# taz.de -- Phänomen SSW in Schleswig-Holstein: Rückenwind aus Berlin | |
> Seit Herbst sitzt Stefan Seidler für den Süd-Schleswigschen Wählerverband | |
> im Bundestag. Wird die Partei in Kiel bald wieder mitregieren? | |
Bild: Stimme für Minderheiten: SSW-Bundestagsabgeordneter Stefan Seidler | |
Eckernförde taz | Mit einem Stapel Flyer in der Hand steht Lars Wiese in | |
der Fußgängerzone von Eckernförde unter einem blauen Zeltdach mit dem Logo | |
des Süd-Schleswigschen Wählerverbandes (SSW). Die Sonne scheint, | |
Passant*innen drängen sich, und Wiese ist zufrieden: „Neulich haben wir | |
bei Schneegestöber Wahlkampf gemacht.“ Doch egal wie das Wetter sei, „es | |
gibt mehr Gespräche als im vergangenen Jahr, die Menschen sind | |
interessiert“, generell an Politik, besonders an den Positionen des SSW. | |
Der Wählerverband vertritt die friesische und die dänische Minderheit und | |
genießt aufgrund eines Abkommens mit Dänemark die Befreiung von der | |
Fünf-Prozent-Klausel. Damit zieht die Partei so gut wie sicher in den | |
Kieler Landtag ein, es fragt sich nur, in welcher Stärke. | |
Denn auch wenn jedes Kreuz zählt, für einen Sitz braucht der SSW ebenso | |
viele Stimmen wie jede andere Partei. 2017 reichten 3,3 Prozent für drei | |
Abgeordnete, Umfragen sehen die Partei nun bei vier Prozent und ebenso | |
vielen Mandaten. Ein Grund für die Steigerung, davon sind die | |
Wahlkämpfenden in Eckernförde überzeug, ist Stefan Seidler, der seit | |
vergangenem Herbst [1][als Einzelabgeordneter den SSW im Bundestag] | |
vertritt. | |
Der 43-jährige Flensburger, der keiner Fraktion angehört und seine | |
Bundestagsreden mit „Moin“ beginnt, erschien wie ein Exot, zahlreiche | |
Medien berichteten über ihn. Inzwischen ist es ruhiger um ihn geworden, | |
aber Wiese sagt dennoch: „Er ist unsere Stimme, er trägt unsere Positionen | |
nach Berlin.“ | |
## Gewachsenes Interesse | |
Auch seine Parteifreundin, die Landtagsabgeordnete Jette | |
Waldinger-Thiering, die an diesem Samstag ebenfalls am Wahlkampfstand | |
steht, hält den Seidler-Faktor für entscheidend: „Wir spüren, dass das | |
Interesse am SSW gewachsen ist.“ Es komme vor, dass Menschen nicht nur den | |
Flyer, sondern das komplette Wahlprogramm mitnehmen. | |
„Stefan Seidler schafft es, das Minderheitenthema und die Anliegen des | |
Nordens auf die Berliner Tagesordnung zu bringen“, sagt Waldinger-Thiering, | |
die im Landtag dem Bildungs-, Europa- und Petitionsausschuss angehört – die | |
Abgeordneten des SSW müssen mehrere Themen besetzen, um zu allen Fragen | |
sprechfähig zu sein. | |
Die Partei vertritt eine Linie, die das Wahlprogramm als [2][„unabhängig, | |
sozial und skandinavisch“] beschreibt. Ganz oben stehen Minderheitenrechte, | |
nicht nur für die eigenen Gruppen. So hat sich Seidler in Berlin auch zum | |
Sprecher der Interessen von Sorben, Sinti und Roma erklärt. | |
In vielen Bereichen schaut der SSW nach Skandinavien und will die | |
Zusammenarbeit mit Dänemark verstärken. In der kommenden Wahlperiode will | |
die Partei die Schuldenbremse lockern und hätte am liebsten einen | |
Tilgungsfonds, um Schleswig-Holstein von Altschulden zu befreien. Auch hohe | |
Einkommen sollen höher besteuert werden. | |
Das so gewonnene Geld will der SSW in einen höheren Mindestlohn, kommunale | |
Einrichtungen und Strukturhilfen investieren, auch für Klimaschutz: Das | |
Land soll bis 2035 CO2-neutral werden. „Wir lehnen das geplante | |
Flüssiggasterminal in Brunsbüttel ab“, sagt Jette Waldinger-Thiering. Damit | |
ist der SSW einig mit der Grünen Basis, nicht aber deren Spitzen in Berlin | |
und Kiel. | |
Von 2012 bis 2017 gehörte der SSW zusammen mit den Grünen einer | |
SPD-geführten Regierung an. Bereits 2005 hatten die drei Parteien versucht, | |
ein solches Bündnis zu schmieden, damals scheiterte die Wahl der | |
Ministerpräsidentin Heide Simonis an einem bis heute Unbekannten, der oder | |
die Simonis die Stimme verweigerte. Ein Bekenntnis zu einer Koalition lässt | |
Waldinger-Thiering sich am Wahlkampfstand in Eckernförde nicht entlocken: | |
„Aber wenn wir benötigt werden, um eine stabile Regierung zu bilden, wird | |
der SSW sich nicht verweigern.“ | |
6 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Einziger-SSW-MdB-ueber-seinen-Job/!5818067 | |
[2] /Im-Wahlkreis-von-Robert-Habeck/!5797660 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
## TAGS | |
Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2022 | |
SSW | |
Schleswig-Holstein | |
Bundestag | |
Kleinstparteien | |
SPD | |
Minderheiten | |
SSW | |
SSW | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wahlkampf als Kleinstpartei: „Ich bin hier der Kleinste“ | |
Wahlkampf im Winter? Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte | |
Kleidung, findet Stefan Seidler, einziger Abgeordneter seiner Partei im | |
Bundestag. | |
Tod von Heide Simonis: Als der Heide-Mörder zuschlug | |
2005 stellte sich Ministerpräsidentin Heide Simonis im Kieler Landtag | |
viermal zur Wahl – einer verweigerte ihr jedes mal die Zustimmung. | |
Dänische Minderheit bei der Europeada: Der Identitäts-Kick | |
Tore Wächter ist Trainer der Auswahl der dänischen Minderheit in | |
Deutschland. Bei der Europeada trifft das Team auf andere sprachliche | |
Minderheiten. | |
Einziger SSW-MdB über seinen Job: „Ich fühle mich nicht einsam“ | |
Mit Habeck schnackt er Dänisch auf dem Bundestagsflur, Olaf Scholz schenkte | |
er Äpfel statt Blumen: Stefan Seidler vom SSW ist im Bundestag angekommen. | |
Der SSW zieht in den Bundestag ein: Frischer Wind aus Slesvig-Flensborg | |
Der SSW sitzt zum ersten Mal seit 1949 im Bundestag. Er sieht sich als | |
Vertretung aller Minderheiten – nicht nur der dänischen und der | |
friesischen. | |
Im Wahlkreis von Robert Habeck: Mehr als Minderheit | |
Der Südschleswigsche Wählerverband strebt nach 60 Jahren wieder einen Sitz | |
im Bundestag an. Warum das gar nicht mal so aussichtslos ist. |