# taz.de -- Buckhead grenzt sich ab: Abschied vom Gemeinwohl | |
> Buckhead, ein Viertel des US-amerikanischen Atlanta, will eine eigene | |
> Stadt werden. Unsere Autorin sieht darin eine „Sezession der Reichen“. | |
Bild: Abspaltungsbereit: Atlantas wohlhabender Stadttteil Buckhead | |
Kennen Sie Buckhead? Buckhead ist ein Viertel in der US-amerikanischen | |
Stadt Atlanta. Und ebendieses Buckhead möchte nun eine eigene Stadt werden. | |
Das ist erst mal eine ebenso unscheinbare wie erstaunliche Meldung. | |
Genauer betrachtet aber ist dies weder unscheinbar noch wirklich | |
erstaunlich. Denn Buckhead ist die wohlhabendste und weißeste Gegend der | |
Hauptstadt von Georgia. Die Idee zu dieser Abspaltung gibt es schon seit | |
Längerem. Jetzt aber nimmt diese an Fahrt auf. Es gibt bereits einen | |
Gesetzesentwurf für ein Referendum. | |
Begründet werden diese Separationstendenzen mit der steigenden | |
Kriminalität: Gewalt, Autodiebstähle, illegale Straßenrennen und andere | |
Verbrechen seien sprunghaft angestiegen. Vor allem seit 2020, in der | |
Anfangsphase der Pandemie sowie nach den [1][Unruhen infolge der „Black | |
Lives Matter“- Proteste]. | |
Man sagt nicht, dass man solche Proteste nicht möchte. Man sagt, man möchte | |
die Kriminalität, die damit einhergehe, nicht. Und die Proponenten des | |
Komitees zur Abspaltung werfen der lokalen Polizei vor, nicht genug zur | |
Eindämmung dieser Kriminalität getan zu haben. | |
## Abspaltung durch Verwaltungsgrenzen | |
Nun ist es so, dass die Kriminalität laut Statistik tatsächlich gestiegen | |
ist. Aber das ist nicht der springende Punkt. Der springende Punkt ist die | |
Reaktion darauf: eine Abspaltung. Wobei man hinzufügen muss: Diese Idee | |
wird von republikanischen Politikern unterstützt und von demokratischen | |
Politikern – wie etwa dem Bürgermeister von Atlanta – abgelehnt. | |
Was ist das aber für eine Idee, so eine Abspaltung? Zum einen ist es die | |
verwaltungstechnische Bekräftigung eines real existierenden Zustands. In | |
dieser Hinsicht entbehrt die Idee nicht einer komischen Seite. Soll eine | |
neue Verwaltungseinheit Kriminalität eindämmen? | |
Als ob sich Kriminelle an Verwaltungsgrenzen halten würden. Und als ob der | |
Entzug von Steuergeldern – denn das wäre natürlich eine der drastischen | |
Folgen – die Kriminalität tatsächlich dämpfen und nicht eher steigern | |
würde. Natürlich aber würde es nicht bei einer verwaltungstechnischen | |
Lösung bleiben. Die eigene Stadt würde auch eine Befestigung der eigenen | |
Grenzen bedeuten. | |
Zum anderen aber ist diese Idee – und das ist das, was diesen Fall über das | |
Lokale hinaus relevant macht – nur die verwaltungstechnische Übersetzung | |
für ein grundlegendes Phänomen: die neue „Sezession der Reichen“, wie | |
Zygmunt Bauman das genannt hat. Buckhead ist ein anschauliches Beispiel | |
dafür. | |
## Die „Sezession der Reichen“ | |
Natürlich gab es schon früher soziale Separierungen und räumliche | |
Trennungen. Schon Engels beschreibt, wie der britischen Arbeiterklasse | |
eigene Viertel zugewiesen wurden. Wobei die Segregationen im Laufe der Zeit | |
mehrere Trennlinien gleichzeitig zogen: jene zwischen Oben und Unten ebenso | |
wie etwa jene zwischen Schwarz und Weiß. Eine Tendenz, die sich in den | |
letzten Jahren noch mal deutlich gesteigert und gewissermaßen verfeinert | |
hat. | |
Man denke an die „gated communities“ – private, geschlossene Wohnanlagen. | |
Solche abgeschotteten Gemeinschaften haben seit den 1970er Jahren einen | |
regelrechten Boom erfahren. Diese Separierungen gingen übrigens in | |
paradoxer Gleichzeitigkeit mit den multikulturellen Vorstellungen einher, | |
die bunte Vielfalt und wilde Mischungen feierten. | |
Buckhead aber ist exemplarisch für den nächsten Schritt dieser „Sezession | |
der Reichen“: eine Abtrennung der Erfolgreichen, die nicht nur eine | |
geistig-moralische Differenz bedeutet, sondern ein ganz handfestes | |
räumlich-bürokratisches Außen. | |
Kurzum – diese verabschieden sich aus einer gemeinsamen Welt, aus einer | |
gemeinsamen Gesellschaft in eine gesellschaftliche „Exterritorialität“ | |
(Bauman). Triebkraft dabei ist, sich der gesellschaftlichen Verpflichtungen | |
und Verantwortungen zu entledigen. Sie entlassen sich sozusagen selbst aus | |
dem Gemeinwohl – vor allem in Form von Steuern. | |
23 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Isolde Charim | |
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