Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Deutsche Behörden entziehen Pässe: Flucht geschafft, Papiere weg
> Polizei- und Ausländerbehörden behalten Pässe von Drittstaatler*innen
> ein, die aus der Ukraine fliehen. Das ist unrechtmäßig, mahnen
> Anwält*innen.
Bild: Junger Mann auf der Flucht aus der Ukraine: Vor allem Schwarze Menschen b…
Berlin taz | Mohammed Elsayed blickt nachdenklich auf die Papiere in seiner
Hand. Es sind Kopien seines ägyptischen Reisepasses und seines ukrainischen
Aufenthaltstitels. Darauf ein Stempel mit einem Datum Anfang März und dem
Vermerk, die Originale seien beim Berliner Landesamt für Einwanderung
hinterlegt. Anfang März ist der 25 Jahre alte Elsayed gemeinsam mit
Freund*innen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. „Bis heute weiß
ich nicht, warum uns unsere Papiere weggenommen wurden“, sagt er. Dass er
sie abgeben musste, sei rechtswidrig, betonen Hilfsorganisationen und
Jurist*innen. Doch Elsayed ist nicht der Einzige, dem es so erging.
Mehr als vier Millionen Menschen sind bislang aus der Ukraine geflohen.
Rund 310.000 haben die deutschen Behörden registriert, darunter Elsayed.
Sechs Jahre hat der Ägypter in der ukrainischen Stadt Poltava gelebt und
Medizin studiert. Dann kam der Krieg, er floh. Hinter der deutschen Grenze
wurden er und seine Freund*innen von der Bundespolizei aus dem Zug
geholt, mussten sich ausweisen und Fingerabdrücke abgeben.
Dann hätten die Beamt*innen ihnen eine Adresse gegeben: die des
Landesamts für Einwanderung in Berlin. Während die anderen am Bahnhof
warteten, gingen Elsayed und ein Freund dorthin. Als sie mit einem weiteren
Termin im Folgemonat, aber ohne Pässe zurückkamen, gingen die anderen gar
nicht erst hin. Sie sind inzwischen in anderen deutschen Städten. Elsayed
und sein Freund hingegen saßen ohne Papiere fest.
Aktivist*innen berichten von mehreren Fällen in verschiedenen
Bundesländern, in denen Landespolizei, Bundespolizei oder Ausländerbehörden
die Pässe von vor dem Krieg geflohenen Nicht-Ukrainer*innen einbehielten.
Der Berliner Flüchtlingsrat etwa begleitete eine Gruppe, die Anfang März in
Deutschland ankam. Die Personen aus verschiedenen afrikanischen Ländern
hatten sich ratsuchend an die Berliner Polizei gewandt, wollten wissen, wo
sie den für Ukraine-Flüchtlinge vorgesehen Schutzantrag stellen könnten.
„Stattdessen wurden ihnen die Pässe abgenommen“, sagt Nora Brezger von der
Hilfsorganisation.
## Keine Rechtsgrundlage für das Einbehalten von Pässen
Die EU-Staaten haben für Geflüchtete aus der Ukraine erstmals die
[1][sogenannte Massenzustromrichtlinie in Kraft] gesetzt, nach der die
Menschen ohne langwieriges Asylverfahren sofort einen vorübergehenden
Schutzstatus und eine Arbeitserlaubnis bekommen können. Diese gilt vor
allem für ukrainische Staatsbürger*innen. Drittstaatler*innen finden
nur unter bestimmten Umständen denselben Schutz. Doch zusätzlich hat das
Bundesinnenministerium verordnet, dass alle Ausländer*innen, die aus der
Ukraine fliehen, unabhängig von ihrer Nationalität bis Ende August ohne
Visum rechtmäßig nach Deutschland einreisen und sich ohne Aufenthaltstitel
hier aufhalten dürfen.
„Damit ist zumindest aufenthaltsrechtlich das Einbehalten von Pässen nicht
möglich“, erklärt auf Nachfrage das Berliner Landesamt für Einwanderung
(LEA). Der Sprecher berichtet von Fällen „einzelner Personen“, die angaben,
ihre Pässe seien von den Polizeibehörden einbehalten und sie seien wie
Elsayed aufgefordert worden, beim LEA vorzusprechen. „In diesen Fällen
wurde hier versucht festzustellen, ob ein Dokument, wie behauptet, beim LEA
einliegt. In einem solchen Fall würde es auch unverzüglich herausgegeben“,
so der Sprecher.
Doch der Stempel auf Elsayeds Kopien belegt: Der Pass wurde vom LEA selbst
einbehalten. Und trotz der Angaben des Pressesprechers dauert es ziemlich
genau einen Monat, bis der junge Ägypter seine Dokumente zurückbekommt.
Einmal sprechen er und sein Freund erfolglos beim LEA vor. Erst nachdem
Hilfsorganisationen für sie Druck machen, bekommen sie ihre Pässe
ausgehändigt.
## Flüchtlingsrat beklagt Unwissen
Dabei halten sie sich bis Ende August rechtmäßig im Land auf – und unter
bestimmten Umständen haben danach auch Nicht-Ukrainer*innen Anspruch auf
den unbürokratischen Schutz, den Ukrainer*innen derzeit erhalten. Etwa
dann, wenn sie ukrainische Familienangehörige haben oder wenn sie „nicht
sicher und dauerhaft“ in ihr Herkunftsland zurückkehren können.
Allzu oft würden diese Umstände aber von der Polizei gar nicht erst
abgefragt, bevor sie die Pässe von Drittstaatler*innen einbehalten,
sagt Nora Brezger vom Flüchtlingsrat. So sei unter den Betroffenen ein
nigerianisches Ehepaar, dessen Kind die ukrainische Staatsbürgerschaft hat
– womit auch die Eltern schutzberechtigt sind. „Hier mischt sich offenbar
totales Unwissen über die geltende Rechtslage mit rassistischen
Vorurteilen“, sagt Brezger.
Auch der Düsseldorfer Rechtsanwalt Malek Shaladi kann von mehreren Fällen
berichten. Es handle sich um Personen aus afrikanischen Staaten, vor allem
Nigerianer*innen. Bislang habe nur ein Teil von ihnen die Dokumente wieder
von der Ausländerbehörde zurückbekommen.
## Polizei spricht von „Identitätsprüfung“
Die Stadt Düsseldorf antwortet auf taz-Nachfrage, es seien rund 20
nichtukrainische Dokumente „vorläufig einbehalten“ worden. Dies sei
„lediglich zur Identitätsüberprüfung“ geschehen, die Papiere seien „zum
Teil wieder ausgehändigt“ worden. Die Berliner Polizei erklärt, derzeit
würden keine Pässe von aus der Ukraine Geflüchteten einbehalten, „sofern
keine Anzeichen auf eine Verfälschung oder eine missbräuchliche Nutzung der
Dokumente“ vorlägen. Der Fall der vom Flüchtlingsrat betreuten Gruppe
befinde sich derzeit „in der Klärung“. Auch die Bundespolizei schreibt, die
Sicherstellung von Dokumenten könne dann erforderlich sein, wenn bei
Personen „erhebliche Zweifel an der Vertriebenensituation vorliegen“. Wie
viele Pässe bislang einbehalten wurden? Dazu macht keine der Behörden
Angaben.
Rechtsanwalt Shaladi genügen diese Erklärungen nicht. „Wenn es um die
Identitätsfeststellung ginge, dann müssten doch alle aus der Ukraine
kommenden Personen überprüft werden, nicht nur die ohne ukrainische
Staatsbürgerschaft. So aber scheint es, als werde dieser Gruppe pauschal
unterstellt, gefälschte Dokumente vorzulegen.“ Auch passe das nicht zu dem,
was manchen Betroffenen gesagt werde. So berichtete ein nigerianischer
Staatsbürger dem Anwalt, ihm sei erklärt worden, man bereite mit dem Pass
seinen Rückflug nach Nigeria vor – er brauche auch nichts dafür zu zahlen.
Dabei besage die Rechtslage ganz klar, dass er bis Ende August nicht nur
bleiben, sondern sich „auch um einen Aufenthaltstitel bemühen“ dürfe, sagt
Shaladi – sei es nun nach der Massenzustromrichtlinie, durch ein Studium
oder auf andere Art. Jetzt Prozesse anzustoßen, seinen Aufenthalt zügig zu
beenden, sei rechtswidrig. „Das Gesetz ist eindeutig und ja nun schon
mehrere Wochen alt, das sollte in den Behörden doch angekommen sein.“
11 Apr 2022
## LINKS
[1] /Flucht-nach-Deutschland/!5840968
## AUTOREN
Dinah Riese
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Flucht
Aufenthaltsrecht
Geflüchtete
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Bananen
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
SPD-Politiker über Geflüchtete: „Sie fliehen vor demselben Krieg“
Hakan Demir kritisiert die Ungleichbehandlung von Menschen, die ohne
ukrainischen Pass aus der Ukraine fliehen. Er fordert für sie gleichen
Schutz.
Kleinbauern in Ecuador: Bananenanbau in der Krise
Vor allem Kleinbauern bauen die Früchte in Ecuador an. Dass sie von
Großkonzernen verdrängt werden, ist auch Aldis Schuld.
Rassismus gegen Ukraine-Geflüchtete: Kein Zugang für Rom*nja
In Mannheim verwehrt Bahn-Personal drei ukrainischen Romafamilien Hilfe.
Geflüchtete berichten auch andernorts über Antiziganismus.
Schwarze Geflüchtete aus der Ukraine: „Ganz klares Racial Profiling“
Noch immer werden Schwarze Geflüchtete aus der Ukraine in Polen und
Deutschland anders behandelt als weiße, kritisiert Jeff Klein vom Verein
EOTO.
Schwarze Studierende in der Ukraine: Flucht in die Ratlosigkeit
Erst haben es Studenten aus Nigeria schwer, die Ukraine zu verlassen, weil
rassistische Kontrollen sie nicht durchlassen. Dann wissen sie nicht,
wohin.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.