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# taz.de -- Prozess gegen IS-Rückkehrerin: Eine Frau ohne Perspektive
> Im Hamburger Prozess gegen eine IS-Rückkehrerin, die ihren Sohn dem IS
> überlassen haben soll, bleiben einige Fragen offen.
Bild: Will Syrien für einen sicheren Ort gehalten haben: die IS-Rückkehrerin …
Hamburg taz | Am Dienstag sitzen gerade mal vier Zuhörerinnen im
Zuschauerraum von Saal 288 des Hamburger Landgerichts. Vor ein paar Wochen,
beim [1][Auftakt des Prozesses] gegen die IS-Rückkehrerin Stefanie A.,
drängelten sich noch die JournalistInnen. Das ist das übliche
Aufmerksamkeitsgefälle, nichts Ungewöhnliches.
Ungewöhnlich ist, wer da sitzt: eine Studentin, die eine wissenschaftliche
Arbeit über IS-Rückkehrerinnen schreibt, eine Angehörige eines
prozessbeobachtenden Kollektivs, dessen Mitwirkende sie eher vage
beschreibt: unter anderem Juristinnen und Yesidinnen.
Und schließlich sitzt da noch eine junge blonde Frau, die der Angeklagten
ermunternde Zeichen macht und in den Prozesspausen mit deren Verteidigung
spricht. Sie ist keine Verwandte, aber woher sie die Angeklagte kennt,
möchte sie nicht sagen; ihre Anwesenheit könne man als
„Prozessunterstützung“ beschreiben, sagt sie.
Es ist also ein Prozess, der schon jetzt wie ein
soziologisch-zeitgeschichtliches Dokument gehandelt wird, während die
JournalistInnen vermutlich deshalb kamen, weil der 44-jährigen Stefanie A.
vorgeworfen wird, ihren damals 13-jährigen Sohn Malik dem IS als Kämpfer
zur Verfügung gestellt zu haben. Der Sohn ist 2018 bei einem Bombenangriff
ums Leben gekommen; der Ehemann ist verschollen.
## „Opfer ihrer Naivität“
Stefanie A. hat beteuert, dass sie nur deshalb nach Syrien gereist sei, um
sich um ihren verletzten Ehemann zu kümmern. Den Sohn hätten die Eltern
keinesfalls dem IS anvertraut, im Gegenteil hätten sie zu verhindern
versucht, dass er kämpfen musste.
Sie sei ein Opfer ihrer Naivität gewesen, so hat es ihr Verteidiger
dargestellt, und habe ihrem Mann geglaubt, dass das Leben dort sicher sei.
Nun versucht das Gericht herauszufinden, mit welchen Wünschen Stefanie A.
tatsächlich nach [2][Syrien] aufbrach und welche ihrer Aussagen stimmen.
Beides ist herausfordernd.
Da der ältere Sohn, die Schwester und die Mutter der Angeklagten die
Aussage vor Gericht verweigerten, versucht man nun, sich mit deren Aussagen
bei Polizei und Staatsanwaltschaft zu behelfen. Der ältere Sohn, Yassin,
gab zu Protokoll, dass seine Mutter von Hartz IV lebend und ohne Freunde,
„keine Perspektive mehr für sich gesehen habe“. Weil er selbst im Gefängn…
saß, habe er sich dafür eine Mitschuld gegeben.
Er wollte ebenfalls nach Syrien, sei aber auf dem Weg dorthin umgekehrt,
weil er sich klar gemacht habe, dass er dort als Asthmatiker keine
gesundheitliche Versorgung bekommen werde. Und dann kommt eine der vielen
einerseits-andererseits Aussagen dieses Prozesses: Stefanie A. habe „schon
ehrlich“ zugegeben, dass es in Syrien gefährlich sei – aber dort, wo sie
hinreisten, hielt sie es für „nicht so gefährlich“, erinnerte sich ihr
Sohn.
## Ein streng religiöser Sohn
Stefanie A.’s Schwester hat zu Protokoll gegeben, dass ihr Neffe Malik
streng religiös gewesen sei, ihre Schwester aber noch „extremer“, indem sie
den Sohn gezwungen habe, zu beten und versucht habe, eine Frau, bei der sie
putzte, zum Islam zu bekehren. Das stimme nicht, sagt Stefanie A. dazu. Sie
habe ihren Sohn keinesfalls gezwungen, sondern ihn lediglich an die
Gebetszeiten erinnert.
Stefanie A., blond, hochgestecktes Haar, füllig, hat ein großes
Redebedürfnis, so groß, dass sie den Vorsitzenden Richter gelegentlich
unterbricht. Als sie über den Tod des jüngeren Sohnes spricht, weint sie
kurz. Warum sie geschrieben habe, sich über seinen Tod gefreut zu haben?
Weil sie geglaubt habe, es sei ein schmerzloser Tod gewesen, sagt sie, das
wünsche sich jede muslimische Mutter.
Aber meist geht es an diesem Tag um Fakten: Warum sie den Zeitpunkt der
Verletzungen ihres Mannes, um derentwillen sie ausgereist sein will, so
unterschiedlich angegeben hat? Warum sie unterschiedliche Gründe für die
Verzögerung der Abreise genannt hat?
Darauf gibt Stefanie A. eine Pauschalantwort: Beim Verhör durch das
Bundeskriminalamt habe sie gelogen – schließlich habe sie Angst gehabt,
dass sie allein wegen der Kontakte zum IS – den sie eigentlich hätte meiden
wollen – ins Gefängnis gemusst hätte. „Ich wusste ja nicht einmal, ob ich
einen Anwalt bekomme.“ Hilfe bekam sie dennoch: Dank Spendengeldern konnte
sie die Schleusung zurück bezahlen.
Nur ein paarmal weiß Stefanie A. keine Antwort: Warum ihr Mann laut
Verfassungsschutz noch für den IS tätig war, als er ihr zufolge bettlägerig
war? Mit welchen Waffen ihr Sohn für ein Foto posiert hat? Und: welche Idee
sie eigentlich für das Leben ihres 13-jährigen Sohnes bei der Ausreise
hatte? „Darüber habe ich nicht nachgedacht“, sagt Stefanie A. weinend. „…
weiß nicht, wie ich Ihnen das erklären soll“.
15 Feb 2022
## LINKS
[1] /IS-Prozess-in-Hamburg/!5828295
[2] /Nach-Angriff-auf-Haftanstalt-in-Syrien/!5827782
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Hamburg
Islamismus
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