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# taz.de -- Prozess gegen mutmaßlichen KZ-Wärter: „Williger Vollstrecker“…
> Die Staatsanwaltschaft fordert fünf Jahre Haft für den mutmaßlichen
> KZ-Wachmann Josef S. Für sie ist erwiesen, dass er in Sachsenhausen
> Dienst tat.
Bild: Der ehemalige KZ-Wachmann verdeckt im Gericht in Brandenburg sein Gesicht
Brandenburg an der Havel taz | Fünf Jahre Haft: So lautet die
Strafforderung der Staatsanwaltschaft im Fall Josef S. Der Rentner sei der
Beihilfe zum Mord in mehr als 3.000 Fällen schuldig, begangen als
SS-Wachmann zwischen 1941 und 1945 im KZ Sachsenhausen bei Berlin.
„Sie haben einfach weggeguckt. Sie haben es verdrängt“, sagt
Oberstaatsanwalt Cyrill Klement in seinem Schlussvortrag vor dem
Landgericht Neuruppin, das in Brandenburg an der Havel tagte. Das Urteil in
diesem seit Oktober letzten [1][Jahres laufenden Verfahren] könnte Anfang
Juni fallen.
Josef S., 101 Jahre alt, bekleidet mit blauer Jacke, hat dem Vortrag des
Staatsanwalts aufmerksam und zugleich scheinbar gleichgültig über einen
Kopfhörer zugehört. Aufmerksam, weil er kein Zeichen von Müdigkeit erkennen
lässt, gleichgültig, weil er keine Regung gezeigt hat.
Er verlässt den Gerichtssaal danach im Rollstuhl. S., ob seines Alters nur
eingeschränkt verhandlungsfähig, sitzt derzeit nicht in Haft. Er hat seine
Tätigkeit als Wachmann bis zuletzt vor Gericht standhaft geleugnet.
## Erdrückende Indizienlage
Doch die Indizienlage, so die Staatsanwaltschaft, sei erdrückend. Klement
breitet diese zu Beginn seines Vortrags noch einmal aus. Tatsächlich
sprechen sämtliche schriftlichen Belege für die Anwesenheit von S. im KZ
Sachsenhausen. Es sei auch keine kurze Episode in seinem Leben gewesen, der
gebürtige Baltendeutsche habe fast vier Jahre lang, von 1941 bis zum
Februar 1945, dort als Wachmann für die SS gedient – an Postenketten, auf
den Wachtürmen und bei der Bewachung der Gefangenen im Außeneinsatz.
Da sind die Schreiben der Einwandererzentralstelle, die Papiere aus dem KZ
selbst, die Truppenstammrolle, das Schreiben eines SS-Führers, alles mit
Name, Geburtsdatum, Geburtsort versehen. Schließlich ein Foto von S., das
einem Sachverständigen zufolge ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit zeigt.
Sogar ein Brief von S.' Vater bezeugt den Einsatz seines Sohnes für die SS.
S,' Führung im KZ galt als „gut“, Strafen hatte er „keine“. 1944 wurde…
zum SS-Rottenführer befördert.
„Das alles ist keine Theorie, das sind Fakten“, sagt Oberstaatsanwalt
Klement zum Angeklagten. S.' Behauptung, dass er die Kriegszeit als
Erntehelfer verbracht habe, seinen „nicht glaubhaft“ und „widerlegt.“ Es
bestehe „kein Zweifel“ an S.' Tätigkeit im KZ. Der Angeklagte habe eine
„Wahr-Lügen-Entwicklung“ hinter sich. Klement nennt ihn einen „willigen
Vollstrecker“, der „organisch mit dem KZ gewachsen“ sei.
## Von den Morden gewusst
Und dann kommt der Staatsanwalt zum Geschehen in Sachsenhausen selbst und
der Beteiligung von S. an den dort verübten „systematischen Verbrechen“,
bezeugt [2][durch die Aussagen Überlebender] und durch die Spuren, die die
SS selbst hinterlassen hat. Ein Gutachter hat davon in dem Verfahren über
Wochen berichtet.
Da war die „Genickschussanlage“ genannte Mordmaschine, wo beginnend 1941
und nach einer Unterbrechung erneut im folgenden Jahr sowjetische
Kriegsgefangene durch einen Schlitz in der Wand per Genickschuss getötet
wurden, während sie glauben sollten, man vermesse doch nur ihre
Körpergröße. Allein bis zum November 1941 starben so etwa 10.000 Menschen.
Die Schüsse seien im ganzen Lager zu hören gewesen.
Und Klement setzt seinen Vortrag fort, führt die lebensfeindlichen
Bedingungen aus, und die „Kriegsendverbrechen“, als es der SS darum ging,
dass höchstens noch gesunde Häftlinge am Leben bleiben durften. Schon ab
1944 aber litten die Lagerinsassen unter der völligen Überfüllung, unter
einer „katastrophalen Ernährung“, „mangelhafter Kleidung“ – von einer
medizinischen Versorgung habe man gar nicht sprechen können, so der
Staatsanwalt. Wer nicht mehr bei Gesundheit war, wurde der
„Genickschussanlage“ zugeführt und dort ermordet. Ab Mitte 1944 seien
„nutzlose Esser“ auch in einer Gaskammer umgebracht worden.
Die SS-Wachmannschaften hätten von all diesen Morden gewusst. „Willige
Vollstrecker wie Sie“ hätten diese Morde überhaupt erst möglich gemacht,
sagt Klement, dem Beschuldigten zugewandt. Anstatt den Versuch zu
unternehmen, sich durch eine Versetzung als Soldat an die Front dem
systematischen Morden zu entziehen, habe S. Karriere gemacht und sei zum
Rottenführer aufgestiegen, dem höchsten Mannschaftsgrad der SS. Das, so der
Staatsanwalt, habe aus S. ein „besonderes Rädchen im Vernichtungswerk“
gemacht.
Mit der Forderung nach fünf Jahren Haft bleibt Staatsanwalt Klement
deutlich unter dem höchstmöglichen Strafmaß für Beihilfe zum Mord in Höhe
von 15 Jahren. Am nächsten Montag werden die Nebenkläger zu Wort kommen.
17 May 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
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