# taz.de -- Urteil gegen KZ-Wachmann in Sachsenhausen: Fünf Jahre Haft | |
> Der 101-jährige Angeklagte ist wegen Beihilfe zum Mord im KZ | |
> Sachsenhausen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Er bleibt zunächst | |
> auf freiem Fuß. | |
Bild: Der Angeklagte wird zur Urteilsverkündung ins Landgericht Neuruppin gebr… | |
Brandenburg an der Havel taz | Fünf Jahre Haft wegen Beihilfe zum Mord: So | |
lautet das Urteil gegen Josef Schütz. Das in Brandenburg an der Havel | |
tagende Landgericht Neuruppin sieht es als erwiesen an, dass er als | |
SS-Wachmann im KZ Sachsenhausen zwischen 1942 und 1945 wissentlich dazu | |
beigetragen hat, dass mindestens 3.500 Menschen ermordet wurden. Das Urteil | |
entspricht dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft. Schütz' Verteidiger | |
hatte [1][dagegen auf Freispruch oder eine Bewährungsstrafe] plädiert. | |
Der 101 Jahre alte Angeklagte nahm das Urteil scheinbar unbewegt zur | |
Kenntnis. Er hatte seine Tätigkeit im KZ bis zuletzt geleugnet. | |
Doch [2][die Indizienlage gegen Schütz], so führte Richter Udo Lechtermann | |
in seiner Urteilsbegründung aus, sei erdrückend. Sein Einsatz sei in den | |
Personalunterlagen der SS lückenlos dokumentiert, zudem existierten Briefe | |
der Eltern, aus denen hervorging, dass der Sohn „bei der SS in Oranienburg“ | |
beschäftigt gewesen sei. Und schließlich habe eine Gutachterin | |
festgestellt, dass die Merkmale eines alten Fotos mit denen des Angeklagten | |
mit hoher Sicherheit übereinstimmten. | |
„Sie, Herr Schütz, haben drei Jahre lang Terror und Massenmord gefördert“, | |
sagte der Richter dem Angeklagten zugewandt. Jeder Wachmann habe den | |
reibungslosen Ablauf der Tötungsmaschine gewährleistet. Als „zuverlässiger | |
und gehorsamer Wachmann“ habe Schütz die Morde gefördert und dabei noch | |
eine „bescheidene Karriere“ machen können – bis zum Rottenführer, dem | |
höchsten Mannschaftsgrad in der SS. | |
Die Zahl von 3.500 Opfern zum in der Anklage beschriebenen Tatzeitraum | |
nannte der Richter eine „vorsichtigste Mindestschätzung“. Und dann ging | |
Lechtermann auf die mannigfaltigen und täglichen Möglichkeiten ein, in dem | |
KZ zu Tode zu kommen: Tod durch Hunger, weil viel zu wenig Nahrung | |
ausgegeben wurde, Phenol-Injektionen an Kranken durch SS-Ärzte, aber auch | |
„Erhängen, Erschießen, Vergasen, Totprügeln. Immer standen die Menschen an | |
der Schwelle zum Tod.“ | |
Eine direkte Beteiligung an Morden habe man Schütz in dem Verfahren nicht | |
nachweisen können, auch weil der Angeklagte geschwiegen habe. „Die | |
Wahrheit, Herr Schütz, kennen Sie allein“, sagte Lechtermann. | |
## Zu späte und zu wenige Verfahren | |
Schütz' „gebetsmühlenartige“ Behauptungen, als Landarbeiter tätig gewesen | |
zu sein, verwarf Lechtermann: „Das hat Ihnen keiner abgenommen“, sagte der | |
Richter. Es gebe auch keinerlei Indizien dafür, dass die SS-Unterlagen | |
gefälscht worden seien. Diese seien vielmehr „akribisch geführt“. | |
In seiner bemerkenswerten Urteilsbegründung beließ es der Richter nicht bei | |
einer Bewertung der Schuld des Angeklagten und einer Darstellung der | |
grausamen Verhältnisse im KZ Sachsenhausen. Lechtermann tat zugleich | |
Abbitte für das Versagen der deutschen Justiz in den Nachkriegsjahrzehnten. | |
Den Beginn der Vorermittlungen der Zentralen Stelle zur Aufklärung von | |
NS-Verbrechen, als der Angeklagte schon über 90 Jahre alt war, nannte er | |
„allzu spät.“ Viele andere NS-Täter seien gar nicht oder nur mit | |
lächerlichen Strafen belegt worden. | |
Die Verhandlung habe „[3][eine Zeitreise in das wohl dunkelste Kapitel | |
unserer Vergangenheit]“ mit „noch nicht da gewesenen Einblicken in das | |
Terror- und Vernichtungssystem der SS“ erbracht, sagte der Richter. Diese | |
sei keineswegs „Teil einer abgeschlossenen Vergangenheit“, wie der Auftritt | |
überlebender KZ-Opfer deutlich gemacht habe. „Die Frage nach der | |
Notwendigkeit des Verfahrens erübrigt sich“, sagte Lechtermann. | |
Thomas Walther, der schon bei vielen NS-Strafprozessen als Nebenkläger | |
aufgetreten ist, nannte die Urteilsbegründung einen „rechtspolitischen | |
Mutmacher“. Er hofft, dass es bald zu einem weiteren ähnlichen Verfahren | |
kommt, mochte aber keine Details nennen. | |
Das Urteil ist nicht rechtskräftig, der Verurteilte will nach Aussage | |
seines Anwalts in Revision gehen. Weil bei dem 101-Jährigen keine | |
Fluchtgefahr besteht, bleibt er einstweilen auf freiem Fuß. Dabei könnte es | |
auch bleiben: Von den drei seit 2011 zu Haftstrafen ohne Bewährung | |
verurteilten NS-Straftätern hat keiner seine Haft antreten müssen. Sie alle | |
sind inzwischen verstorben. | |
28 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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