# taz.de -- Mit 15 Jahren ausgewandert nach Syrien: Milde Strafe für „IS“-… | |
> Leonora M. reiste nach Syrien, nun wurde sie zu zwei Jahren Jugendstrafe | |
> auf Bewährung verurteilt. Auch andere Islamistinnen beschäftigen die | |
> Behörden. | |
Bild: Leonora und Sabrina in Syrien mit ihren Kindern | |
HALLE/BERLIN taz | Bereits mit 15 Jahren reiste [1][Leonora M. von | |
Sachsen-Anhalt zur Terrorgruppe „Islamischer Staat“] nach Syrien. | |
Fünfeinhalb Jahre lebte sie dort, war mit dem hochrangigen IS-Kämpfer | |
Martin Lemke verheiratet. Seit Januar 2022 stand die 22-Jährige deshalb vor | |
dem Oberlandesgericht Naumburg. Am Mittwoch nun erhielt sie ein mildes | |
Urteil: zwei Jahre Haft auf Bewährung. | |
Der Prozess wurde nichtöffentlich verhandelt, wegen Leonora M.s jungem | |
Alter zur Tatzeit. Angeklagt hatte sie die Bundesanwaltschaft, die eine | |
dreijährige Jugendstrafe gefordert hatte. Ihr Verteidiger plädierte dagegen | |
auf Freispruch, da Leonora M. aufgrund ihres Alters die Folgen ihrer | |
Ausreise nicht überschaut habe und sich in Syrien sehr schnell vom IS | |
abwandte. Auch Leonora M. hatte im Prozess entsprechend ausgesagt. | |
Richterin Ursula Mertens folgte dem laut einem Gerichtssprecher weitgehend. | |
Auch sie würdigte das Geständnis von Leonora M., die „glaubhafte Abkehr“ | |
vom IS-Terror und ihre Bemühungen, seit ihrer Rückkehr wieder ein | |
geregeltes Leben zu führen. Auch sei sie damals von IS-Angehörigen | |
manipuliert worden. Mertens verurteilte die 22-Jährige dennoch wegen | |
Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung sowie | |
einem Verstoß gegen das Waffengesetz. Den bereits zuvor ausgesetzten | |
Haftbefehl hob sie auf. | |
Leonora M. war im März 2015 zum IS ausgereist und lebte anschließend in | |
Rakka, damals Hauptstadt des IS. Sie heiratete den IS-Kämpfer Martin Lemke | |
und bekam zwei Kinder. Die Anklage warf ihr vor, durch ihre | |
Haushaltsführung die Terroraktivitäten ihres Mannes ermöglicht zu haben. | |
Auch habe sie für Lemke eine Bewerbung für den IS-Geheimdienst und ein | |
Testament bei einem IS-Gericht geschrieben. Sie selbst habe ein Sturmgewehr | |
und eine Pistole besessen. Zudem habe sie eine jesidische Sklavin mit zwei | |
Kleinkindern im Haushalt gepflegt, damit diese gewinnbringend | |
weiterverkauft werden konnte. | |
## Zehn weitere Islamist:innen nach Deutschland geflogen | |
Laut Anklage soll Leonora M. auch drei Monate in einem IS-Krankenhaus | |
gearbeitet, später für den IS-Geheimdienst Frauen von IS-Kämpfern | |
ausgeforscht haben. Diese Punke sah das Gericht indes nicht als erwiesen | |
an. Auch bezüglich der jesidischen Sklavin wurde Leonora M. freigesprochen: | |
Diese wurde von Lemke gekauft und habe bei dessen Zweitfrau gelebt, so das | |
Gericht. | |
Leonora M. war nach einem gescheiterten Versuch, vom IS zu flüchten, in | |
kurdischer Gefangenschaft gelandet. Im Dezember 2020 wurde sie nach | |
Deutschland ausgeflogen und nach 19 Tagen Haft wieder freigelassen. Zuletzt | |
lebte sie wieder mit ihren Kindern in der Nähe des 200-Einwohner-Dorfes, in | |
dem sie aufwuchs und machte dort eine Ausbildung. Claudia Dantschke vom | |
Deradikalisierungsprogramm Grüner Vogel, das Leonora M. betreut, hält ihren | |
Ausstieg für glaubaft und sieht sie „auf einem guten Weg“. | |
Leonora M. ist nicht die einzige IS-Rückkehrerin, welche die Behörden | |
momentan beschäftigt. Erst Ende März hatte die Bundesregierung nach langen | |
Verhandlungen zehn deutsche Islamistinnen mit ihren 27 Kindern aus dem | |
kurdischen Gefangenenlager Roj nach Deutschland zurückgeholt. Gegen sechs | |
von ihnen wurden Haftbefehle verhängt. Die Frauen waren ab 2013 nach Syrien | |
und in den Irak ausgereist. | |
Besonders gegen eine von ihnen wiegen die Vorwürfe schwer: Nadine K. aus | |
Idar-Oberstein. Sie soll in Mossul in einem geraubten Haus mit ihrem Mann | |
Kalaschnikows, Handgranaten und Sprengstoff gehortet haben. Zudem soll sie | |
dort eine Aufnahmestelle für alleinstehende IS-Frauen eingerichtet und | |
ebenfalls eine jesidische Frau als Sklavin gehalten haben, an der ihr Mann | |
regelmäßig sexuelle Übergriffe verübte. | |
## Vorwurf: Mit dem Mann zur Steinigung | |
Mehrere der Frauen hatten vor deutschen Gerichten auf ihre Rückkehr | |
geklagt. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nannte die Rückholungen | |
eine „äußerst schwierige Aktion“. Die Mütter müssten sich nun für ihr | |
Handeln verantworten. Die 27 Kinder seien dagegen Opfer und hätten „ein | |
Recht auf eine bessere Zukunft fernab der tödlichen IS-Ideologie“. | |
Bereits zuvor hatte die Bundesregierung [2][drei Rückholaktionen | |
organisiert]. Laut Baerbock ist damit der Großteil der deutschen IS-Frauen, | |
die zur Rückkehr nach Deutschland bereit seien, wieder hierzulande. Für die | |
wenigen restlichen werde weiter an individuellen Lösungen gearbeitet, | |
erklärte Baerbock. Die Rückkehrerinnen müssen sich nun vor Gericht | |
verantworten. Zuletzt wurden bereits mehrere zu [3][Haftstrafen bis zu zehn | |
Jahren] verurteilt. | |
Vor wenigen Tagen erhob die Bundesanwaltschaft zudem Anklage gegen die | |
Hessin Laura H. Sie war 2016 mit ihren zwei Kindern ihrem Mann zum IS | |
nachgefolgt. Auch ihr wird vorgeworfen, mit der Haushaltsführung in einer | |
teils vom IS finanzierten Wohnung die Terroraktivitäten ihres Mannes | |
ermöglicht zu haben. Zudem habe sie mit diesem und einem weiteren | |
IS-Mitglied 27.000 Euro ins Kampfgebiet transferiert. Ihr Mann wurde später | |
getötet, auch Laura H. saß lange mit ihren Kindern in kurdischer Haft, bis | |
sie im November 2019 nach Deutschland geholt wurde. Heute ist sie auf | |
freiem Fuß. | |
Am Donnerstag beginnt zudem in Hamburg der Prozess gegen Jalda A. Auch | |
gegen sie gibt es schwere Vorwürfe. Die 34-Jährige war 2014 nach Syrien | |
ausgereist, hatte dort einen IS-Kämpfer geheiratet. Laut Anklage besuchten | |
sie zusammen Steinigungen, erzogen ihren kleinen Sohn im Sinne des IS. Mit | |
einem Zweitmann soll A. ebenfalls eine 26-jährige Jesidin als Sklavin | |
gehalten haben, die vergewaltigt und misshandelt worden sei. Auch Jalda A. | |
soll die Jesidin fast täglich geschlagen und getreten, ihr Haare | |
ausgerissen oder ihren Kopf gegen die Wand geschlagen haben. A. befand sich | |
seit 2017 in kurdischer Gefangenschaft und wurde im Oktober 2021 nach | |
Deutschland ausgeflogen. Sie befindet sich in Untersuchungshaft. | |
## Haushaltsführung belegt noch keinen Terrorismus | |
Der Bundesgerichtshof stellte zuletzt aber klar, dass IS-Rückkehrerinnen | |
nicht per se als Terroristinnen gelten können. Nötig sei vielmehr eine | |
gewisse „einvernehmliche Eingliederung“ in die Terrorgruppe und eine | |
„aktive Tätigkeit zur Förderung deren Ziele“. Trotz islamistischer | |
Gesinnung stelle allein die Haushaltsführung oder das Aufziehen von Kindern | |
im IS-Gebiet noch keine Terrormitgliedschaft dar – in Kombination mit | |
anderen Aktivitäten könne dies aber durchaus so sein. | |
Der BGH hatte konkret über die Haftbefehle von zwei inhaftierten | |
IS-Rückkehrerinnen entschieden. Den Haftbefehl einer 30-jährigen Berlinerin | |
hielt er aufrecht: Sie war 2016 gegen den Willen ihres Mannes mit ihren | |
zwei kleinen Söhnen ausgereist. Ihr Mann war ihr später doch gefolgt und | |
schloss sich IS-Kämpfern an. Als er den IS wieder verlassen wollte, redete | |
sie ihm dies aus. Die Kinder soll sie im IS-Sinne erzogen haben. | |
Noch in kurdischer Haft erstellte sie auf Telegram einen jihadistischen | |
Kanal, warb um Spenden für den IS und führte in ihrem Whatsapp-Profil eine | |
Flagge der Terrorgruppe. In der Zusammenschau hielt der BGH dies für | |
ausreichend, um von einer Mitgliedschaft der 31-Jährigen beim IS | |
auszugehen. | |
Bei der zweiten Frau hob der BGH den Haftbefehl auf. Die 36-jährige Bayerin | |
war mit ihrem Mann und ihren drei Kindern 2015 nach Syrien ausgereist. Die | |
Ermittler konnten ihr dort nur die Haushaltsführung und Kindererziehung | |
nachweisen. Für eine Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe reiche das nicht, | |
so die Richter. Die Frau habe lediglich ein „alltägliches Leben im | |
‚Kalifat‘“ geführt. | |
Aktualisiert am 18.05.2022 um 17:15 Uhr. Es wurden nicht vier | |
IS-Rückkehrerinnen verhaftet, wie es im Text zunächst hieß, sondern | |
insgesamt sechs. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. d. R. | |
18 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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