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# taz.de -- Streitgespräch zu Waffen für die Ukraine: „Keinen schlanken Fu�…
> Verlängern mehr Waffen den Krieg? Oder eröffnen Waffen erst Gespräche?
> Sabine Leutheusser-Schnarrenberger streitet mit dem Juristen Reinhard
> Merkel.
Bild: NATO-Soldaten bei einer Militärübung in Nordmazedonien
taz: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Herr Merkel, Sie haben sich in zwei
unterschiedlichen [1][offenen Briefen] an den Kanzler für und gegen die
Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine ausgesprochen. Was ist das Ziel
Russlands in diesem Krieg?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Putin hat vor dem Beginn des
Angriffskriegs am 24. Februar verkündet, die Ukraine sei kein selbständiger
Staat. Sie gehöre zu Russland und soll nicht weiter als souveräner Staat
bestehen. Ich weiß nicht, ob Putin seine Kriegsziele inzwischen geändert
hat. Aber dass er den Donbass, also die Ostukraine, zum Teil Russlands
machen will, scheint ein Kriegsziel zu sein. Außenminister Lawrow redet
nicht zufällig über Transnistrien, Moldau und den Einsatz von Atomwaffen.
Das gehört zur Strategie der Verunsicherung.
Einverstanden, Herr Merkel?
Reinhard Merkel: Ja. Putin wollte zu Beginn des Krieges die Aufhebung der
Souveränität der Ukraine durch Etablierung einer Marionettenregierung und
Teile des Donbass dauerhaft aus der Ukraine ausgliedern. Dass er die ganze
Ukraine an Russland anschließen wollte, kann man nicht ernsthaft vermuten.
Die Annahme, die suggestiv unsere öffentlichen Debatten prägt, dass Putin
nach der Ukraine auch nach den baltischen Staaten, nach Polen und am Ende
nach Berlin greifen wolle, ist in hohem Maß irrational. Putin hat nicht das
Ziel, einen Krieg mit der stärksten Militärmacht der Welt zu riskieren.
Reicht Putins Imperialismus nicht bis zum Baltikum, Frau
Leutheusser-Schnarrenberger?
Leutheusser-Schnarrenberger: Er hat den Zerfall der Sowjetunion nie
wirklich verkraftet. Eigentlich schwebt ihm eine Situation wie mit dem
Warschauer Pakt vor. Ein Bündnis, in dem die Russische Föderation am
stärksten wäre, und auf der anderen Seite das westliche Bündnis. Aber dass
Putin die Konfrontation mit der Nato will, ist unwahrscheinlich. Ich rechne
Putin eine gewisse Rationalität zu.
Merkel: Putin hat seine Kriegsziele vermutlich geändert. Das russische
Militär ist auf den Schlachtfeldern im Moment im Hintertreffen. Sämtliche
Verluste der Ukraine an militärischem Gerät werden durch Lieferungen aus
dem Westen sofort kompensiert. Diese Art Krieg kann Russland nicht
gewinnen. Moskau müsste mit Blindheit geschlagen sein, das nicht zu sehen.
Aber das öffentlich zu verkünden wäre das Eingeständnis einer Niederlage.
Ich denke, Putin will mit einem für eine atomare Weltmacht noch
hinnehmbaren Gesichtsverlust aus dieser für ihn inzwischen höchst prekären
Geschichte herauskommen.
Woher wissen Sie das?
Merkel: Wissen kann das derzeit niemand. Alle diese Erwägungen enthalten
ein Element von Spekulation. Aber ich erkenne keine alternative Deutung,
die vernünftiger wäre. Wir sollten es jedenfalls für möglich halten, dass
Putin Auswege aus dieser Situation sucht. Das eröffnet Möglichkeiten. Die
Maßgabe aus Washington ist freilich offenbar eine andere. Vor zwei Wochen
hat der US-Verteidigungsminister als Kriegsziel definiert, Russland so zu
schwächen, dass es nicht mehr in der Lage sei, einen Angriffskrieg wie
diesen zu führen. So weit ist man noch längst nicht. Daher dürften die USA
im Moment keine Neigung haben, Waffenstillstandsverhandlungen zu
begünstigen. Noch vor sechs Wochen hat der ukrainische Präsident Selenski
signalisiert, man sei zu Waffenstillstandsverhandlungen und Konzessionen
bereit. Seitdem nicht mehr. Man kann vermuten, dass zwischen diesen beiden
Tatsachen eine Verbindung besteht. Dass Washington derzeit sagt: noch
nicht. Politisch wie ethisch ist das unverantwortlich.
Leutheusser-Schnarrenberger: Das sehe ich anders. Das Wichtigste ist, dass
die Ukraine in der Lage ist, Verhandlungen zu führen, die nicht die eigene
Kapitulation bedeuten. Und dazu braucht sie Waffen. Das ist eine
wesentliche Forderung des offenen Briefes, den ich unterschrieben habe.
Putin wird ohne die weitere Lieferung von Waffen von Nato-Ländern gar nicht
in die Situation kommen, sich über Verhandlungen Gedanken machen zu müssen.
Warum sollte er mit einer Ukraine verhandeln, die keine Waffen hat?
Merkel: Niemand fordert, dass die Ukraine nicht über Waffen verfügen soll!
Leutheusser-Schnarrenberger: Herr Merkel, der Brief, den Sie unterzeichnet
haben, liest sich aber anders. Dort wird der Kanzler aufgefordert, „weder
direkt noch indirekt weitere schwere Waffen an die Ukraine zu liefern“.
Merkel: Das ist vielleicht eine etwas missverständliche Formulierung. Ich
habe keinen generellen Vorbehalt dagegen, deutsche Waffen an die Ukraine zu
liefern. Deutschlands Waffenlieferungen sind militärisch relativ
unbedeutend, anders als die aus den USA und Großbritannien, eher eine
symbolische Geste.
Weder direkt noch indirekt schwere Waffen zu liefern, bedeutet, dass
Deutschland keine slowakischen Panzer ersetzt, die nach Kiew geliefert
werden. Berlin müsste auch verbieten, dass die Niederlande Panzerhaubitzen
aus deutscher Produktion liefern. Wäre das klug?
Merkel: Wie gesagt: Der Aufruf mag insofern missverständlich sein. Die
Absicht war, Kanzler Scholz in seiner zunächst abwägenden Haltung zu
bestärken. Deutschland hat zu Beginn nur in bescheidenem Maße an die
Ukraine Waffen geliefert. Scholz wollte nicht eskalieren. Das war richtig.
Eskalation durch massive Waffenlieferungen ist der falsche Weg. Was wäre
mit immer mehr Waffenlieferungen zu erreichen? Es spricht viel dafür, dass
die militärische Lage nach fünf, sechs, sieben Monaten weiterer Zerstörung
nicht substanziell anders sein wird als heute. Aber Zehntausende weiterer
Menschen werden ihr Leben verloren haben. Das ist, um das Mindeste zu
sagen, ein moralisches Dilemma. Im Gedankenexperiment: Würde der Widerstand
fortgesetzt bis zum Tod des letzten ukrainischen Zivilisten, wäre evident,
dass die Entscheidung, sich bis dahin zu verteidigen, unzulässig war.
Jenseits einer bestimmten politisch-ethischen Linie kann auch der
angegriffene Staat die Legitimation für das, was er tut, verlieren.
Leutheusser-Schnarrenberger: Die Ukraine verteidigt sich gegen diese
Angriffe mit Waffen. Das kostet Menschenleben. Das ist ein moralisches
Dilemma – da haben Sie recht. Aber im Völkerrecht findet das keinen
Niederschlag. Da steht nicht: Wenn die Anzahl der Opfer eine gewisse Zahl
überschreitet, wird das Selbstverteidigungsrecht eingeschränkt. Es hat in
Butscha und Mariupol von russischer Seite fürchterliche Verbrechen an der
ukrainischen Zivilbevölkerung gegeben. Es ist völlig verständlich, dass die
Ukrainer keinen stärkeren Einfluss Russlands auf ihr Land haben und in
einem diktatorischen System leben wollen. Der entscheidende Punkt ist: Mit
Waffenlieferungen ist es weit eher möglich, Putin zu Verhandlungen zu
bewegen, als ohne Waffenlieferungen.
Die Strategie der Nato besteht aus drei Teilen: Sanktionen,
Waffenlieferungen und Diplomatie. Macron telefoniert ja oft mit Putin. Und
hoffentlich findet hinter den Kulissen mehr statt, als wir von außen
wahrnehmen …
Merkel: … diese Hoffnung teile ich …
Leutheusser-Schnarrenberger: Das Ziel dieser drei Teile ist es, Putin zu
Verhandlungen zu bewegen. Warum soll eine symbolische Zurückhaltung
Deutschlands da nützlich sein? Wenn Deutschland sich bei Waffenlieferungen,
salopp gesagt, einen schlanken Fuß macht, wächst doch Putins
Verhandlungsbereitschaft nicht.
Merkel: Deutschland kann sich nicht, wie Sie sagen, einen schlanken Fuß
machen und sich hinter der Bühne aufspielen. Wer die Ukraine nicht
unterstützt, muss gegenüber der Regierung in Kiew auch den Mund halten. Das
ist richtig. Aber ich halte die massive, demonstrative Eskalation per
Waffenlieferungen für falsch. Sie verlängert den Krieg mit allen
Abscheulichkeiten und Kriegsverbrechen über Monate hinaus, ohne dass sich
die militärische Situation wesentlich änderte. Diesen Krieg kann keine der
beiden Parteien gewinnen. Deshalb braucht Russland einen gesichtswahrenden
Ausweg, etwas, was Putin zu Hause gerade noch als Sieg verkaufen kann. Je
schneller, desto besser.
Leutheusser-Schnarrenberger: Wir, die Unterzeichner des offenen Briefes,
sind nicht begeistert, dass es einen Krieg gibt und dass wir Waffen
liefern. Das Ziel sind Waffenstillstandsverhandlungen, ist ein
Waffenstillstand und sind danach Gespräche. Sie haben recht – wenn der
Krieg lange Zeit dauert, ist das furchtbar. Aber darüber entscheidet die
Ukraine. Deren Ziel ist es, wieder als eigenständiger, souveräner Staat zu
existieren. Dafür muss die Ukraine gestärkt werden, um in Verhandlungen
zumindest die Situation zu erreichen, die vor Kriegsbeginn bestanden hat.
Wir dürfen uns nicht darüber hinwegsetzen, was die Ukrainerinnen und
Ukrainer wollen.
Merkel: Die Ukraine muss ein unabhängiger, souveräner Staat bleiben,
selbstverständlich. Aber wir müssen auch nach den Kosten fragen. Die
Behauptung, die Ukraine wolle sich mit Gewalt verteidigen, ist zu pauschal.
Es gibt wohl Millionen dort, die ein schnelles Ende des Krieges vorzögen.
Es gibt Millionen Kinder, die nicht in diese Politik einwilligen können,
die ihr Leben gefährdet. Wenn es naheliegend erscheint, dass die
militärische Situation in der Ukraine in Monaten auch nicht anders sein
wird, dann stellt sich die bittere Frage nach der Legitimation. Was genau
legitimiert unter dem Gesichtspunkt fundamentaler ethischer Prinzipien die
Preisgabe der weiteren Menschenleben, deren Einwilligung in vielen Fällen
bloße Fiktion ist?
Leutheusser-Schnarrenberger: In Kriegssituationen ist es nie der Fall, dass
alle Bürgerinnen und Bürger sagen: Hurra, wir sind im Krieg. Viele
Betroffene verlieren alles, müssen jenseits der Heimat versuchen, Fuß zu
fassen. Diese existenziellen Fragen kann nur die demokratisch gewählte
Regierung in Kiew abwägen. Sie trägt die Verantwortung.
Merkel: Aber das normative Dilemma erkennen Sie an?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, aber das kann nur die Ukraine entscheiden.
Merkel: Vielleicht. Aber es geht um die Verbindlichkeit moralischer
Maßstäbe. Kiew kann falsch entscheiden.
Und wer entscheidet, ob die Ukraine falsch entscheidet?
Merkel: Darüber gibt es keinen Konsens. Das kennen wir seit Aristoteles von
allen fundamentalen moralischen Fragen.
Die russische Kriegsführung ist wichtig für die Beurteilung des Krieges.
Ist Terror gegen die Zivilisten eine Strategie – oder haben wir es mit
spontaner, entgrenzter Gewalt zu tun?
Leutheusser-Schnarrenberger: Wir kennen die Befehle Putins nicht. Nach
meiner Einschätzung herrscht aber eine Atmosphäre, in dem Kriegsverbrechen
gegen Zivilisten als legitim erscheinen. Es gab Exzesse von Soldaten.
Merkel: Das russische Militär bombardiert offenbar ohne Rücksicht auf
kollaterale zivile Opfer. Diese Art Bombardierung von Städten ist ein
Kriegsverbrechen. Aber Zivilisten sind schwerlich das direkt intendierte
Ziel. Die UNO spricht von 5.000 zivilen Toten. Nach neun Wochen
Kriegsführung der USA im Irak 2003 waren es wohl 30-mal so viele. Das ist
übrigens kein Whataboutism, sondern ein Hinweis auf die Doppelzüngigkeit in
unseren Debatten. Der Aggressionskrieg gegen den Irak hat 500.000
Menschenleben gefordert. Der Ukrainekrieg ist keineswegs der erste
Höllensturz der abendländischen Ethik.
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich kann die Zahl der Opfer in der Ukraine
nicht beurteilen. Aber zu den Toten kommen verschleppte Ukrainer in
russischen Kriegsgefangenenlagern. Es wird von einer Million Menschen
gesprochen, die in russisches Hoheitsgebiet verschleppt wurden. Und es gibt
unstreitig Folter, die Ermordung von Zivilisten und Massengräber.
Merkel: Ja, bei Aggressionskriegen ist die Zahl der Kriegsverbrechen des
Aggressors immer höher als die beim Verteidiger. Aber ich glaube nicht,
dass Putin höchstpersönlich den Befehl gegeben hat, Zivilisten zu foltern.
Aber Putin hat die Brigade geehrt, die in Butscha offenbar an Verbrechen
begangen hat. Das ist ein Hinweis, dass es, wenn keinen Befehl, so doch ein
Einverständnis von oben für solche Entgrenzung gibt. Also doch ein Teil der
Strategie, oder?
Merkel: Die Brigade auszuzeichnen war eine Art Ex-Post-Billigung. Daraus
folgt nicht, dass solcher Terror zur geplanten Strategie gehört. Morde an
Zivilisten sind militärisch gänzlich sinnlos. Diese Verbrechen sind eher
Teil der Eskalation auch des Hasses.
Leutheusser-Schnarrenberger: Diese Ex-Post- Billigung zeigt, dass Putin
bewusst die Möglichkeit nicht genutzt hat, um deutlich zu machen: Es gibt
Grenzen, wie Krieg geführt wird.
Merkel: In Butscha sind abscheuliche Verbrechen geschehen. Dass Putin da
nachträglich keine Grenzen markiert hat, ist moralisch erbärmlich.
Gibt es völkerrechtlich unterschiedliche Ansichten über diesen Krieg?
Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, wir haben es mit einem
völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu tun. Die Ukrainer dürfen sich
verteidigen. Und wir dürfen ihnen dabei mit Waffen helfen.
Merkel: Ja. Russland ist der Aggressor. Niemand kann das leugnen. Und das
Recht der kollektiven Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN Charta
erlaubt jedem Staat, der Ukraine zu helfen. Der Angriffskrieg verletzt
nicht nur einfach das Völkerrecht, er bricht dessen Grundnorm. Das
Aggressionsverbot ist die Bedingung der Möglichkeit von Völkerrecht – nicht
eine x-beliebige Norm, sondern die Bedingung dafür, dass die internationale
Ordnung eine des Rechts sein kann.
Eine strittige Frage lautet: Ist der Westen schon Kriegspartei?
Merkel: Die USA sind nach meiner Überzeugung völkerrechtlich inzwischen
Kriegspartei. Sie liefern die entscheidenden Daten für die Zielkoordinaten
der ukrainischen Raketenstellungen. Die ukrainische Arme wäre alleine
schwerlich in der Lage gewesen, das stolzeste Schlachtschiff der Russen zu
versenken. Neun russische Generäle sind bisher getötet worden, wohl nur,
weil die USA die Zielvorgaben lieferten. Das macht sie auch rechtlich zur
Kriegspartei.
Leutheusser-Schnarrenberger: Die Daten der USA sind wichtig, damit sich die
Ukraine verteidigen kann. Ich teile Ihre dezidierte Bewertung nicht, dass
die USA im völkerrechtlichen Sinne damit Kriegspartei sind. Es existieren
da keine ganz eindeutigen Definitionen. Klar ist, dass Nato-Soldaten in der
Ukraine oder Flugverbotszone Kriegsbeteiligungen wären. Olaf Scholz hat
daher beides als rote Linien markiert. Er hat sich auch das Kriegsziel des
US-Verteidigungsministers, der, überspitzt gesagt, Russland besiegen will,
nicht zu eigen gemacht. Sie hätten Ihren Brief besser an Präsident Biden
adressiert.
Merkel: Na ja, Präsident Biden würde deutsche Bürger als seine Ermahner
wohl für unzuständig erklären. Aber noch einmal zur Frage Kriegspartei.
Zunächst: Die USA dürfen völkerrechtlich ohne Weiteres Kriegspartei werden.
Daten und Waffen liefern, ja Soldaten schicken. Das Neutralitätsrecht wird
hier verdrängt von dem Umstand, dass die Ukraine Aggressionsopfer ist. Im
Übrigen ist die völkerrechtliche Debatte aber unterkomplex. Dass
Waffenlieferungen nie eine Kriegsbeteiligung sein könnten, ist ein
Klischee. Würden Frankreich oder England der Ukraine Atomwaffen liefern,
wären sie dann keine Kriegspartei? Aber mit 300 Soldaten dort schon? Die
politische Entscheidung, wer als Kriegspartei behandelt wird, fällt leider
ohnehin nicht in völkerrechtlichen Debatten, sondern in Moskau. Wenn
Deutschland demnächst Awacs-Daten und schwere Waffen an die Ukraine liefert
und zudem ukrainische Soldaten in Deutschland an solchen Hightech-Waffen
ausbildet, kann man in Moskau sehr wohl auf diese Idee kommen.
Für wie groß halten Sie die Gefahr einer Ausweitung und Eskalation des
Krieges?
Leutheusser-Schnarrenberger: Wenn wir Putin einen Rest von Rationalität
zurechnen, dann ist eine Ausweitung unwahrscheinlich. Der Kriegsverlauf in
der Ukraine ist militärisch aus russischer Sicht nicht zufriedenstellend.
Es ergibt keinen Sinn, nun einen Nato-Staat anzugreifen. Die Logik der
Abschreckung, die gegenseitige Vernichtungsdrohung, ist eine effektive
Hürde. Scholz betont trotzdem zu Recht, wie gefährlich eine atomare
Eskalation wäre.
Merkel: Auf den Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 hat man die Metapher von
den Schlafwandlern bezogen. Ich möchte keine verfehlten historischen
Analogien ziehen. Aber bei der Kollision von Weltmächten gibt es den Zwang,
auf harte Schläge adäquat zu reagieren. Wenn Russland noch massiver Städte
bombardiert, weil die militärische Lage aus seiner Sicht noch verzweifelter
wird, werden die USA reagieren. Es gibt wohl weder in Moskau noch in
Washington Pläne, Atomwaffen einzusetzen. Aber das Risiko existiert. Das
enthält ein spekulatives Element. Aber dieses Risiko einfach zu ignorieren,
wäre mehr als unvorsichtig. Auch führende US-Militärs warnen vor der Gefahr
eines atomaren Konflikts. Die USA sind in diesen Krieg involviert; aus
Sicht Washingtons darf die Ukraine diesen Krieg daher nicht verlieren. Auf
beiden Seiten geht es jetzt auch um Face-Savings. Das birgt ein
Eskalationsrisiko von beklemmendem Ausmaß.
Glauben Sie, dass Putin friedensfähig ist? Oder schließt sein
imperialistisches Programm Frieden aus?
Merkel: Schwierige Frage. Man kann Zweifel an seiner Friedensfähigkeit
haben. Wir sollten diese aber für möglich halten.
Leutheusser-Schnarrenberger: Wichtig ist, ihm Grenzen zu setzen. Dann wird
er am Ende am Verhandlungstisch landen.
16 May 2022
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Sabine am Orde
Stefan Reinecke
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