# taz.de -- Aktivistin über Umweltzerstörung: „Ökozid ist ein Verbrechen“ | |
> Wer mutwillig die Umwelt schädigt, soll künftig wegen Ökozids angeklagt | |
> werden. Das fordert Jojo Mehta von der internationalen Bewegung | |
> StopEcocide. | |
Bild: Ölkatastrophen wie das Deepwater Horizon-Unglück 2010 könnten künftig… | |
taz: Frau Mehta, was will die internationale StopEcocide-Bewegung | |
erreichen? | |
Jojo Mehta: Wir möchten, dass das [1][Römische Statut des Internationalen | |
Strafgerichtshofs erweitert und Ökozid darin als fünftes Verbrechen gegen | |
den Frieden aufgenommen wird], neben Völkermord, Verbrechen gegen die | |
Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und dem Verbrechen der Aggression. | |
Was ist mit [2][Ökozid] gemeint? | |
Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Mord an unserem eigenen | |
Haus“. Das heißt, wenn große Systeme wie Flüsse oder Feuchtgebiete, | |
Regenwälder, Meeresregionen, Regionen also, in denen es zig Rückkoppelungen | |
zwischen verschiedensten Lebensformen gibt, durch menschliches Handeln | |
massiv gestört oder zerstört werden. | |
Wann wäre der Straftatbestand erfüllt? | |
Die Definition, an der in unserem Auftrag 12 international anerkannte | |
Jurist:innen gearbeitet haben, lautet: „Ökozid bedeutet rechtswidrige | |
oder willkürliche Handlungen, mit dem Wissen begangen, dass eine erhebliche | |
Wahrscheinlichkeit schwerer und entweder weitreichender oder langfristiger | |
Schäden an der Umwelt besteht, die durch diese Handlungen verursacht | |
wurden.“ | |
Was ist daran das Neue? | |
Dass die Definition nicht auf die Verletzung menschlicher Rechte abhebt. Es | |
muss also keine Person in ihren Eigentums-oder Menschenrechten betroffen | |
sein, die klagt. Staatsanwälte würden von Amts wegen Anklage erheben. | |
Warum nimmt dieses neue Rechtskonzept in Europa gerade so an Fahrt auf? | |
Anlass ist die aktuelle Novellierung der EU-Richtlinie zum | |
Umweltstrafrecht. Die war lange Jahre ein zahnloser Tiger. Unser Wunsch | |
ist, dass die Kriminalisierung von Ökozid auch in der neuen EU-Richtlinie | |
ihren Niederschlag findet. | |
Warum genügen existierende Naturschutzgesetze nicht? | |
Bisherige Umweltschutzrechte basieren auf einer anthropozentrischen | |
Sichtweise. Die erachtet Natur aber nur dann als Streitwert, wenn sie dem | |
Menschen lebensnotwendige Leistungen nicht mehr erbringen kann. Wenn | |
beispielsweise Wasser so verschmutzt wird, dass es nicht mehr trinkbar ist. | |
Oder wenn ein Fischsterben einsetzt, welches Fischerei unmöglich macht. | |
Zudem wird Naturschutzrecht oft umgangen, weil Umweltschädigungen via | |
unzählige Ausnahmeregelungen explizit von Verwaltungsbehörden erlaubt | |
werden. | |
Welche von Menschen verursachten Umweltkatastrophen würden denn schon unter | |
die Definition Ökozid fallen? | |
Wir haben bewusst auf eine Liste verzichtet. Was als Ökozid verurteilt | |
wird, sollen Richter am aktuellen Fall entscheiden. Aber Ölkatastrophen wie | |
„Deep Water Horizon“ oder die Zerstörung des Nigerdeltas durch Shell, die | |
massive Abholzung der tropischen Regenwälder, der flächendeckende Einsatz | |
von Pestiziden, die Klimakrise und die Plastikverseuchung des Planeten – | |
all das könnte man als Ökozid bezeichnen. | |
Was könnten Ökozid-Strafverfahren mehr bewirken als Schadenersatzklagen? | |
Eine Schadenersatzklage ist eine Zivilklage, da wird auf finanzielle | |
Wiedergutmachung oder Unterlassung geklagt. Doch großen Konzernen tun diese | |
Summen nicht weh, weil ihre Gewinne so kolossal sind. Das Strafrecht aber | |
ist Individualrecht. Da werden Verantwortliche verklagt und gegebenenfalls | |
eingesperrt. Das trifft dann zum Beispiel den CEO. | |
Was bringt das, jemanden einzusperren, wenn der Schaden schon passiert ist? | |
Das Strafrecht ist das schärfste Schwert der Rechtsprechung. Aber es zielt | |
vor allem darauf ab, Menschen von einer Tat abzuhalten. Bei dem | |
Gesetzesentwurf geht es also um die Verhinderung von massiver | |
Naturzerstörung. Wer will schon vor einem Internationalen Gerichtshof | |
angeklagt werden? Eine Kriminalisierung von Umweltzerstörung befreit | |
Unternehmen aber auch. | |
Inwiefern? | |
Wenn Ökozid international als Verbrechen anerkannt wird, haben | |
Geschäftsführer und Vorstände das Recht und sogar die Pflicht zu sagen: | |
Nein, wir begehen keine Verbrechen, um Profit zu machen. Bislang ist es | |
eher umgedreht, Unternehmen können von ihren Aktionär:innen verklagt | |
werden, wenn sie nicht auf Gewinnmaximierung hinarbeiten, gleich welchen | |
Schaden sie damit anrichten. | |
Welche EU-Länder ziehen Ökozid als Straftatbestand schon in Betracht? | |
In Frankreich, den Niederlanden, in Schweden, Finnland und Spanien wird das | |
Thema sowohl in den Parlamenten als auch in der Zivilgesellschaft | |
diskutiert. In Belgien hat die Regierungsmehrheit beschlossen, Ökozid ins | |
nationale Strafrecht aufzunehmen. Auch das Europäische Parlament hat sich | |
mehrfach für so ein Gesetz ausgesprochen. International unterstützen Greta | |
Thunberg und Paul McCartney, auch der Papst und der UN-Generalsekretär | |
António Guterres unsere Kampagne. | |
Von wem erfahren Sie in Deutschland Rückhalt? | |
Hinter StopEcocide Germany stehen der Klima- und Meeresforscher Stefan | |
Rahmstorf und der Gründer der Scientists4Future, Volker Quaschning. Auch | |
der Vater des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, Hans-Josef Fell, zählt dazu. | |
Außerdem kooperieren wir mit der Klimaschutzorganisation GermanZero, die | |
sich auf Klima-Gesetzgebung spezialisiert hat. Zudem stehen hinter uns die | |
FuturZwei-Stiftung, verschiedene Akteure der Umwelt- und der | |
Fridays-for-Future-Bewegung sowie kirchliche Verbände. | |
Warum trauen Sie Kriminalisierung von Ökozid so eine Hebelkraft zu? | |
Im Strafrecht zeigt eine Gesellschaft, wo ihre moralischen roten Linien | |
verlaufen. Ökozid als Verbrechen zu bezeichnen verändert unser Verständnis | |
von Natur. Wenn Moral zu Recht wird, verändert sich die Welt. | |
28 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Margarete Moulin | |
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