# taz.de -- Der SSW zieht in den Bundestag ein: Frischer Wind aus Slesvig-Flens… | |
> Der SSW sitzt zum ersten Mal seit 1949 im Bundestag. Er sieht sich als | |
> Vertretung aller Minderheiten – nicht nur der dänischen und der | |
> friesischen. | |
Bild: Wird in Berlin weitermachen: Stefan Seidler im Mai 2021 beim SSW-Landespa… | |
Neumünster taz | Im Bundestagswahlkreis 1, dem nördlichsten der Republik, | |
rund um Flensburg, ist politisch nichts mehr, wie es war: Das Direktmandat | |
geht an die Grünen, die CDU stürzt ab, und die Minderheitenvertretung SSW | |
holt Stimmen für einen Sitz im Bundestag. | |
Mit einer langen Wahlnacht hatte Lars Harms, Fraktionschef des | |
Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) im Kieler Landtag, gerechnet: die | |
Sektkorken würden frühestens gegen 22 Uhr knallen, sagte er voraus. Dann | |
sei vermutlich klar, ob die „Mission Bundestag“ ein Erfolg gewesen sei. | |
Aber dann ging es viel schneller: Bereits in den frühen Hochrechnungen | |
tauchte ein blauer Strich als Sitz für den SSW auf. Eineinhalb Stunden nach | |
Schließung der Wahllokale trat der Spitzenkandidat Stefan Seidler vor die | |
Kameras und verkündete, sein Einzug sei zu 90 Prozent sicher: „Der Bär ist | |
noch nicht ganz erlegt, aber er liegt schon am Boden.“ | |
Der Bär blieb am Boden: Der SSW sammelte laut dem bisherigen Endergebnis | |
landesweit 55.330 Stimmen, das entspricht 3,2 Prozent. Das reicht der | |
politischen Vertretung der dänischen und friesischen Minderheit für ein | |
Mandat im Bundestag, schließlich ist sie – genau wie die Partei der | |
deutschen Minderheit in Dänemark – von der Fünf-Prozent-Klausel befreit. | |
Allein rund 16.400 Stimmen, mehr als neun Prozent, holte die Partei im | |
Wahlkreis 1. Dort, wo zahlreiche Angehörige der beiden Minderheiten leben | |
und neben Hoch- und Plattdeutsch auch Dänisch und Friesisch gesprochen | |
wird, ist das Kerngebiet des SSW. Stark war die Partei auch in | |
Nordfriesland mit 9.500 Stimmen (6,6 Prozent) und im südlich gelegenen | |
Kreis Rendsburg-Eckernförde, wo knapp 7.300 Einwohner*innen (4,5 | |
Prozent) ihre Zweitstimme dem SSW gaben. | |
Am Nord-Ostsee-Kanal, der durch den Kreis verläuft, endet der Bereich, in | |
dem die Minderheiten prägend sind. Entsprechend nimmt die Bedeutung des SSW | |
gen Süden ab. Im Hamburger Speckgürtel, um Segeberg und Stormarn, wählten | |
nur noch 1,6 Prozent die Partei. | |
Alles in allem aber reichte es für einen Sitz im Bundestag – zum ersten Mal | |
seit 1949, als die damals frisch gegründete Partei zum einzigen Mal ins | |
Parlament einziehen konnte. | |
1961 war der SSW zuletzt für den Bundestag angetreten. Doch im festgefügten | |
Drei-Parteien-System gab es für die Minderheit aus dem Norden keine Chance. | |
Heute aber, da eine Vielzahl von Parteien und Gruppierungen um Plätze | |
kämpft, braucht es weniger Stimmen für einen Sitz. Im vergangenen Jahr rief | |
der SSW daher die „Mission Bundestag“ aus. | |
Zwei Dinge will der frisch gewählte Kandidat Stefan Seidler erreichen: Zum | |
Ersten wolle er eine „Allianz für den Norden“ bilden, die sich für | |
Schleswig-Holstein einsetzt: „Mein Vorbild ist die Jyske Mafia, die bis | |
Ende der 1990er-Jahre im dänischen Folketing für massive Investitionen in | |
Infrastruktur, Bildung und Entwicklung in Jylland gesorgt hat“, so Seidler. | |
Ziel sei es, regionale Strukturen zu stärken und globale Probleme lokal | |
anzupacken. Zum zweiten will Seidler eine Stimme für alle Minderheiten | |
sein, also auch Sorb*innen sowie Sinti*ze und Rom*ni. | |
Politische Erfahrung bringt der 41-Jährige, der selbst Angehöriger der | |
Dänischen Minderheit ist, mit: Zurzeit ist der verheiratete Vater zweier | |
Töchter Dänemark-Koordinator der Landesregierung, zuvor war er politischer | |
Berater in Dänemark und hat EU-Programme begleitet. | |
## Robert Habeck gewinnt als Direktkandidat | |
Eine Frage während der vergangenen Monate lautete, ob der SSW den Grünen | |
Stimmen wegfischen könnte. Für die hatte der Wahlkreis 1 eine symbolische | |
Bedeutung: Hier lebt der Bundesvorsitzende Robert Habeck, der als | |
Direktkandidat antrat – und gewann. Auf ihn entfielen 28 Prozent der | |
Erststimmen, zehn Prozentpunkte mehr, als seine Partei erhielt. | |
Stärkste Kraft bei den Zweistimmen wurde die SPD, wie auch im Rest des | |
Landes (siehe Spalte). Die CDU, die jahrzehntelang den Wahlkreis an der | |
Grenze sicher gewann, verlor knapp 14 Prozent, noch zwei Punkte mehr als im | |
Landesschnitt. | |
Die vom SSW erhoffte „Allianz für den Norden“, die die Aufmerksamkeit der | |
Bundespolitik auf Schleswig-Holstein lenkt, könnte sich durch die | |
handelnden Personen einer möglichen zukünftigen Bundesregierung fast | |
zwangsläufig ergeben. Denn wenn in den kommenden Wochen über Koalitionen | |
gesprochen wird, sind mit Robert Habeck für die Grünen und Wolfgang Kubicki | |
für die FDP zwei beteiligt, die bereits miteinander verhandelt haben. Im | |
Jahr 2017 hieß das Ergebnis Jamaika auf Landesebene – und nach dem | |
Scheitern der Verhandlungen auf Bundesebene: große Koalition. | |
28 Sep 2021 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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