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# taz.de -- Autobahnbau in Berlin: FDP mit fiebrigen Retroträumen
> Verkehrsminister Wissing will die umstrittene A100 in Berlin weiterbauen.
> Selbst Berlins Regierende Bürgermeisterin Giffey reagiert irritiert.
Bild: Bei einer Fahrraddemo gegen den Weiterbau der A100
Berlin taz | Nicht wenige Menschen wähnen sich nach zwei Jahren Pandemie
und dem [1][Krieg Russlands gegen die Ukraine] in einer Zeitenwende:
Jahrzehntealte Gewissheiten stehen zur Disposition, von der Frage des
Friedens in Mitteleuropa bis hin [2][zur Versorgungssicherheit mit Brot,
Sonnenblumen- und Erdöl]. Dies könnte der Beginn eines nachhaltigeren
Verhaltens sein von Politik und Bevölkerung bis hin zu einem Tempolimit auf
Autobahnen. Wäre da nicht die FDP: Sie ist gefangen in einem Flashback in
die 1970er.
Mitten in die Kriegsberichterstattung platzte am Dienstag eine Ankündigung
von Daniela Kluckert, FDP-Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium,
die fast so fossil wirkt wie ein Angriffskrieg in Europa: Man werde in
Berlin auch das letzte Teilstück der Verlängerung der Stadtautobahn 100
bauen – bis tief in den dicht besiedelten Innenstadtteil Friedrichshain.
Die Ausschreibung der Planung dafür sei jetzt erfolgt, so Kluckert [3][in
einem Interview mit der Berliner Morgenpost].
Dabei war die letzte vor Jahrzehnten angedachte Verlängerung der A 100
politisch längst als überholt abgehakt. Derzeit wird am 16. Abschnitt der
Stadtautobahn gebaut, von Neukölln bis nach Treptow: Die gut drei
Kilometer, die 2024 fertig sein sollen, kosten mindestens 700 Millionen
Euro – teurer ist kaum ein Straßenkilometer. Der 17. Abschnitt, für den
FDP-Verkehrsminister Volker Wissing jetzt das Go gegeben hat, gilt mit
seinem Tunnel und dem Abriss zahlreicher Gebäude als noch aufwendiger: Die
2013 dafür errechneten 530 Millionen Euro gelten als überholt.
Kein Wunder, dass die Berliner Regierungsparteien Grüne und Linke diese
Planung [4][schon lange ablehnen]. Und selbst die SPD als dritter Partner
im Bunde traut sich längst nicht mehr, den 17. Bauabschnitt selbst zu
fordern: Im Wahlprogramm 2021 sprach sie sich für einen Bürgerentscheid
darüber aus. Im rot-grün-roten Koalitionsvertrag wurde dieser auf Eis
gelegt. Allerdings liegt der Bau von Autobahnen in der Verantwortung der
Bundesregierung.
Doch selbst Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), die
Autos nicht leidenschaftslos gegenübersteht, reagierte irritiert. „Wir
haben davon durch die Presse erfahren“, sagte sie – stets ein schlechtes
Zeichen. Die Bundesgrünen fühlten sich vom Vorpreschen der FDP brüskiert.
Ihr Berliner Bundestagsabgeordneter und Verkehrsexperte Stefan Gelbhaar
sprach von einem „Alleingang“ Wissings wider die Koalitionsräson: „Die A
100 ist weder nötig noch sinnvoll.“
Bleibt die Frage, warum der nicht mit Berlin und den Koalitionspartnern
abgesprochene Vorstoß aus dem FDP-Ministerium gerade jetzt kam. Wollte
Wissing sich auch mal als Macher darstellen; als einer, der die Grünen
genauso düpieren kann wie FDP-Justizminister Marco Buschmann seinen
SPD-Kollegen Karl Lauterbach in Sachen Corona-Auflagen? Oder war es ein
Testballon, ob Autobahnen zu Fantasiepreisen überhaupt noch politisch
durchsetzbar sind? Was Letzteres angeht, ist zumindest klar: Je länger der
Bundestag zögert, den 17. Bauabschnitt der A 100 mit rot-grün-gelber
Mehrheit aus dem Bundesfernstraßengesetz zu streichen, desto
wahrscheinlicher wird der Bau dieser absurden Autobahn.
2 Apr 2022
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[2] /Zukunft-der-Energiewende/!5841643
[3] http://www.morgenpost.de/berlin/article234938933/Wir-brauchen-die-Autobahn.…
[4] /Streit-um-Bau-der-Autobahn-100-in-Berlin/!5844664
## AUTOREN
Bert Schulz
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Autobahnbau
A100
Franziska Giffey
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Mobilitätswende
Bettina Jarasch
A100
Die Linke Berlin
Ziviler Ungehorsam
Volker Wissing
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