# taz.de -- Volksinitiative „Demokratie für alle“: Abstimmen, um abstimmen… | |
> Eine Initiative fordert das Wahlrecht ab 16 und für AusländerInnen. Das | |
> will zum Teil auch Rot-Grün-Rot – eigentlich. Ein Wochenkommentar. | |
Bild: Manchmal braucht es nur den richtigen Anfangsbuchstaben, um abzustimmen | |
Aus aktuellem Anlass ein Funfact aus Übersee: Der [1][neue chilenische | |
Präsident Gabriel Boric], am Freitag frisch eingeführt, wurde auch von | |
vielen Menschen ins Amt gehoben, die zwar seit mindestens fünf Jahren in | |
dem südamerikanischen Land leben, aber nicht die Staatsbürgerschaft | |
besitzen. Hinter den Anden herrscht das weltweit älteste Wahlrecht für | |
AusländerInnen auch auf nationaler Ebene, und es ist auch heute noch eine | |
absolute Ausnahme, dass Staaten dieses Privileg gewähren. In Deutschland | |
sind wir weit davon entfernt. | |
Hier gilt wie in den meisten EU-Mitgliedsstaaten eine sehr dünne | |
Light-Version des AusländerInnen-Wahlrechts: Nur wer aus einem anderen Land | |
der Europäischen Union stammt, darf sein Kreuzchen machen – und das auch | |
nur (außer bei den Europawahlen) auf kommunaler Ebene, in Berlin sind das | |
die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversamlungen (BVV). Und noch eine Lücke | |
tut sich auf, die mit Wahlrecht allerdings nur im weiteren Sinne zu tun | |
hat: Für eine [2][Volksinitiative – im Grunde eine Art XL-Petition –] | |
dürfen alle unterschreiben, die mindestens 16 Jahre alt und in Berlin | |
gemeldet sind. | |
Unter anderem deshalb hat die [3][Initiative „Demokratie für alle“], die am | |
Donnerstag [4][mit dem Unterschriftensammeln begonnen hat], diese | |
Partizipationsform gewählt, um genau das zu ändern. Ein Volksbegehren hätte | |
tatsächlich mehr Gewicht – mit ihm bzw. dem anschließenden Volksentscheid | |
können Gesetze verabschiedet werden. Aber allein als Symbol wäre es | |
problematisch, wenn wieder nur die abstimmen, die das ohnehin schon dürfen. | |
Rein praktisch ist es andererseits ohnehin nicht möglich, ein | |
AusländerInnenwahlrecht per Berliner Volksgesetzgebung durchzusetzen: Das | |
kann nur der Bund, weshalb „Demokratie für alle“ und ihre UnterstützerInn… | |
den Senat lediglich dazu auffordern, eine entsprechende | |
Bundesratsinitiative zu starten. | |
Bei einer weiteren Forderung, nämlich der nach einem Wahlalter von 16 | |
Jahren fürs Abgeordnetenhaus und Volksentscheide, ist das anders: Hierzu | |
muss „nur“ die Landesverfassung geändert werden. Das ist durchaus | |
wahrscheinlich: Sowohl Rot-Grün-Rot als auch die FDP sind explizit für | |
diese Reform, womit die nötige Zweidrittelmehrheit gegeben wäre. Hier fragt | |
sich eher, warum die Koalition ihre versprochene Initiative nicht längst | |
gestartet hat. Die Konzepte liegen ja längst in den Schubladen der | |
Parteien. | |
## Pragmatische Kompromisse | |
„Demokratie für alle“ macht auch Kompromisse, das ist selbstverständlich | |
und pragmatisch. Ihre Forderung lautet etwa, dass das Wahlrecht allen | |
zustehen soll, die seit 3 Jahren in Deutschland leben. Das ist auch eine | |
willkürliche Setzung, aber sie ist nachvollziehbar. | |
Zwar verfängt das Argument bei vielen zu Recht nicht mehr, es solle nicht | |
über die Politik mitbestimmen dürfen, [5][wer hier arbeitet, Steuern zahlt | |
oder einfach nur Teil der Gesellschaft ist], sondern nur, wer sich | |
endgültig für ein Leben in Deutschland entschieden hat. Aber eine gewisse | |
Vertrautheit mit den Problemen, um die es im Zusammenleben geht, darf man | |
schon voraussetzen – und da ist eine solche flache Schwelle legitim. | |
12 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Regierungswechsel-in-Chile/!5836812 | |
[2] https://www.berlin.de/sen/inneres/buerger-und-staat/wahlen-und-abstimmungen… | |
[3] https://innn.it/demokratiefueralle | |
[4] /Volksinitiative-Demokratie-fuer-Alle/!5836578 | |
[5] /Hunderttausende-duerfen-nicht-waehlen/!5797714 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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abstimmen. |