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# taz.de -- Querdenker an der Uni Bielefeld: Der abgedriftete Professor
> Martin Schwab ist ein beliebter Juraprofessor – und tritt in NRW für „Die
> Basis“ an. Die Uni fragt sich: Wie umgehen mit dem Querdenker-Prof?
Bild: Wieso hat er sich so radikalisiert? Schwab auf einer Demo gegen die Coron…
Berlin taz | Martin Schwab steht auf einer Bühne auf dem Kesselbrink in
Bielefeld, er trägt einen schwarzen Anorak, hält in der einen Hand ein paar
Zettel und in der anderen ein Mikrofon. „Meine heutige Ansprache“, sagt er,
„steht unter dem Thema Propagandanarrative“. Das „i“ zieht er dabei seh…
die Länge.
Schwab ist Spitzenkandidat der [1][Querdenken-Partei „Die Basis“] für die
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Eine gute halbe Stunde wettert er an
diesem Freitag Mitte März gegen „die Scharfmacher der Lockdown- und
Impfzwangpropaganda“ und beschuldigt Gesundheitsminister Karl Lauterbach
(SPD) der Volksverhetzung. Zusammen mit der jubelnden Menge, das belegt ein
Video des Auftritts, skandiert Schwab: „Widerstand, Widerstand,
Widerstand!“
Dass ein Vertreter einer Querdenken-Partei auf einer Querdenken-Demo
[2][Querdenken-Parolen] von sich gibt, ist nicht überraschend. Doch der
Redner wurde nicht als Politiker angekündigt, sondern als Juraprofessor.
Schwab ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Verfahrens- und
Unternehmensrecht an der Universität Bielefeld. Und das macht sein
Auftreten relevant, über Nordrhein-Westfalen hinaus.
## Nahbar und engagiert
Schwab steht im Zentrum einer Auseinandersetzung, bei der es darum geht, wo
die Grenzen der Freiheit von Forschung und Lehre liegen. Was eine
Universität auszuhalten hat und wo die Meinungsfreiheit eines
Hochschullehrers endet.
Martin Schwab, 54, war jahrelang ein ausgesprochen beliebter
Hochschullehrer. An der FU Berlin schon und nun seit sechs Jahren in
Bielefeld, nahbar und äußerst engagiert. Er war im Irish Pub oder Rock Café
bei den Kennlerntreffen von Studierenden dabei, sang Karaoke mit ihnen und
bereitete sie besonders intensiv aufs Examen vor.
Die taz hat im Zuge dieser Recherche mit vielen Angehörigen der Universität
gesprochen, mit Professor:innen und Studierenden. Die meisten wollen
sich nicht zitieren lassen. Auf Grundlage der Gespräche, Videos,
schriftlichen Veröffentlichungen und interner Kommunikation lässt sich
Schwabs Radikalisierung nachvollziehen – und die Herausforderungen, die
sich daraus ergeben.
Schwab hat sich in der Pandemie früh auf die Seite der radikalen
Coronamaßnahmen-Kritiker:innen gestellt. Zu Beginn argumentiere er noch
juristisch. Allerdings beschrieb der Zivilrechtler dabei auch Sachverhalte,
die außerhalb seines Bereiches liegen. Er veröffentlichte etwa
Musterschreiben zur „Impfung im Gesundheitswesen“, um die
einrichtungsbezogene Impfpflicht zu umgehen.
Oder eine mehr als 180 Seiten lange Verteidigungsschrift für Wolfgang
Wodarg, einer Ikone der [3][Querdenker-Bewegung.] Das Dokument ist auf
seiner Uni-Webseite verlinkt. Darin enthalten sind gängige
Falschbehauptungen, was die Gefährlichkeit von Corona und die
Pandemiebekämpfung angeht. Auch sonst trifft Schwab viele Äußerungen, für
die er fachlich eher keine Kompetenz hat. So behauptet er etwa in einem
Musterschreiben gegen die Maskenpflicht in Schulen, dass das Tragen einer
Maske genauso schlimm sei wie das Einleiten von CO2 ins Klassenzimmer.
## Schwab spricht von Diffamierung
Mit der Zeit wird Schwab immer politischer. Zusammen mit führenden
Corona-Leugner:innen gründet er Anfang 2021 das „Team Freiheit“, eine
Gruppe, die mit als Parteisitzung getarnten Zusammenkünften in Kneipen
Coronabeschränkungen umgehen wollte. Er tritt fast zwei Dutzend Mal im
selbsternannten „Corona Ausschuss“ auf, der von einem seiner
wissenschaftlichen Mitarbeiter geleitet wird. Zu Streams dieser
Coronaleugner-Vereinigung, an denen unter anderem die
Verschwörungsideologen Ken Jebsen und Sucharit Bhakdi mitwirken, schaltet
er sich aus seinem Unibüro zu. Schon bei der Bundestagswahl im vergangenen
Jahr kandidiert er für „Die Basis“. Die Kleinstpartei ist aus den Demos
gegen die Coronamaßnahmen entstanden und bekam 1,4 Prozent der Stimmen.
An der Uni gibt es erste Konsequenzen: Schwab wird aus der Band der
Juristischen Fakultät geworfen, der er als Keyboarder angehörte. Es geht um
die Infektionsgefahr, weil er nicht geimpft ist. Und die Band will nicht
mehr mit ihm in Verbindung gebracht werden.
Die meisten Studierenden hatten Anfang 2021 von Schwabs neuen Aktivitäten
erfahren. Nach der Veröffentlichung eines Antifa-Rechercheblogs kommt die
Sache auch in seiner Vorlesung zur Sprache. Er habe von Diffamierung
gesprochen, so erinnern sich Studierende. Und was manche als Drohung
empfanden: Er habe angekündigt, gegen solche Berichte vorzugehen. Mit der
taz will Schwab nicht sprechen. In einer Mail beklagt er „Rufmord“ und
schreibt, dass die Zeit noch nicht reif sei für rechtliche Schritte: „Im
Moment lässt die deutsche Justiz jenen, die Nazi-Framing betreiben, viel zu
viel durchgehen. Aber das wird sich eines Tages ändern.“
Währenddessen berichtete die Lokalpresse, dass er Kontakt zu einer
rechtsextremen Impfgegnerin pflege. Als die Runde macht, dass Schwab bei
der Querdenken-Demo im März auftrat, wird die Kritik lauter. Muss die Lehre
wirklich einen solchen Querdenker-Prof aushalten?
## Asta fordert Distanzierung
Der Asta der Uni Bielefeld fordert die Universitätsleitung auf, sich von
Schwab zu distanzieren. „Mit seiner vor verschwörungsideologischen
Narrativen triefenden Rede hat Schwab endgültig Grenzen überschritten.“ Die
jüdische Hochschulgruppe schreibt in einer Rundmail an Verantwortliche der
Universität Bielefeld von Angst und Wut: „Die Beweislage, dass Schwab
bewusst in antisemitischen bzw. verschwörungsideologischen und
neonazistischen Kreisen unterwegs ist, diesbezügliche Aktivitäten aus
seiner Professur heraus […] betreibt, ist erdrückend.“ Die Gruppe bezieht
sich darauf, dass auf seinen Demos auch Reichsbürger*innen und
Mitglieder der Identitären Bewegung oder der AfD anwesend sind. Verbal
distanziert sich Schwab von Rechtsextremismus.
Die Universität reagiert mit einer knappen Stellungnahme. „Die Mitglieder
des Rektorats und die Fakultät für Rechtswissenschaft haben in Hinblick auf
die Einschätzung der Pandemie und der notwendigen Maßnahmen eine dezidiert
andere Meinung“, heißt es darin. Aber Schwab engagiere sich als
Privatperson politisch und die Meinungsfreiheit sei „eines der wichtigsten
Grundrechte in einer Demokratie“.
Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren an deutschen Unis ähnliche
Streitfälle, etwa um Professor:innen, die sich in der AfD engagieren. Fast
immer gingen sie zugunsten der Professoren aus. Anders als zuvor
argumentiert die Uni Bielefeld nun nicht mehr mit Wissenschaftsfreiheit. Es
sei ein großes Problem, sagt ein Professor der Jurafakultät, dass Schwab
als vom Staat bezahlter Rechtswissenschaftler mit Wissenschaftsfeinden auf
die Straße gehe. Ein Reputationsverlust für die Uni.
Geht es im Fall Schwab also wirklich um Meinungsäußerungen? Sind Schwabs
Äußerungen nicht auch schlicht falsche Tatsachenbehauptungen, vorgetragen
mit der Autorität eines Professors? Und was ist an seinem Wirken noch
privat?
Die Universitätsleitung prüft beamtenrechtliche Konsequenzen, schließlich
hat ein Professor einen Eid auf das Grundgesetz geschworen und unterliegt
dem Mäßigungsgebot. Die Uni hat einen externen Verwaltungsrechtler mit
einer Expertise beauftragt, bestätigt ein Unisprecher der taz.
## Sachte Maßnahmen der Uni
Wieso hat sich Schwab so radikalisiert? Manche sehen ihn auch als
Protagonisten einer tragischen Geschichte. Er lebe für seinen Beruf, die
Uni sei eine Ersatzfamilie für ihn gewesen und wegen Corona sei für ihn da
viel weggebrochen. Schwab widerspricht: Ihn treibe eine „tiefe innere
Überzeugung“ an, dass die Coronamaßnahmen schwerstes Unrecht
repräsentierten.
Schwab distanziert sich zwar von Gewalt. Aber er behauptet auch, dass ein
„Pogrom gegen Ungeimpfte“ vorbereitet werde. Und weiter sagt er im April in
einem Interview mit dem Demokratischen Widerstand, dem publizistischen
Zentralorgan der Corona-Leugner:innen: „Wenn die Hetze in der Politik und
den Altmedien nicht aufhört, schlittern wir in einen Bürgerkrieg.“
So heftig Schwabs Wortwahl ist, so sachte sind bislang die Maßnahmen der
Uni gegen ihn. Es gab den Wunsch an ihn, bestimmte Inhalte von der Seite
seines Lehrstuhls zu nehmen. Eine Verlinkung entfernte er. Die Dekanin hat
Schwab auch gebeten, für seine politische Arbeit nicht mehr aus seinem Büro
zu streamen, denn das sei eine private Nutzung dienstlicher Ressourcen.
Daran hält er sich. In einer Stellungnahme schreibt er: „Wenn ich von
meinem Büro aus der Tagesschau ein regierungsfreundliches Interview geben
würde, würde sich niemand daran stoßen.“ Schwab beschwert sich auch, dass
sich Kritiker:innen nicht bei ihm direkt meldeten. „Den Mut, den
direkten Austausch mir zu suchen, haben offenbar nur die wenigsten“,
schreibt er. Auf die Gesprächsanfrage der taz schickt er als Erstes den
Brief einer Organisation, der nach eigenen Angaben unter anderem
Holocaust-Überlebende angehören und die sich mit ihm solidarisiert. Die
Organisation relativiert den Holocaust, indem sie Corona-Impfungen damit
gleichsetzt.
## Schwab ist „kooperativ“
Juradekanin Angelika Siehr wählt im taz-Gespräch ihre Worte sorgfältig.
Professor Schwab sei prinzipiell kooperativ. „Er will der Fakultät
erkennbar nicht schaden.“ Die Meinungsfreiheit schließe grundsätzlich ein
Recht auf Irrtum ein, es werde aber schwierig, „wenn Meinungsäußerungen auf
eklatant falschen Tatsachenbehauptungen beruhen“. Siehr betont: „Schwab
müsste viel deutlicher machen, dass er seine Äußerungen als Privatmann
tätigt und nicht als Juraprofessor.“
Bei der Examensfeier der Juristischen Fakultät vor zwei Woche trat nach
langer pandemiebedingter Pause auch die Juraband wieder auf. Professor
Schwab verfolgte den Auftritt als Zuschauer. Der Student, der als einer der
besten Absolvent:innen eine Rede hielt, erwähnte ihn dann namentlich.
Er dankte ihm für die Unterstützung in den vergangenen Jahren.
10 May 2022
## LINKS
[1] /Die-Basis-nach-der-Wahl/!5804884
[2] /Aus-dem-Dienst-geklagt/!5847390
[3] /Welt-Reporter-und-Querdenken/!5841293
## AUTOREN
Sophie Fichtner
Sebastian Erb
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"Querdenken"-Bewegung
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