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# taz.de -- Rechtsextreme „NSU 2.0“-Drohserie: Versendete Polizist erstes D…
> Im „NSU 2.0“-Prozess fordert die Nebenklage einen Freispruch des
> Angeklagten für das erste Drohschreiben. Dieses soll ein Polizist
> verschickt haben.
Bild: Was geschah hier am 2. August 2018? Polizist:innen vor dem 1. Polizeirevi…
Frankfurt/Main taz | Es ist ein überraschender Vorstoß. Im Prozess zur
rechtsextremen [1][NSU 2.0-Drohserie], der seit einem Monat vor dem
Oberlandesgericht Frankfurt/Main läuft, fordert die Betroffene [2][Seda
Başay-Yıldız] einen Teilfreispruch für den Angeklagten Alexander M.
Stattdessen soll ein Frankfurter Polizist an der Drohserie beteiligt
gewesen sein. Konkret geht es um das erste NSU 2.0-Drohschreiben, das die
NSU-Opferanwältin Başay-Yıldız per Fax erhielt, [3][am 2. August 2018 um
15.41 Uhr]. Gedroht wurde ihr darin, ihre Tochter zu „schlachten“ – samt
Nennung ihrer Privatadresse, die öffentlich nicht bekannt war. Eben jene
Adresse, sowie weitere Privatdaten von Başay-Yıldız, waren anderthalb
Stunden zuvor auf dem 1. Polizeirevier Frankfurt/Main abgerufen worden.
Im Prozess forderte nun Antonia von der Behrens, die Anwältin von
Başay-Yıldız, den Angeklagten Alexander M. für dieses erste Drohfax
freizusprechen. Denn alles spreche dafür, dass nicht er, sondern der
Frankfurter Polizist [4][Johannes S.] für dieses verantwortlich sei.
Es gebe dafür eine „Fülle von Indizien“, erklärte von der Behrens. Für …
weiteren 82 Schreiben der Drohserie, die ab Dezember 2018 bis März 2021 von
einer Yandex-Emailadresse verschickt wurden, sei aber Alexander M.
verantwortlich.
In einem langen Beweisantrag trug von der Behrens die Indizien gegen
Polizist Johannes S. vor. So sei bereits der Abruf der Daten von
Başay-Yıldız auf dem Frankfurter Polizeirevier auffällig. [5][Fast sechs
Minuten lang und mit 17 Eingaben] wurde damals auf drei Datenbanken nach
Informationen zu Başay-Yıldız gesucht – zu ihrer Adresse, dort gemeldeten
Personen und deren Daten, zu möglichen Straftaten oder gemeldeten
Fahrzeugen. Ein sehr untypischer Vorgang, den bisher keiner der
Polizeibeamten erklärten konnte, erinnerte von der Behrens.
## Ein Alibi stellte sich als falsch heraus
Abgerufen wurden die Daten auf dem Dienstrechner der Polizistin Miriam D. –
der aber stand ungesperrt allen offen. Und ihr Kollege [6][Johannes S. war
damals im Revier vor Ort], weshalb früh auch gegen ihn ermittelt wurde.
Laut Einsatzprotokollen befand sich sein Streifenwagen zum Abfragezeitpunkt
auf der Wache – und auch als das Fax verschickt wurde. Dass S. in der Zeit
Vorgänge bearbeitete, sei nicht dokumentiert, so von der Behrens.
Stattdessen stellte sich ein mögliches Alibi als falsch heraus: In einem
Einsatzprotokoll war vermerkt, dass Johannes S. mit einem Kollegen am
Nachmittag in einem Einsatz war – in der Zeit, als das Drohfax versendet
wurde. Ermittler stellten später aber fest, dass dieser Einsatz tatsächlich
erst ab 16.30 Uhr stattfand, also nach dem Versand. Wie es zu der falschen
Uhrzeit kam, konnten die beiden Polizisten nicht erklären.
Auffällig auch: Am Tattag, dem 2. August 2018, nutzte Johannes S. sein
Handy so stark wie sonst nie. Gleich 81 Mal gab es einen Zugriff auf sein
Handy – weit mehr als in den Tagen zuvor und danach. Was S. damit tat, ist
weitgehend ungeklärt. Just um den 2. August 2018 herum hatte Johannes S.
eine Vielzahl seiner Chats gelöscht.
## Bezeichnende Google-Suchen
Zudem fanden sich bezeichnende Google-Suchen auf seinem Handy. So war dort
explizit nach „Yildiz in Frankfurt“ und „Rechtsanwältin“ gesucht worde…
Und Johannes S. hatte sich zuvor auch über Sami A. informiert, einen
Islamisten, der im Sommer 2018 [7][zu Unrecht abgeschoben wurde und den
Başay-Yıldız vertrat]. Der Fall machte Schlagzeilen – und wurde im ersten
Drohfax an Başay-Yıldız erwähnt. Der Tod ihrer Tochter werde „die
Vergeltung“ für Başay-Yıldızs Einsatz für Sami A., hieß es dort. Von der
Behrens verwies auch auf einen früheren Chatbeitrag von Johannes S., in dem
dieser schrieb, er habe auch den Islamisten Bilal G. „gestalked“ – den
Başay-Yıldız ebenfalls vertrat.
Zudem steht Johannes S. schon länger unter Rechtsextremismusverdacht.
Ermittler fanden Fotos, die ihn mit Hitlergruß zeigten. Auch in einer
Polizei-Chatgruppe namens „[8][Itiotentreff]“ teilte Johannes S.
rassistische Beiträge. Bis heute wird deshalb gegen ihn und die anderen
Beamten ermittelt. In einem weiteren Chat von Johannes S. schrieb ihm ein
Chatpartner: „Ich reiß dir den Kopf ab und scheiß dir in den Hals.“ Ein
Filmzitat – jedoch eines, das genau so auch in NSU 2.0-Drohschreiben
auftauchte.
Noch ein Indiz: Başay-Yıldız erhielt das Drohfax über einen Onlineanbieter,
auf den zuvor mit einer Tor-Verschlüsselung zugegriffen wurde. Johannes S.
kannte sich damit aus. Auf einer Polizeischule hielt er schon 2014 einen
Vortrag zur Nutzung von Tor-Browsern. Und auf seinem Ipad, das er auch im
Dienst nutzte, waren gleich zwei Tor-Browser installiert. Ermittler
stellten zudem fest, dass das Drohfax sehr wahrscheinlich von einem Handy
oder Tablet verschickt wurde, nicht von einem PC. Das würde zu dem Ipad von
Johannes S. passen – bei Alexander M. wurde dagegen kein tor-fähiges,
mobiles Gerät gefunden. Und, Zufall oder nicht: Kurz nach dem Versand des
Drohfaxs an Başay-Yıldız verkaufte Johannes S. sein Ipad.
## Austausch im Darknet?
Wenn aber der Verdacht gegen Johannes S. stimmt, wie kam der in Frankfurt
angeklagte Alexander M. an die Privatdaten von Başay-Yıldız, die auch in
späteren Drohschreiben auftauchten? Die Nebenklage vermutet, dass Johannes
S. diese Daten ins Darknet stellte. Einen konkreten Eintrag fand sie nicht.
Sowohl Johannes S. als auch Alexander M. seien aber [9][im Darknet
unterwegs gewesen], erklärte von der Behrens. Und das Zusammentragen von
Privatdaten von Prominenten, sogenanntes Doxing, sei dort nicht selten.
Zudem gebe es noch eine Auffälligkeit: Für ein Drohschreiben wurde als
Absender der frühere Polizeiausbilder von Johannes S. angegeben. Dass
Alexander M. zufällig auf just diesen Namen stieß, sei unwahrscheinlich,
findet von der Behrens. Mehr spreche dafür, dass sich auch über diese
Ausbilder im Darknet ausgetauscht wurde.
Von der Behrens kritisierte, dass die Ermittler „nie den Ermittlungsansatz
verfolgten, dass an der Drohserie auch mehrere Personen beteiligt waren“.
Für Başay-Yıldız bleibe somit unklar, inwieweit sie und ihre Familie auch
nach der Festnahme von Alexander M. noch gefährdet sei. Die Anwältin
beantragte neben dem Teilfreispruch für Alexander M. auch die Ladung von
Johannes S. als Zeugen in den Prozess.
## Staatsanwaltschaft ermittelt noch gegen Johannes S.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main äußerte sich vorerst nicht zu dem
Antrag. Sie hatte zuletzt aber der taz bestätigt, dass sie wegen der
Datenweitergabe weiterhin [10][ein Ermittlungsverfahren gegen Johannes S.
führt]. Der Tatverdacht habe sich bisher jedoch nicht bestätigt.
Auch die taz hatte bereits vor längerer Zeit zu der Beteiligung von
Johannes S. an der NSU 2.0-Drohserie recherchiert. Als unsere Zeitung ihn
dazu Zuhause befragen wollte, lehnte er ab: Er habe [11][an einem Gespräch
„kein Interesse“].
17 Mar 2022
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[6] /Drohmail-Affaere-NSU-20/!5831543
[7] /taz-Recherche-zu-Drohmails/!5709468
[8] /Drohmail-Affaere-NSU-20/!5831543
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[10] /Vor-Prozessstart-zu-NSU-20-Drohserie/!5834911
[11] /taz-Recherche-zu-Drohmails/!5709468
## AUTOREN
Konrad Litschko
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