# taz.de -- Einziger SSW-MdB über seinen Job: „Ich fühle mich nicht einsam�… | |
> Mit Habeck schnackt er Dänisch auf dem Bundestagsflur, Olaf Scholz | |
> schenkte er Äpfel statt Blumen: Stefan Seidler vom SSW ist im Bundestag | |
> angekommen. | |
Bild: „Alle wissen, wo ich herkomme“: SSW-Bundestagsabgeordneter Stefan Sei… | |
taz am wochenende: Herr Seidler, Ihr Wahlslogan für die Bundestagswahl | |
lautete: „Jetzt kommt der Norden!“ Ist der Norden, ist Stefan Seidler schon | |
in Berlin angekommen? | |
Stefan Seidler: Ja, das gilt sowohl für praktische Dinge wie die | |
Bundestagsverwaltung, aber auch für die anderen Parteien, sie sind offen | |
und positiv auf mich zugegangen. Das freut mich sehr. Alle wissen, wo ich | |
herkomme. Spätestens dann, wenn ich sage: Ich bin der vom SSW, der eine aus | |
dem Norden. | |
In Norddeutschland begrüßt man sich mit „Moin“ und auf Dänisch mit „he… | |
Haben diese Formeln auch schon im Bundestag Einzug gehalten? | |
Ich arbeite daran. Gerade wurde ich von zwei Abgeordneten zu einer | |
Plattdeutschgruppe eingeladen. Da habe ich mich allerdings schon etwas | |
gewundert. Die haben ihre Mail eingeleitet mit: Liebe Kolleginnen und | |
Kollegen. Da muss man doch „Moin“ schreiben, gerade bei einer Einladung zu | |
einer Plattdeutschgruppe. Mit [1][Robert Habeck] schnacke ich hin und | |
wieder Dänisch, zum Beispiel auf dem Flur. Dann gucken alle immer etwas | |
verdutzt. | |
Sie sind [2][der einzige Abgeordnete des SSW.] Wo wurden Sie platziert? | |
Ich sitze zwischen SPD und Grünen, ein einzelner Stuhl in der letzten | |
Reihe. Alle neuen Abgeordneten kommen ganz nach hinten. Das Schöne ist: Ich | |
habe von dort einen direkten Blick auf das Rednerpult und das Präsidium. | |
Und das ist auch die Ecke, wo sich immer alle zum Tuscheln verstecken. Das | |
heißt, die kommen alle bei mir vorbei, dann kann ich sie mir schnappen und | |
sagen: Ich habe da noch etwas. | |
In einigen Medienberichten war zu lesen, der Seidler sei doch ein | |
Einzelkämpfer und wohl sehr einsam im Bundestag. Ist das so? | |
Ich bin Norddeutscher und gewohnt, nicht so viele Leute um mich herum zu | |
haben. Ich fühle mich überhaupt nicht einsam. Ich glaube, dass die | |
Minister*innen oder auch der Kanzler, die, die ganz oben on top sind, | |
sich teilweise einsamer fühlen, als ich es real bin. | |
Die Bild hat Sie in einem Beitrag als [3][„Dänen-König“] bezeichnet. Gibt | |
es noch mehr so abwegige, stereotype Bezeichnungen? | |
Na ja, einige Gruppen im Netz machen schon ihre Späßchen, aber da muss ich | |
eher schmunzeln. Bundeskanzler Olaf Scholz habe ich zu seiner | |
Amtseinführung als Präsent [4][einen Korb mit Äpfeln überreicht]. Und im | |
Netz? Da haben die mir in einem Meme ein Fischbrötchen mit in den Korb | |
gelegt. | |
Warum denn ausgerechnet Äpfel für den frisch gebackenen Kanzler? | |
Blumen verwelken ja nach zwei Tagen, ich aber wollte ihm etwas Nachhaltiges | |
schenken, noch dazu aus meiner deutsch-dänischen Grenzregion. Ich habe ihn | |
auch zur Apfelfahrt eingeladen, ein traditionelles Segelschiff-Event im | |
Oktober auf der Flensburger Förde. Ob er Zeit hat, werden wir sehen. | |
An diesem Mittwoch haben Sie Ihre erste Rede im Bundestag gehalten. Waren | |
Sie nervös? | |
Als es morgens mit der allgemeinen Aussprache losging, war ich aufgeregt, | |
doch das legte sich. Als ich mittags endlich ans Rednerpult ging, den Kopf | |
hob und sah, wer mir da gerade in die Augen schaut, wurde mir etwas | |
schummerig. Aber ich habe es durchgezogen. Ein bisschen genervt war ich, | |
weil ich nur drei Minuten Redezeit bekommen habe. Da hatte ich mit etwas | |
mehr gerechnet. | |
Hat das gereicht, um das Wesentliche unterzubringen? | |
Meine wichtigste Botschaft war: Minderheitenrechte ins Grundgesetz und den | |
Blick in den Norden richten, sowohl für skandinavische Lösungen als auch | |
dafür, dass wir dort nicht zu kurz kommen dürfen. Und ich habe auch noch | |
einmal betont, dass ich im Bundestag bin, um konstruktive, aber kritische | |
Oppositionsarbeit zu leisten. Wir als SSW sind keine Klamaukpartei, sondern | |
seriöse Partner, auch wenn ich mit dem Nordischen bisweilen etwas | |
kokettiere. Diese Botschaft ist rübergekommen. | |
Noch einmal zurück zu den Minderheiten. Gibt der Koalitionsvertrag zu | |
dieser Frage genug her? | |
Nein, mir reicht das nicht. Dort steht, dass nationale Minderheiten durch | |
Projekte gefördert werden sollen. Aber wir müssen weg von diesen | |
Kleckerbeträgen. Was wir brauchen, ist eine solide Grundfinanzierung. Auch | |
davon, dass Minderheiten im Grundgesetz verankert werden, findet sich | |
nichts. Das ärgert mich, weil der Artikel 3 (Gleichheitsgrundsatz, Anm. d. | |
Red.) ja sowieso geändert werden soll. | |
Gibt es trotzdem eine Chance, dem Thema Minderheiten auf der Bundesebene | |
mehr Geltung zu verschaffen? | |
Auf jeden Fall. Am Mittwoch habe ich eine kleine Runde mit Abgeordneten | |
organisiert, die sich auch mit diesem Thema befassen. Das gab es vorher | |
nicht. Wir wollen uns jetzt regelmäßig dazu austauschen. Außerdem merke | |
ich, dass es so eine Art Übereinkunft in den Fraktionen gibt: Den Seidler | |
behandeln wir ordentlich, denn da können wir signalisieren, dass wir nicht | |
diese Rechten wie die AfD wollen. Leute, die dieses merkwürdige | |
Demokratieverständnis und ein komplett abstruses Verständnis davon haben, | |
wie man mit Minderheiten umgeht. | |
Apropos AfD: Die Kandidaten für die Vorsitze der Ausschüsse Inneres, | |
Gesundheit und Entwicklungspolitik sind durchgefallen. Wie sehen Sie das? | |
Ich finde das gut. Meine nordische Vorstellung von Demokratie ist | |
eigentlich, auch mit denjenigen zu reden, die extreme Positionen vertreten, | |
um sie einzubinden, aber dadurch auch bloßzustellen. In den ersten Wochen | |
hier habe ich aber mitbekommen, dass die AfD nicht im Bundestag ist, um zu | |
arbeiten, sondern um uns immer nur Steine in den Weg zu legen. Wenn das das | |
einzige Ziel ist, kann ich diejenigen verstehen, die sagen: Ihr kriegt hier | |
in den Ausschüssen keinen Fuß auf den Boden. Ich will übrigens im | |
Innenausschuss mitarbeiten. Aber das muss die Bundestagspräsidentin mir als | |
fraktionslosem Abgeordneten genehmigen. Diese Entscheidung steht noch | |
aus. | |
Wer meldet sich bei Ihnen, seit Sie Ihre Tätigkeit im Bundestag aufgenommen | |
haben? | |
Die Friesen und die Dänen, aber mit denen bin ich sowieso täglich im | |
Austausch, sie sind meine Familie. Gerade war aber auch der Vorsitzende der | |
deutschen Minderheit in Polen hier zu Besuch. Eigentlich haben Minderheiten | |
überall in Europa zu mir Kontakt aufgenommen. Sie finden das sehr | |
interessant, dass der SSW in den Bundestag eingezogen ist und überlegen, ob | |
sie in ihren Ländern ähnliche Regelungen einführen, wie die Befreiung von | |
der Sperrklausel. Kurzum: Sie alle haben konkrete Anliegen, die ich dann | |
versuche, im Bundestag einzubringen. | |
Was wollen denn die Minderheiten in Deutschland? | |
Wir stecken ja gerade in Haushaltsverhandlungen, und da gibt es so einige | |
Wünsche, die an mich herangetragen werden. | |
Den Rüssel in die Kasse kriegen, wie es so schön auf Dänisch heißt … | |
Genau, ich bin jetzt gerade dabei, den Rüssel auszufahren. Aber ich allein | |
kann da nichts machen und bin daher auch mit Kolleg*innen des Bundestags | |
im Austausch. Bei Friesen, Dänen sowie Sinti und Roma geht es vor allem um | |
kulturelle Einrichtungen. Die kämpfen jetzt zu Coronazeiten ums Überleben. | |
Wenn diese Einrichtungen nicht existieren können, bricht ein kompletter | |
Zweig irreversibel weg. | |
Im kommenden Frühjahr finden in Schleswig-Holstein Landtagswahlen statt. | |
Könnte sich Ihre Präsenz im Bundestag positiv auf das Ergebnis des SSW | |
auswirken? | |
Zumindest letzte Umfragen zeigen, dass die Werte für den SSW steigen. Wir | |
müssen dafür sorgen, dass wir auf dieser Welle weiterreiten. Das können wir | |
nur, indem wir positive Politik nach außen vermitteln. Ich habe mit der | |
Landtagsgruppe besprochen, dass wir im Wahlkampf über Bande spielen. Will | |
heißen: Ich werde versuchen, Sachfragen in Berlin einzubringen, die der SSW | |
in Schleswig-Holstein für sich nutzen kann. So ist Politik, das ist ganz | |
legitim. Deshalb werde ich mich dort auch im Wahlkampf für meine Partei | |
engagieren. | |
Das heißt dann wohl noch mehr pendeln und noch weniger Zeit für die | |
Familie, die in Dänemark wohnt. | |
Das kriegen wir hin. Es klappt ja schon jetzt ganz gut, die wenigen | |
Momente, die wir haben, gemeinsam auszunutzen. In Dänemark läuft gerade bis | |
zum 24. Dezember im Fernsehen eine tägliche Weihnachtsserie. Wenn ich zu | |
Hause bin, sehen wir uns das gemeinsam an, obwohl meine Töchter schon 12 | |
und 14 Jahre alt sind. Wir nennen das auf Dänisch Hygge – gemütlich, | |
hyggelig eben. | |
18 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Im-Wahlkreis-von-Robert-Habeck/!5797660 | |
[2] /SSW-Politiker-Seidler-im-Bundestag/!5804505 | |
[3] https://www.bild.de/regional/hamburg/hamburg-aktuell/schleswig-holstein-dae… | |
[4] https://www.ssw.de/dk/emner/stefan-seidler-aepfel-statt-blumen-fuer-neuen-b… | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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