| # taz.de -- SPD verliert bei der NRW-Wahl: Die trotzigen Sozialdemokraten | |
| > Bei der NRW-Wahl landet die SPD mit Thomas Kutschaty hinter der CDU. | |
| > Seine Partei will dennoch ein Regierungsbündnis schmieden. | |
| Bild: Will nicht ausschließen, dass er doch NRW-Ministerpräsident wird: SPD-M… | |
| Düsseldorf taz | Unsicherheit, Enttäuschung, Trauer – all das ist in den | |
| Gesichtern der Sozialdemokrat:innen zu lesen, als in den | |
| Düsseldorfer Rheinterrassen wenige Sekunden nach 18 Uhr die erste Prognose | |
| über die Bildschirme läuft. Eisig ist das Schweigen der Genoss:innen. Denn | |
| gerade einmal 27 Prozent hat die SPD da eingefahren. | |
| Fast alles haben Spitzenkandidat [1][Thomas Kutschaty] und seine | |
| Genoss:innen versucht, um im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen, das | |
| sie fast 40 Jahre regiert haben, nach fünf Jahren Schwarz-Gelb wieder an | |
| die Macht zu kommen. Und jetzt haben sie das historisch schlechteste | |
| Ergebnis bei einer Landtagswahl geholt. Dabei galten hier schon die 2017 | |
| erzielten 31,2 Prozent als Tiefpunkt. | |
| Nun heißt es für die Sozialdemokrat:innen zunächst: Für den | |
| NRW-Klassiker Rot-Grün könnte es nur reichen, wenn die bei nur 5 Prozent | |
| liegende FDP aus dem Landtag fliegt. Doch ob CDU-Ministerpräsident | |
| [2][Hendrik Wüst], der erst im Oktober nach dem Bundestagswahldebakel von | |
| Armin Laschet ins Amt kam und nun satte 35 Prozent einfährt, weiterregiert | |
| oder ob doch Kutschaty in die Staatskanzlei einziehen darf, dürften die | |
| Grünen entscheiden. | |
| ## Die SPD betont ihre Regierungsoptionen | |
| Die SPD ist jedenfalls zunächst nicht bereit, die Niederlage einzugestehen. | |
| In Berlin erklärt SPD-Generalsekretär [3][Kevin Kühnert] um kurz nach 18 | |
| Uhr im Willy-Brandt-Haus: Schwarz-Gelb sei abgewählt, die CDU nur aufgrund | |
| einer Zweitstimmenkampagne auf Kosten der FDP stärkste Partei geworden. Und | |
| überhaupt müsse nicht die stärkste Partei den Ministerpräsidenten stellen. | |
| In Thüringen sei ja mal FDP-Mann Kemmerich kurzzeitig Ministerpräsident | |
| gewesen. Dass Kühnert die von der AfD unterstützte Kemmerich-Wahl anführt, | |
| ist ein Zeichen gewisser Verzweiflung. | |
| Aber auch in Düsseldorf betont Thomas Kutschaty: „Es steht längst noch | |
| nicht fest, wer im Landtag eine Mehrheit zur Regierungsbildung hinter sich | |
| bringen kann.“ Angefeuert wird er dafür mit „Thomas, Thomas“-Rufen. „D… | |
| Sozialdemokratie in NRW steht bereit für eine Landesregierung“, erklärt | |
| Kutschaty. „Der Wahlabend ist noch lang.“ | |
| Aber es gibt auch andere Stimmen in der Partei. Etwa die von | |
| SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Die SPD habe die Wahl verloren, | |
| zunächst müssten CDU und Grüne Gespräche führen, betont er. Alles andere | |
| sei „vermessen und nicht angebracht“. | |
| ## Zunächst ging es aufwärts | |
| Dabei hatte sich Kutschaty, im Landtag Fraktionschef und Oppositionsführer, | |
| lange Zeit Chancen auf einen Sieg ausrechnen können. Zwar verzeichneten die | |
| Umfragen ab Anfang Mai einen leichten Vorsprung für die CDU. Zuvor lagen | |
| die Genoss:innen aber monatelang mit rund 30 Prozent etwa gleichauf. Für | |
| Kutschaty war schon das ein riesiger Erfolg. Denn noch im März 2021, als | |
| der öffentlich weithin unbekannte 53-jährige Interims-Landesparteichef | |
| Sebastian Hartmann aus dem Amt drängte, lag die SPD bei 17 Prozent. | |
| Kutschaty hatte deshalb vorgebaut – und erklärt, er wolle auch eine | |
| Regierung bilden, wenn die SPD nicht stärkste Fraktion im Landtag werde. | |
| Möglich machen sollte das eine rot-grün-gelbe Ampel wie im Bund. Nicht | |
| umsonst setzte Kutschaty auf die Unterstützung von Kanzler Olaf Scholz – | |
| noch am Freitag reiste dieser eigens nach Köln. Nun ist auch Scholz selbst | |
| angeschlagen. | |
| Um eine Ampel auch in NRW möglich zu machen, war Kutschaty den Grünen weit | |
| entgegengekommen: Er warb mit dem Ausbau der Erneuerbaren, mit einem | |
| möglichst schnellen Ausstieg aus der klimaschädlichen Braunkohle. Auch die | |
| FDP vergaß Kutschaty nicht ganz: Deren Konzept besonders gut ausgestatteter | |
| „Talentschulen“ in finanzschwachen Stadtteilen etwa lobte er immer wieder, | |
| versprach eine flächendeckende Umsetzung. | |
| ## Die SPD in NRW hat sich, sachte, reformiert | |
| Die eigene Klientel wollte der Spitzengenosse mit dem Markenkern der | |
| Sozialdemokratie zurückgewinnen. Hartz-IV-Gegner Kutschaty versprach | |
| „Chancengleichheit“ für Kinder aus armen Familien, gebührenfreie Kitas und | |
| erschwingliche Mieten durch den Bau von landesweit 100.000 Wohnungen | |
| jährlich. Die SPD in NRW, lange verbissene Kohlepartei, hat damit nicht nur | |
| begriffen, dass die Zukunft klimaneutral sein muss. Sie ist auch etwas | |
| diverser geworden. Sie hat sich vorsichtig, aber doch erkennbar, | |
| reformiert. | |
| Und die SPD-Kampagne war ganz auf den Spitzenkandidaten zugeschnitten: Ein | |
| Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen, der es zum Juristen gebracht hat, der | |
| noch immer in einer Zechensiedlung in seiner Heimatstadt Essen wohnt. Die | |
| klassische sozialdemokratische Erzählung also – verbunden mit dem | |
| Versprechen, dass Kutschaty, der im Urlaub campen geht, seine Herkunft | |
| nicht verraten wird. | |
| Insofern war alles bereit, um den Erfolg von Scholz bei der Bundestagswahl | |
| zu wiederholen. Es hat nicht gereicht. Und das gegen Hendrik Wüst, einen | |
| Gegner, der sein Amt geerbt hat und eigentlich schlagbar war. | |
| 15 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Wyputta | |
| Stefan Reinecke | |
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