| # taz.de -- Lange Haftstrafe für IS-Rückkehrerin: Eine ernst zu nehmende Frau | |
| > Die IS-Rückkehrerin Stefanie A. will nicht gewusst haben, was ihren Sohn | |
| > in Syrien erwartet. Doch das Oberlandesgericht Hamburg glaubt ihr nicht. | |
| Bild: Will nur die Nähe ihres Mannes gesucht haben: die angeklagte IS-Rückkeh… | |
| Hamburg taz | Das Gericht hat Stefanie A. nicht geglaubt. Es glaubt nicht, | |
| dass sie naiv in das syrische IS-Gebiet einreiste, um ihren Mann zu | |
| pflegen, und dass alles andere eine bittere Verkettung der Umstände war: | |
| dass ihr 13-jähriger Sohn Malik zum IS-Kämpfer ausgebildet wurde und bei | |
| einem Bombenangriff starb. | |
| Das Oberlandesgericht Hamburg verurteilt die 44-jährige IS-Rückkehrerin | |
| wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, | |
| Kriegsverbrechen, Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht sowie | |
| fahrlässiger Tötung zu sechs Jahren und sechs Monaten Haft. Damit bleibt es | |
| ein Jahr unter der Forderung der Bundesanwaltschaft – und mehr als vier | |
| Jahre über der der Verteidigung. | |
| Was konnte, [1][was musste Stefanie A. gewusst haben], bevor sie die | |
| Wohnung in Bad Oldesloe auflöste, den 13-jährigen Malik von der Schule | |
| abmeldete und Richtung Syrien aufbrach? Das war eine der wesentlichen | |
| Fragen in einem Prozess, in dem Stefanie A. früh einräumte, die | |
| Beamt:innen des BKA angelogen zu haben – schließlich habe sie „nicht | |
| gewusst, ob ich einen Anwalt bekomme“. Und als Zweites: Wie stark hat sich | |
| ihr Glaubensverständnis radikalisiert? | |
| „Das ist Zeitgeschichte, das ist Fünf-Sterne-Juristerei“, sagt A.s Anwalt | |
| in seinem Plädoyer – und auch wenn er zu den fünf Sternen nur begrenzt | |
| beiträgt, hat er mit der Zeitgeschichte vermutlich recht. Die | |
| Rekonstruktion allerdings ist mühselig und kleinteilig, vieles ergibt sich | |
| aus Chats innerhalb der Familie. | |
| ## Nach der Pleite folgt die Radikalisierung | |
| Unstrittig ist, dass Stefanie A. aus einem schwierigen Elternhaus stammt. | |
| Der Vater ist alkoholkrank, sie findet als 15-Jährige in der Beziehung zu | |
| dem zehn Jahre älteren, palästinensischstämmigen Zakarias A. einen | |
| Vaterersatz. Über ihn wird ihr der Islam zur religiösen Heimat, sie bekommt | |
| 1996 den ersten Sohn Yassin, 2002 Malik. Gemeinsam betreiben sie einen | |
| Imbiss. Nachdem der pleitegeht, beschäftigt sich Zakarias A. intensiver mit | |
| dem Islam und findet Anschluss an radikale Kreise. 2015 verschwindet er aus | |
| Deutschland, im ersten Telefonat mit seiner Frau sagt er: „Ich bin drin.“ | |
| Er ist drin, in Syrien, bei einer Terrororganisation. Seine genaue Rolle | |
| dort lässt sich nicht rekonstruieren. Es ist das, wovon ihn seine Frau | |
| versucht hat abzuhalten, aber nun hat sie nur noch ein Ziel: auch | |
| auszureisen. „Hol’ mich“, so hört man sie im Gericht auf den | |
| Telefonmitschnitten flehen. „Ich bin stolz auf dich, Schatz“, sagt sie | |
| noch. | |
| „Was haben Sie gedacht, was Malik dort erwartet?“, fragt der Vorsitzende | |
| Richter. Stefanie A. weint. „Ich habe nicht darüber nachgedacht, ich hatte | |
| nur meinen Mann im Kopf“, sagt sie. „Ich weiß nicht, wie soll ich Ihnen das | |
| erklären?“ Vielleicht ist das die bitterste Wahrheit, die preiszugeben sie | |
| willens ist. Rechtlich betrachtet hilft sie ihr nicht. Bereits die | |
| Tatsache, dass sie nicht ausschließen kann, dass ihrem Sohn im | |
| Bürgerkriegsgebiet etwas zustößt, macht sie schuldig. | |
| Ohnehin ist das nur ein Teil der Anklage. Noch schwerer wiegt der Vorwurf, | |
| dass sich Stefanie A. nach der Ausreise ihres Mannes „nachradikalisiert“ | |
| hat, so beschreibt es das Gericht. Dass sie sich bewusst dem IS | |
| angeschlossen und ihn unterstützt hat. „Frau A. ist eine handlungsfähige | |
| und relativ gut informierte Frau“, sagt die Generalbundesanwältin im | |
| Plädoyer, „nehmen Sie sie ernst.“ | |
| Was ist Stefanie A. für eine Frau? Oder, präziser gefragt: Welchen Eindruck | |
| macht sie vor Gericht? Ihr Anwalt wird nicht müde, auf ihre „geringe | |
| Reflexionstiefe“ zu verweisen, insbesondere wenn es um den Unterschied | |
| zwischen ihrer und seiner eigenen geistigen Durchdringung des Korans geht. | |
| Äußerlich betrachtet ist sie eine füllige, blonde Frau in weiten | |
| Sweatshirt-Jacken mit nachlässig hochgestecktem Haar. | |
| Eifrig, wenn sie dem Richter etwas erzählt, oft weinend, kindlich flehend | |
| in den Gesprächen mit ihrem Mann. Und dazwischen eine plötzliche, nüchterne | |
| Schlauheit, wenn es um die Frage geht, warum sie in früheren Vernehmungen | |
| gelogen hat oder wie sie auf den Fotos, die an die Herkunftsfamilie gingen, | |
| die Täuschung aufrechterhielt, dass man in Palästina sei. | |
| ## Tote in Paris seien „nur“ Ungläubige | |
| Die Richter nehmen Stefanie A. ernst. Sie sehen ihre Perspektivlosigkeit in | |
| Bad Oldesloe, ihre Überforderung, die Erbitterung über die Besuche des | |
| Verfassungsschutzes und die Außenwelt, die verbreitet, Zakarias A. sei in | |
| den Krieg ausgereist. Sie nehmen ernst, dass Stefanie A. gegenüber ihrer | |
| Schwester nach den [2][Anschlägen von Paris] gesagt hat, dass die Toten ja | |
| nur Ungläubige gewesen seien. | |
| Sie nehmen ernst, dass sie [3][ihrer Mutter Hinrichtungsvideos gezeigt] | |
| hat. Vor allem glauben sie, dass A. wusste, dass männliche Jugendliche vom | |
| IS in einer zweistufigen Ausbildung darauf vorbereitet werden, an | |
| Kampfhandlungen teilzunehmen. | |
| Was sie vor Ort erlebt, schreckt sie nicht ab: im Gegenteil. Stefanie A. | |
| versucht, den älteren Sohn Yassin, der zuvor im Gefängnis war, zur Ausreise | |
| zu bewegen. Sie schreibt zu Zeiten des IS-Rückzugs: „Die Kufr – Ungläubig… | |
| – waren richtig nah, aber wir werden sie zurückschlagen.“ Aber es ist eine | |
| andere Nachricht, die im Prozess immer wieder zitiert wird: Nach dem Tod | |
| Maliks schreibt sie an Yassin, er solle sich freuen, denn [4][sein Bruder | |
| sei einen Märtyrertod] gestorben. | |
| A.s Anwalt wird viel Zeit darauf verwenden darzulegen, dass der Begriff | |
| Märtyrer bei verschiedensten Todesarten gebraucht werde – auch bei | |
| Verschütteten wie bei Malik, der Kinder aus einem bombardierten Haus habe | |
| retten wollen. Doch das überzeugt die Richter nicht: Angesichts der letzten | |
| Rückzugsgefechte des IS sei es bei diesem Märtyrertod nicht um Verschüttung | |
| gegangen. | |
| A.s Anwalt ist Experte in der [5][Verteidigung von IS-Rückkehrerinnen]. Er | |
| nutzt sein Plädoyer vor allem für etwas, was er Rechtsphilosophie nennt. | |
| Tatsächlich wirkt es wie ein politisches Pamphlet, das eine anti-islamische | |
| westliche Haltung anprangern soll. Gleich eingangs lädt er zu einem | |
| „Perspektivenwechsel“ ein: Dass seine Mandantin die Toten in Paris | |
| unerheblich fand, sei vergleichbar mit den Stammtischsprüchen nach der | |
| Flüchtlingswelle, mit denen ein neuer Hitler gefordert wurde. Beides sei | |
| nicht ernst gemeint. | |
| Unterschiede sieht er aber im allerorts beklagten Leid der „blonden, | |
| christlichen Flüchtlinge“ und dem seiner Mandantin: „Das, was meine | |
| Mandantin erlebt hat, ist schlimmer als das, was jetzt in der Ukraine | |
| stattfindet.“ Mit etwas Pech ist diese Sicht der Dinge schon die nächste | |
| Etappe Zeitgeschichte. | |
| 24 Mar 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Prozess-gegen-IS-Rueckkehrerin/!5831959 | |
| [2] /Terror-Prozess-um-Bataclan/!5810899 | |
| [3] /Fotograf-ueber-islamistische-Propaganda/!5432055 | |
| [4] /IS-Prozess-in-Hamburg/!5828295 | |
| [5] /Politologe-ueber-IS-Rueckkehrerin/!5806465 | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
| ## TAGS | |
| IS-Helferinnen | |
| Prozess | |
| Schwerpunkt Islamistischer Terror | |
| Hamburg | |
| Schwerpunkt Iran | |
| Islamismus | |
| Einreiseverbot | |
| Hamburg | |
| „Islamischer Staat“ (IS) | |
| Gerichtsurteil | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Nach Koranverbrennung: Iran bestellt deutschen Geschäftsträger ein | |
| Am Samstag soll es in Hamburg zu einer Koranverbrennung gekommen sein. Der | |
| Iran hat daraufhin den deutschen Geschäftsträger einbestellt. | |
| Mit 15 Jahren ausgewandert nach Syrien: Milde Strafe für „IS“-Rückkehrerin | |
| Leonora M. reiste nach Syrien, nun wurde sie zu zwei Jahren Jugendstrafe | |
| auf Bewährung verurteilt. Auch andere Islamistinnen beschäftigen die | |
| Behörden. | |
| Kein Besuchsrecht für Syrerin: Frau S. darf nicht nach Bremen | |
| Ein syrische Mutter mit Depressionen will ihre Kinder in Deutschland | |
| besuchen. Doch sie bekommt kein Visum – weil sie zur Geflüchteten werden | |
| könnte. | |
| Prozess gegen IS-Rückkehrerin: Eine Frau ohne Perspektive | |
| Im Hamburger Prozess gegen eine IS-Rückkehrerin, die ihren Sohn dem IS | |
| überlassen haben soll, bleiben einige Fragen offen. | |
| Prozess gegen IS-Rückkehrerin: Reue unter Tränen | |
| Vor dem Hamburger Landgericht sagt eine Mutter aus, die ihren Sohn dem IS | |
| zugeführt haben soll. Der Junge starb bei einem Bombenangriff in Syrien. | |
| Urteil zu verdursteter Jesidin: Lebenslange Haft für IS-Anhänger | |
| Der Angeklagte hatte ein jesidisches Mädchen im Irak verdursten lassen. | |
| Jetzt muss er wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ins | |
| Gefängnis. |