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# taz.de -- Flucht gegen die Gesellschaft: Transfer zwischen rechts und quer
> Viele Querdenker und Impfgegner wollen der Gesellschaft entfliehen,
> jedoch um sie zu negieren. Für Demokratien ist das ein ernsthaftes
> Problem.
Bild: Protest zur „Woche der Demokratie“ von Impfgegnern bis Verschwörungs…
Der Name Thomas Hobbes steht für die Vorstellung eines Naturzustands, in
dem ein „Krieg aller gegen alle“ herrscht. Der britische Theoretiker hat
den Ausweg daraus im Staat gesehen. Dieser soll die gesellschaftlichen
Konflikte befrieden. Der springende Punkt dabei ist: [1][Hobbes hat das
nicht nur in eine Richtung gedacht]. Er hat gezeigt, dass Gesellschaften
durchaus auch den umgekehrten Weg einschlagen können. Denn der „Krieg aller
gegen alle“ kann jederzeit wieder aufbrechen. Eine durchaus aktuelle
Lektion.
Kürzlich wurde in Österreich eine Ärztin von einer Gruppe sogenannter
„Querdenker“ gejagt und letztlich in den Selbstmord getrieben. Man hatte
eigentlich gedacht, mit dem Schwinden der Aufmerksamkeit für die Pandemie,
mit dem Ende der „Maßnahmen“ würde sich auch die Vehemenz der Gegner
entspannen. Stattdessen aber zeigt sich, dass es keine solche Entspannung
gibt. Ganz im Gegenteil. Wenn es aber keine Entspannung gibt, dann muss das
Phänomen offenbar weitreichender sein. Dann war die Pandemie nur ein
Vehikel für etwas, was über diese hinausgeht.
Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo hat kürzlich von einem nahtlosen Übergang
eines bedeutenden Teils der „Querdenker“ und Impfgegner zu den
Putin-Verteidigern gesprochen. Gewissermaßen ein Transfer der Vehemenz auf
ein anderes Objekt. Für Lobo verdanken sich Fortbestand und Radikalisierung
dieser Kreise Putins Propagandaapparat. Dieser würde nicht nur
rechtsextreme Kräfte stärken, sondern auch die „Querdenker“-Szene befeuer…
Die Strategie dabei sei, Debatten in sozialen Medien durch russische
Trollfabriken zu manipulieren. Dazu werden Themenfelder gesucht, die für
eine „emotionale, unversöhnliche Debatte“ zugänglich sind. Die sich also
für das Schüren von Ressentiments und Ängsten eignen. Diese werden dann
gezielt beeinflusst, verstärkt, gelenkt. So geschehen bei den
„Querdenkern“. So weit Lobo.
Solche Manipulationen mag es geben – aber als Ursache des Phänomens reichen
sie nicht aus. Denn damit lässt sich nicht erfassen, warum diese
Manipulationen überhaupt wirken. Kontroversen, Problematiken wie die
Maskenpflicht oder Impfungen sind nicht per se unversöhnlich. Dazu werden
sie erst. Aber nicht durch äußere Manipulation, sondern weil sie aufgeladen
werden. Weil sie zum Anlass werden, etwas Grundsätzliches zu verhandeln.
## Eine negative Vergesellschaftung
Wo Unversöhnlichkeit herrscht, wird immer etwas gesellschaftlich
Grundlegendes verhandelt. Ein untrügliches Indiz. Im gegenwärtigen Fall ist
das, worum es geht, eine negative Vergesellschaftung.
Im Unterschied zur positiven Variante, also zur Integration in die
Gesellschaft, zu allen Formen des Dazugehörens, ist die negative Form jene,
wo man sich aus der Gesellschaft verabschiedet. Dieser Abschied wird hier
in aller Paradoxie gesellschaftlich ausgetragen.
Der Traum der 1970er Jahre, der Gesellschaft zu entfliehen, setzt sich hier
fort. Aber in veränderter Form. War den Alternativen die Flucht aus der
Gesellschaft ein Mittel, so ist es nun ein Zweck: Abschied aus der
Gesellschaft nicht als Aufbruch zu etwas anderem, sondern als Ziel. Kein
neues Konzept, sondern nur das Durchstreichen des Bestehenden. Eben eine
negative Vergesellschaftung. All die heutigen „Aussteiger“, all die neuen
Nischenbewohner leben das im Extrem, was Gefühl und Wunsch vieler ist: das
antigesellschaftliche Begehren einer unbegrenzten persönlichen Freiheit.
Darin gründet die neue Unversöhnlichkeit weiter Kreise.
Hier ist sie: die Hobbe’sche Lektion. Einmal errungene gesellschaftliche
Bindungen können sich jederzeit auflösen. Die Rückkehr zu solch einem
Naturzustand aber kann eben auch eine „Rückkehr zum Krieg aller gegen alle“
bedeuten.
Dies ist ein ernsthaftes Problem heutiger Demokratien. Nicht nur weil diese
Kreise anfällig für autoritäre Versuchungen sind ([2][und somit auch für
deren Manipulationen]). Sondern auch, weil sich negative Vergesellschaftung
nicht einbinden, nicht befrieden lässt. Schon alleine deshalb, weil diese
eben das Prinzip des Verhandelns selbst zurückweist.
24 Aug 2022
## LINKS
[1] /Buch-ueber-die-Epoche-der-Fruehaufklaerung/!5552369
[2] /Russische-Kriegspropaganda/!5862048
## AUTOREN
Isolde Charim
## TAGS
Krise der Demokratie
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