| # taz.de -- SPD-Politiker über Geflüchtete: „Sie fliehen vor demselben Krie… | |
| > Hakan Demir kritisiert die Ungleichbehandlung von Menschen, die ohne | |
| > ukrainischen Pass aus der Ukraine fliehen. Er fordert für sie gleichen | |
| > Schutz. | |
| Bild: An der polnisch-ukrainischen Grenze: Auch MigrantInnen fliehen vor dem Kr… | |
| taz: Herr Demir, die EU und Deutschland machen gerade vieles möglich, um | |
| Geflüchteten aus der Ukraine zu helfen. Sind Sie zufrieden? | |
| Hakan Demir: Ich bin sehr damit zufrieden, dass Länder wie Polen, | |
| Deutschland oder Frankreich so viele Menschen aufgenommen und ihnen | |
| schnelle Unterstützung ermöglicht haben. Womit ich nicht zufrieden sein | |
| kann: Wir machen gerade Unterschiede zwischen Ukrainern und | |
| Drittstaatsangehörigen, die vor demselben Krieg aus der Ukraine fliehen. | |
| Das sollte nicht sein. | |
| Was für Unterschiede sind das? | |
| Ukrainische Staatsangehörige bekommen hier vorübergehenden Schutz nach | |
| [1][Paragraf 24 Aufenthaltsgesetz], inklusive Arbeitserlaubnis und | |
| Sozialleistungen. Aber alle anderen bekommen nicht sofort unbürokratisch | |
| die Möglichkeit zu arbeiten oder zu studieren. Wer in der Ukraine gelebt | |
| hat, aber türkischer, nigerianischer oder vietnamesischer Staatsbürger ist, | |
| darf zwar bis zum 31. August erst mal hier bleiben. Aber danach werden | |
| diese Menschen entweder in ihre Heimatländer zurückkehren müssen – oder sie | |
| müssen versuchen, hier Asyl zu beantragen. Bloß werden die meisten keines | |
| bekommen. | |
| Weil die Behörden zu dem Schluss kommen werden, dass es in ihren | |
| Heimatländern sicher ist. Wo ist also das Problem? | |
| Ich habe da ein grundsätzliches ethisches Problem: Diese Menschen sind doch | |
| aus demselben Land vor demselben Krieg geflohen. Warum sollten wir sie | |
| unterschiedlich behandeln? Wenn jemand seit mehreren Jahren seinen | |
| Lebensmittelpunkt in der Ukraine hat, verstehe ich nicht, warum man diesen | |
| Menschen nach Nigeria oder Ägypten zurückschicken sollte. | |
| Immerhin haben wir es inzwischen geschafft, dass Menschen, deren Aufenthalt | |
| in der Ukraine unbefristet war, auch Schutz nach Paragraf 24 bekommen | |
| können. Das war am Anfang nicht so. Aber der Mehrheit der Drittstaatler | |
| hilft das nicht. | |
| Warum nicht? | |
| Weil es sich dabei vor allem um [2][Studierende mit befristeten | |
| Aufenthaltstiteln] handelt. Die stehen jetzt ohne wirkliche Perspektive da. | |
| Aus Gesprächen mit Nigerianern weiß ich, dass die Familien und teils sogar | |
| die Nachbarn Geld gesammelt haben, um ihnen ein Studium und damit eine | |
| bessere Zukunft zu ermöglichen. Sie sind dafür nicht ohne Grund ins Ausland | |
| gegangen: Viele werden kaum eine Möglichkeit haben, ihr Studium im | |
| Heimatland zu beenden. | |
| Ursprünglich durften aus der Ukraine geflüchtete Menschen egal welcher | |
| Nationalität sich nur bis Ende Mai ohne Aufenthaltstitel in Deutschland | |
| aufhalten. Dass diese Frist verlängert wurde, ist doch schon ein | |
| Entgegenkommen, oder? | |
| Natürlich. Und vielleicht wird es noch mal verlängert, und vielleicht sagen | |
| mehr Bundesländer: Wenn ihr in der Zeit einen Studienplatz findet, könnt | |
| ihr bleiben. Aber es geht im Vergleich zur Gesamtzahl der Geflüchteten | |
| wirklich nicht um viele Menschen, ein paar Tausend gerade mal. Wo ist das | |
| Problem dabei, denen einfach den gleichen Schutz zu geben wie den Ukrainern | |
| auch? | |
| Andersherum gefragt: Wo ist das Problem dabei, ihnen zu ermöglichen, über | |
| ein Studierendenvisum zu bleiben? | |
| Für ein solches Visum muss man einen Betrag von über 10.000 Euro auf ein | |
| Sperrkonto einzahlen. Viele Leute haben aber wie gesagt all ihre | |
| Ersparnisse aufgebraucht, um überhaupt in der Ukraine studieren zu können. | |
| Wo sollen die jetzt noch mal 10.000 Euro hernehmen? Abgesehen davon gibt es | |
| nicht plötzlich mehrere Tausend zusätzliche Studienplätze, nur weil jetzt | |
| viele Studierende aus der Ukraine ins Land gekommen sind. | |
| Am Studienplatzmangel würde sich aber auch nichts ändern, wenn die Menschen | |
| hier vorübergehenden Schutz bekämen. | |
| Das stimmt. Aber die Menschen hätten hier erst mal eine sichere Grundlage. | |
| Dann fangen sie vielleicht nicht dieses Wintersemester an, sondern erst | |
| nächsten Sommer. Oder sie arbeiten erst mal. Wir suchen einerseits | |
| händeringend nach Fachkräften. Gleichzeitig wollen wir Leute, die gerade | |
| dabei sind, sich zu qualifizieren, wieder wegschicken. Das passt doch nicht | |
| zusammen. | |
| Nun ist die SPD die größte Fraktion im Bundestag und stellt auch die | |
| Bundesinnenministerin. Ist Ihren Parteikolleg*innen das Thema nicht | |
| wichtig genug, oder warum tut sich nichts? | |
| Wir müssen diese Ungleichbehandlung ändern und ich spreche das Thema immer | |
| wieder an. Aber man hat sich anfangs auf diesen Weg festgelegt, und solche | |
| Positionierungen wieder zu ändern, ist nicht ganz einfach. Das braucht | |
| offenbar noch Zeit, und auch noch mehr Abgeordnete in allen | |
| Koalitionsfraktionen, die sich dafür einsetzen. Klar ist: Wir müssen dieses | |
| Problem vor der Sommerpause lösen, damit die Menschen über den 31. August | |
| hinaus eine Perspektive haben. | |
| 2 Jun 2022 | |
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| [1] https://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/__24.html | |
| [2] /Ukrainische-Gefluechtete-in-Deutschland/!5844894 | |
| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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