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# taz.de -- Wahlrecht ab 16 Jahren kommt in Berlin: Es gibt noch mehr zu tun
> Das Wahlrecht ab 16 war überfällig. Jetzt muss Rot-Grün-Rot dafür sorgen,
> dass auch Menschen ohne deutschen Pass wählen dürfen.
Bild: Demokratie üben: in der Wahlkabine bei der U18-Wahl
Wie schön, dass die rot-grün-rote Koalition sich endlich dazu durchgerungen
hat, der Jugend eine Stimme zu geben – oder besser gesagt: zwei Stimmen.
Denn künftig dürfen bei Abgeordnetenhauswahlen auch [1][Jugendliche ab 16
Jahren ihre zwei Kreuzchen für Erst- und Zweitstimme auf dem Wahlzettel
vergebe]n. Bisher durften 16-Jährige in Berlin nur über die Besetzung der
Bezirksverordnetenversammlungen mitentscheiden. In fünf anderen
Bundesländern, auch im benachbarten Brandenburg, traute man der Jugend
schon länger mehr politische Mündigkeit auch bei Landtagswahlen zu.
Nun wollte man in Berlin diesen Schritt eigentlich auch schon längst
gegangen sein, doch die rot-rot-grüne Vorgängerkoalition scheiterte stets
am [2][Widerstand der CDU im Parlament]. Für eine Änderung des Wahlrechts
muss nämlich die Landesverfassung geändert werden, und das geht nur mit
einer Zweidrittelmehrheit – dafür brauchte es Stimmen aus der Opposition.
In dieser Legislatur reichen Rot-Grün-Rot dafür ein paar Stimmen von der
kleinen FDP – und die spielt auch prompt das Zünglein an der Waage und
macht mit. Bis Ende 2022 soll die Wahlrechtsänderung beschlossene Sache
sein, hieß es am Donnerstag.
Es dürfte eine der nachhaltigsten Investitionen auf einem Gebiet sein, um
das man ohnehin heftig bemüht ist: Workshops zu Antirassismus an Schulen,
Klassenparlamente an jeder Schule, das Projekt Schüler*innenhaushalt, bei
dem Jugendliche ein Budget für die (Mit-)Gestaltung ihrer Schule verwalten
dürfen, [3][die U18-Wahlen]. Das sind alles sinnvolle Trockenübungen, bevor
man dann mit 18 fit genug sein soll für den Ernstfall an der Wahlurne.
Aber es sind eben Trockenübungen. Die Jugendlichen lernen recht lange die
Theorie, wie wichtig Partizipation und Teilhabe für eine demokratische
Gesellschaft sind – und werden doch ziemlich lange von genau dieser
Partizipation ausgeschlossen.
Nun kann man sagen, gemach, wenn ein 16-Jähriger im Klassenparlament übers
Handy in der Großen Hofpause mitentschieden kann, reicht das doch
vielleicht erstmal. Und ist die Altersgrenze 16 nicht auch eine
willkürliche – so wie übrigens auch die Volljährigkeit mit 18? Warum nicht
gleich das Wahlrecht ab 14 Jahren, wie es die Berliner Jusos, die
Jugendorganisation der SPD, prompt fordert.
Man kann so formalistisch argumentieren: Weil etwas nicht ganz logisch ist,
lässt man es lieber ganz. Man kann aber auch einfach sehen, dass mit der
Wahlalterabsenkung auf 16 Jahre rund 70.000 junge Menschen mitentscheiden
dürfen bei der nächsten Berlin-Wahl 2026. Und Demokratie sollte nie davor
Angst haben, dass mehr Menschen sie mitgestalten wollen.
Dass diese Jugend politisch mündig ist, das beweist sie übrigens gerade:
die Klimabewegung, die Proteste gegen den Krieg in der Ukraine, der
ebenfalls teils aus der Umweltbewegung kommt. Die junge Generation sieht
die Zukunft mitunter schärfer als manche erwachsenen Politiker*innen.
Jugendlichen Elan wünscht man Rot-Grün-Rot nun übrigens auch bei etwas, das
im Koalitionsvertrag so festgehalten ist: Rot-Grün-Rot will sich per
Bundesratsinitiative dafür einsetzen, „ein aktives Wahlrecht auf Landes-
und Bezirksebene auch für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die
seit mindestens fünf Jahren in der Stadt leben, zu ermöglichen.“ Auch
„landesrechtliche Möglichkeiten“ sollen geprüft werden.
## Ein Wahlrecht für alle
Laut dem Bündnis „Wahlrecht für alle“, das am Samstagnachmittag auch zu
einer [4][Demo am Kottbusser Tor für eine Wahlrechtsreform] aufruft, sind
derzeit 700.000 Berliner*innen über 18 nicht wahlberechtigt, weil sie
keine deutsche Staatsangehörigkeit haben. Das sind 10-mal so viele wie die
Jugendlichen, die jetzt wählen dürfen. Das ist eine relevante Gruppe in
dieser Stadt, um die sich deutlich weniger bemüht wird. Und es ist ein
Zeichen von Respekt vor demokratischen Willensbildungen, diese Menschen
nicht länger davon auszuschließen.
Und während man auf den Bund wartet, könnte man in Berlin die Zeit nutzen,
das ebenfalls im Koalitionsvertrag versprochene Partizipationsgesetz
vorantreiben. Konkret geht es um Einbürgerungen – derzeit noch eine zähe
und bürokratische Angelegenheit. Zentralisieren und „beschleunigen“ will
man die Verfahren. Ob das [5][ohnehin schon überlastete
Landeseinwanderungsamt] das stemmen kann, ist allerdings fraglich. Frische
Ideen sind gefragt – vielleicht gibt es davon ja bald mehr in Berlin, wenn
Jugend mitstimmt.
23 Apr 2022
## LINKS
[1] /Koalition-und-FDP-einigen-sich/!5849898
[2] /Junge-Leute-unter-18-duerfen-nicht-waehlen/!5802134
[3] https://wahlen.u18.org/wahlergebnisse/abgeordnetenhauswahl-berlin-2021
[4] https://www.change.org/p/bundesregierung-nicht-ohne-uns-14-prozent-bundesta…
[5] /Zentrale-Einbuergerungsbehoerde-fuer-Berlin/!5848847
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Einbürgerung
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