Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Weltbild eines Autokraten: Putins Spiel mit dem Westen
> Putin bespielt verschiedene Diskurse und nutzt ganz verschiedene mit
> ihnen verbundene Emotionen für sich. Das beherrscht er gut.
Bild: Putin am 18.3. bei seiner Rede auf dem Konzert zum achten Jahrestag des K…
Man konnte in letzter Zeit immer wieder ausführlich über Putins Weltbild
lesen. Namen wie [1][Iwan Iljin fielen oder Alexander Dugin]. Theoretiker,
die die Träume von „Eurasien“, vom Russischen Reich und vom Kampf gegen
einen dekadenten Westen untermauern. Damit wird ein konzises Weltbild des
russischen Präsidenten gezeichnet. Man möchte dem gar nicht widersprechen.
Nur hinzufügen: Da gibt es noch etwas.
Wenn Wladimir Putin in einem Stadion den achten Jahrestag der Annexion der
Krim feiern lässt. Wenn dabei eine Popband singt: Lenin und Stalin – das
ist unser Land. Wenn dabei auf der Bühne steht: „Für eine Welt ohne
Nazismus“ – stellt sich Putin dann in Kontinuität mit der eigenen
Geschichte?
Oder sollte man nicht eher sagen: Er bespielt diesen Diskurs, er weckt
diese Erinnerungen, er nutzt die Emotionen, die damit einhergehen.
Sowjetunion 2.0. Gemeinschaft ohne Kommunismus. Wie bei seiner letzten
Rede, wo er die „Selbstreinigung der Gesellschaft“ beschwor und meinte, die
Russen würden Verräter „ausspucken wie eine Fliege, die einem in den Mund
geflogen sei“.
Genauso hat er auch die ukrainische Politik als „neandertalerhaften und
aggressiven Nationalismus und Neonazismus“ bezeichnet. Und vor dem
Einmarsch erklärt: „Unsere Vorfahren haben nicht gegen die Nazis gekämpft,
damit heutige Neonazis die Macht in der Ukraine übernehmen können.“ Hier
eignete er sich die Weihen einer antifaschistischen Tradition an. Ein
richtiger Antifa-Diskurs.
## Oligarchenclans und Korruption
In seiner langen [2][Rede vor der Invasion] kritisierte Putin die Ukraine
folgendermaßen: Wahlen und politische Verfahren in der Ukraine dienten nur
als Deckmantel für die Umverteilung zwischen Oligarchenclans. Die Behörden
dienten nur den Oligarchen, die den Ukrainern Milliarden Dollar gestohlen
haben, die nun in westlichen Banken liegen.
Die Korruption habe das übliche Maß überschritten. Es gebe keine
unabhängige Justiz in der Ukraine. Der Staat sei privatisiert worden.
Unerwünschte Beamten würden entfernt. Es gebe immer mehr Gesetze gegen die
Meinungsfreiheit. Die Opposition werde verfolgt. Die Ukraine würde
Unternehmen, Fernsehsender und Medien sanktionieren.
Der Mund bleibt einem offen bei diesen Zitaten – denn sie klingen wie die
Kritik eines lupenreinen Demokraten. Punktgenau so würde man aus westlicher
Sicht Russland kritisieren – würde man es kritisieren dürfen. Aber dies ist
die Kritik Putins. An der Ukraine.
Was man hier sieht, das konnte man schon an einer berühmt gewordenen
Episode erahnen. 2014 bei einem umstrittenen Wien-Besuch wurde Wladimir
Putin in der Wirtschaftskammer von Christoph Leitl mit den Worten begrüßt:
„Ich bin schon so lange Präsident, dass ich Sie nun schon zum dritten Mal
begrüßen darf.“ Diese Worte quittierte der andere, der russische Präsident
völlig unvermittelt mit dem Ruf: Diktatur!
## Ihr schimpft mich Diktator
Was nun folgte, war eine äußerst interessante Schrecksekunde. Einen kurzen
Moment lang hat die Überraschung die anderen Protagonisten völlig gelähmt.
Denn plötzlich hatte der Autokrat auf einer ganz anderen Klaviatur
gespielt. Und das auch noch doppeldeutig. Denn der Ausruf war sowohl
ironisch als auch irgendwie dissident. Gab er doch „dem Westen“ dessen
Botschaft zurück: Ihr schimpft mich Diktator – und was seid ihr?
Ein Autokrat mit Ironie? Autoritarismus ohne heiligen Ernst? Ein
postmoderner Herrscher, der mit Diskursen spielen kann? Ein mörderisches
Spiel.
Dieser Umgang mit Macht ist damals in der Schrecksekunde in der
Wirtschaftskammer aufgeblitzt – und brachte die Leute zum Verstummen. Aber
Putin überholte sie alle noch einmal: „Aber gute Diktatur!“ rief er noch
hinterher. Und die Leute lachten als wäre das die Erlösung. Gute Diktatur –
gibt es für ihn denn eine andere?
Putin mag ein konzises Weltbild haben. Aber Putin kann auch westlichen
Diskurs. Er kann damit spielen. Er kann ihn nutzen. Und er benutzt ihn. Er
usurpiert diesen westlichen Diskurs mit all seinen Überzeugungen. In vollem
Zynismus schickt er dem Westen dessen eigenen Diskurs zurück. Und dieser
kommt zurück – zerfleddert und untergraben.
23 Mar 2022
## LINKS
[1] /Der-russische-Faschist-Alexander-Dugin/!5836919
[2] /Stimmungsbild-aus-Moskau/!5837544
## AUTOREN
Isolde Charim
## TAGS
Knapp überm Boulevard
Wladimir Putin
Ukraine
Krieg
Westen
Diskurs
Sowjetunion
Krise der Demokratie
Knapp überm Boulevard
Knapp überm Boulevard
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Lesestück Recherche und Reportage
Knapp überm Boulevard
Knapp überm Boulevard
## ARTIKEL ZUM THEMA
Flucht gegen die Gesellschaft: Transfer zwischen rechts und quer
Viele Querdenker und Impfgegner wollen der Gesellschaft entfliehen, jedoch
um sie zu negieren. Für Demokratien ist das ein ernsthaftes Problem.
Krieg gegen die Ukraine: Worum kämpft man eigentlich?
Um was geht es beim Ukrainekrieg? Um Territorium, Einfluss, Bodenschätze –
oder um Demokratie, Werte, Lebensweisen? Es ist ein hybrider Krieg.
Das Ende von Wandel durch Handel: Die Aufgabe rein ökonomischer Logik
Der Krieg in der Ukraine hat die Vorherrschaft der rein ökonomischen Logik
unterbrochen. Seitens Russlands rückt an ihre Stelle die der Ideologie.
Russische Propaganda gegen Ukraine: Anti-Logik als stabiles Fundament
Propaganda ist nicht einfach nur Täuschung. Das lässt sich gut an der
russischen Vorgehensweise in Bezug auf den Ukraine-Krieg zeigen.
Reichster Oligarch der Ukraine: Der Strippenzieher
Rinat Achmetow liebt Fußball und verfügt über Milliarden. Lange hat er sich
im Konflikt nicht festgelegt. Jetzt hat er sich positioniert.
Buckhead grenzt sich ab: Abschied vom Gemeinwohl
Buckhead, ein Viertel des US-amerikanischen Atlanta, will eine eigene Stadt
werden. Unsere Autorin sieht darin eine „Sezession der Reichen“.
Impfpflicht in Österreich: Folge des Versagens
Die Impfpflicht will man in Österreich mit dem Einsatz von polizeilichen
Kontrollen durchsetzen. Das dürfte Impfgegner wie Befürworter brüskieren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.