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# taz.de -- Aus dem Dienst geklagt: Polizei schmeißt Querdenker raus
> Kriminalhauptkommissar Michael Fritsch ist bundesweit als Coronaleugner,
> Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker in Erscheinung getreten.
Bild: Michael Fritsch leugnet seine Positionen gar nicht, er interpretiert sie …
Hannover taz | Als „Schutzmann mit Herz und Hirn“ hat Michael Fritsch sich
gern selbst bezeichnet. Doch damit soll nun Schluss sein: Die
Polizeidirektion Hannover hat den 58-jährigen Kriminalhauptkommissar aus
dem Dienst geklagt.
Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist die höchste Disziplinarstrafe
und mit entsprechend hohen rechtlichen Hürden versehen. Doch am Donnerstag
urteilte das Verwaltungsgericht Hannover, dass Fritschs Vergehen
tatsächlich so schwerwiegend sind, dass er als Beamter nicht mehr tragbar
ist – trotz einer bis dahin makelloser Personalakte.
Die Disziplinaranklageschrift umfasste mehr als 100 Seiten. Akribisch hatte
die Behörde Fritschs öffentliche Reden und Äußerungen in sozialen
Netzwerken dokumentiert und ausgewertet, Zeugen aus seinem privaten Umfeld
vernommen und zwei Hausdurchsuchungen in seinem Haus in Alfeld vorgenommen.
„Jeden Stein umgedreht“, klagt Fritschs Prozessbevollmächtigter
Rechtsanwalt Ivan Künnemann, der der Szene der Coronaleugner und Querdenker
selbst nahesteht.
Herausgearbeitet haben sie dabei im Wesentlichen vier Komplexe: Die
Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene, die Verbreitung von
Verschwörungstheorien, die Verunglimpfung staatlicher Organe und der
bewusste Verstoß gegen dienstliche Anweisungen.
## Rasante Radikalisierungskarriere
Zu jedem dieser Komplexe gibt der Vorsitzende Richter Martin Goos
Gelegenheit zur Stellungnahme – ohne allzu sehr ins Detail zu gehen. Und
Fritsch und sein Anwalt versuchen sich an der Strategie, die er auch auf
den Demo-Bühnen immer wieder angewandt hat: immer ein bisschen
Interpretationsspielraum lassen, immer hart an der Grenze lavieren.
Nur haben sich bei Fritsch die Grenzen offenbar schon sehr weit verschoben
– möglicherweise weiter, als es ihm selbst klar ist. Im August 2020 fiel er
zum ersten Mal mit einer Rede auf einer Querdenker-Demo auf, ziemlich
umgehend fing er sich damit auch eine Suspendierung und ein
Diziplinarverfahren ein.
Doch das habe ihn nicht zum Umdenken gebracht, wirft ihm die Vertreterin
der Polizeidirektion vor. Im Gegenteil, man habe praktisch dabei zusehen
können, [1][wie sich Fritsch immer weiter radikalisiert habe.]
Fortan trat er bei Querdenken-Demonstrationen im ganzen Land auf,
kandidierte auch auf Platz 1 der niedersächsischen Landesliste der Partei
„Die Basis“. Von der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hätte er die
Öffentlichkeit allerdings am liebsten ausschließen lassen – doch diesen
Antrag lehnte die Kammer nach kurzer Beratung ab.
## Klassische Reichsbürger-Aktionen und abstruse Theorien
Am Ende dieses Radikalisierungsprozesses standen unter anderem klassische
Reichsbürgeraktionen: Fritsch beantragte einen Staatsangehörigkeitsausweis,
gab seinen Personalausweis zurück, gab in einem Antrag seinen Geburtsstaat
als „Preußen“ an.
Als der Richter ihn fragt, wozu das alles, mimt Fritsch das Unschuldslamm.
Er habe mit seiner Lebensgefährtin nach Curaçao auswandern wollen und dort
benötige man das manchmal für den Immobilienerwerb oder auch eine
Rückreise.
Den Personalausweis habe er schlicht nicht mehr gebraucht, er habe ja noch
einen Reisepass gehabt. Und in dem Antrag habe er seine Abstammung
nachweisen wollen, um die gehe es doch immerhin beim
Staatsangehörigkeitsrecht nach dem „ius sanguinis“, wo sich der Anspruch
aus der familiären Herkunft ableitet.
Auch an Verschwörungstheorien war dem „Schutzmann“ bald nichts mehr zu
abstrus: Er schwadronierte von geheimen Militäreinsätzen, unterirdischen
Bunkern unter dem Berliner Flughafen und Stuttgart 21, in denen die
Flüchtlinge und Migranten für den Great Reset warteten, entführten Kindern,
aus deren Blut Adrenochrom gewonnen werde, und so weiter.
Seine Verteidigung: Er habe das nur mal diskutieren wollen, er sei ja ein
sehr offener Mensch und interessiere sich eben für diese Zusammenhänge.
## Als Beamter untragbar
Für das Gericht war die Grenze zur zulässigen Meinungsäußerung allerdings
schon da überschritten, wo Fritsch immer wieder dem Staat seine
Legitimation absprach. „Sie haben ein Recht zur Kritik, auch zu harter und
wütender Kritik, aber Sie haben als Polizeibeamter auch eine
Loyalitätspflicht gegenüber diesem Staat und seiner
freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, hielt ihm der Richter vor.
Die habe er verletzt, als er vom Regime sprach, NS-Vergleiche zog, Kollegen
zum Umsturz aufrief oder behauptete, es gäbe hier gar keine Verfassung,
keine Demokratie, keine Gewaltenteilung mehr. Deshalb, so urteilte das
Gericht, sei er als Beamter auch nicht mehr haltbar.
Fritsch verliert damit nicht nur seinen Job, sondern auch seine
Pensionsansprüche. Ein wenig unklar bleibt, ob die der einzige Grund waren,
warum Fritsch denn unbedingt weiter im Dienst dieses schrecklichen Staates
bleiben wollte. Vielleicht glaubt er ja aber auch, was er sagt: Dass er
sich nichts hat zuschulden kommen lassen und alle anderen den Boden von
Recht und Gesetz verlassen haben. Nach dem Urteil war er zu keinem
Kommentar bereit.
Redaktionelle Klarstellung: Wir behaupten nicht, dass der Rechtsanwalt
Künnemann der Reichsbürgerszene nahe steht. Die Redaktion
29 Apr 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Polizei Niedersachsen
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
"Querdenken"-Bewegung
Verschwörungsmythen und Corona
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Reichsbürger
Kolumne Der rechte Rand
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