierung des
sozial-ökologischen Transformation dringlichst gebraucht werden“, sagt
Urban der taz.
Aber müsste sich die IG Metall nicht eigentlich freuen, wenn die deutsche
Rüstungsindustrie jetzt kräftig Kasse machen kann? „Na ja, es sollen
Kampfflugzeuge in den USA bestellt werden, und es wird über den Kauf von
Raketenabwehrsystemen etwa aus Israel nachgedacht“, antwortet Urban.
Überdies gelte: „Aufrüstung zur Arbeitsplatzsicherung kann keine
Richtschnur der Politik sein.“ Viel sinnvoller sei es, „wenn Gewerkschaften
mit Betriebsräten und Belegschaften für Konversionsstrategien, also die
Umwandlung von Rüstungs- in zivile Produkte, streiten“.
2 Jun 2022
## LINKS
[1] https://dserver.bundestag.de/btd/20/014/2001409.pdf
[2] /Zeitenwende-von-Kanzler-Scholz/!5845311
[3] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/jessica-rosenthal-ein-sonderverm…
## AUTOREN
Pascal Beucker
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