| # taz.de -- Prozess gegen IS-Rückkehrerin: Kein Mitleid mit der Sklavin | |
| > Das Hamburger Landgericht verurteilt eine IS-Rückkehrerin zu fünfeinhalb | |
| > Jahren Haft. Die 34-Jährige hat eine Jesidin an der Flucht gehindert. | |
| Bild: Will vom Leid der Sklavin in ihrem Haushalt nichts bekommen haben: Jalda … | |
| Hamburg taz | Am Tag der Urteilsverkündung verbirgt sich Jalda A. nicht vor | |
| den Fotografen. Aufrecht steht sie neben ihren Anwälten, schwarzer | |
| Pullover, schwarze Hose, lange offene Haare. Dann wird kurz unterbrochen | |
| und eine Frau in weißer Bluse kommt in den Saal und setzt sich ebenso | |
| aufrecht hinten links zwischen Anwältin und Übersetzerin. Es ist die | |
| Nebenklägerin und Zeugin: eine [1][Jesidin], die von 15 IS-Kämpfern | |
| verkauft und von 14 von ihnen vergewaltigt wurde, unter anderem von Jalda | |
| A.s Ehemann. | |
| In deren gemeinsamen Haushalt lebte sie drei Wochen als Sklavin. Jetzt hört | |
| sie zu, wie das Gericht Jalda A. zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt, | |
| wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, | |
| Kriegsverbrechen, Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit und | |
| [2][Beihilfe zum Völkermord]. Sie nickt, während die Dolmetscherin ihr all | |
| das übersetzt. Jalda A. senkt kurz den Kopf. Die Staatsanwaltschaft hatte | |
| siebeneinhalb Jahre für sie gefordert, ihre Verteidiger hatten kein | |
| Strafmaß in ihren Plädoyers genannt. | |
| Norbert Sakuth, der Vorsitzende Richter, rollt noch einmal das Leben von | |
| Jalda A. auf: Als Zehnjährige kommt sie nach Deutschland mit ihren Eltern, | |
| die vor den Taliban aus Afghanistan geflohen waren. Sie arbeitet in Bremen | |
| als Verkäuferin und kellnert am Wochenende, um sich etwas dazuzuverdienen. | |
| Ihre Beziehungen zu Männern enden mit Enttäuschungen; ihr Bruder, der in | |
| einem islamistischen Kulturverein in Bremen aktiv ist, verspricht ihr einen | |
| muslimischen Mann, der sie als Ehefrau akzeptieren wird. | |
| 2014 geht Jalda A. mit dem Bruder und dessen Frau nach Syrien und heiratet | |
| einen IS-Kämpfer. Möglicherweise, ohne selbst Salafistin zu sein, räumt der | |
| Richter ein – aber nicht ohne das Wissen um die Ziele des IS. „Das Unwissen | |
| der Angeklagten nimmt der Senat ihr nicht ab“, sagt Sakuth und wird einmal | |
| an diesem Mittag bissig: Es sei naiv, zu glauben, dass das Gericht ihr ein | |
| solches Maß an Naivität abnehmen würde. | |
| ## „Taktisches Aussageverhalten“ | |
| Ab hier beginnt das, was der Richter „taktisches Aussageverhalten“ nennen | |
| wird, denn Jalda A. hat eingeräumt, was zweifelsfrei feststeht, aber sich | |
| selbst stellt die 34-Jährige als Frau dar, die von dem, was ihre drei | |
| Ehemänner als IS-Kämpfer taten, nichts wusste, die auch von den | |
| Vergewaltigungen der Jesidin durch ihren Mann nichts gewusst haben will. | |
| Die habe ihr gesagt, wie gut es ihr im Haushalt gehe. Warum habe Jalda A. | |
| dann an anderer Stelle erklärt, sie hätten sich wegen der Sprachbarriere | |
| überhaupt nicht unterhalten könnten, hält ihr der Richter entgegen. | |
| A.s Hoffnungen auf eine glückliche Ehe in Syrien, dem Land, von dessen | |
| Bürgerkrieg sie nichts gewusst haben will, erfüllen sich nicht. Ihr erster | |
| Mann, mit dem sie einen Sohn hat, stirbt bei Kämpfen. Während der | |
| Schwangerschaft, die riskant ist, reist Jalda A. noch einmal für zwei | |
| Wochen nach Bremen. Der zweite Ehemann, der Videos veröffentlicht, die ihn | |
| vor den Leichen toter Gegner zeigen, heiratet sie als Zweitfrau. | |
| Nach Spannungen mit der Erstfrau geht A. eine neue Ehe ein, doch der | |
| Ehemann hat eine Zweitfrau und A. lässt sich scheiden. 2017 heiratet sie | |
| erneut. Ihr Ehemann verschweigt zunächst, dass er eine jesidische Sklavin | |
| hat, doch nach einer Woche bringt er sie in den Haushalt. Jalda A. fordert, | |
| dass er sie „weggibt“ oder eine Scheidung. Weder das eine noch das andere | |
| passiert, „aus ungeklärten Gründen“, sagt Sakuth. Nach vier Wochen verlä… | |
| A. ihren Mann, wird festgenommen und bringt in einem Gefangenenlager ihre | |
| Tochter zur Welt. | |
| Drei Wochen haben Jalda A. und die jesidische Zeugin in einem Haushalt | |
| verbracht – und es ist die Schilderung der Jesidin, der das Gericht folgt. | |
| Sie stehe „exemplarisch für das Schicksal der jesidischen Frauen“, sagt der | |
| Richter und tatsächlich ist sie exemplarisch, weil sie nach Deutschland | |
| gekommen ist, um in Prozessen gegen IS-Rückkehrerinnen auszusagen. „Ich | |
| habe sehr unter ihr gelitten“, hat sie über Jalda A. gesagt und drei Fälle | |
| geschildert, in denen A. sie geschlagen hat. | |
| ## „Impulsiv und konfrontationsfreudig“ | |
| „Von Eifersucht getriebenes Verhalten“, nennt der Richter das und A. | |
| „impulsiv und konfrontationsfreudig“, so sei sie auch von anderen Zeugen | |
| beschrieben worden. A. schlug die Jesidin mit einer Taschenlampe, schlug | |
| ihren Kopf gegen die Wand und zog sie an den Haaren durch das Zimmer, | |
| nachdem diese im Ehebett geschlafen hatte. Dass das nach einer | |
| Vergewaltigung geschah, milderte A.s Zorn nicht. Sie habe das Verhältnis | |
| zwischen ihrem Mann und der Jesidin als einvernehmlich erlebt, hat A. dem | |
| Gericht gesagt. Es ist eben jener Mann, der die Jesidin als menschliches | |
| Schutzschild bei Angriffen benutzt. A. will, dass sie geht – und bewacht | |
| sie doch, um ihre Flucht zu verhindern. „Es ist eine ungewöhnliche | |
| Konstellation“, sagt Richter Sakuth. | |
| Was A. hätte tun sollen, wurde in den Plädoyers gefragt, was hätte ihr | |
| gedroht, wenn sie die Jesidin hätte fliehen lassen? Für den Senat hat das | |
| bei der Beurteilung ihrer Schuld keine Rolle gespielt. Für ihn hatte Jalda | |
| A. Alternativen zu dem Weg, den sie letztlich ging: als sie aus Bremen | |
| zurück nach Syrien reiste, als sie sich aus ihrer letzten Ehe anders als | |
| aus der vorherigen nicht sofort scheiden ließ. Es sind drei Wochen, die | |
| jetzt schwer ins Gewicht fallen. | |
| Das Gericht hat Jalda A. auch wegen Beihilfe zum Völkermord verurteilt und | |
| dabei juristisches Neuland betreten. Noch gibt es nur [3][Urteile anderer | |
| Oberlandesgerichte] dazu, nicht aber vom Bundesgerichtshof. Das hat auch | |
| politische Implikationen. Bislang vermeidet die Bundesregierung den | |
| Begriff. Laut dem Hamburger Senat hat Jalda A. zum Völkermord beigeholfen, | |
| indem sie die Jesidin bewachte und damit deren Flucht vor den | |
| Vergewaltigungen verhinderte. Damit habe sie ihr schweren seelischen | |
| Schaden zugefügt. | |
| Es dauert lange, bis Richter Sekuth das Urteil erklärt hat, die Tür zum | |
| Zuschauersaal ist ein paar Mal auf und zu gegangen. Dann wendet er sich | |
| noch einmal direkt an Jalda A. und es wird ganz still im Raum. „Sie haben | |
| gesagt, dass Sie als Frau keine andere Möglichkeit gehabt hätten“, sagt er. | |
| Aber sie habe Chancen gehabt – nicht aus Bremen zurückzukehren, sich direkt | |
| von ihrem Mann zu trennen. „Bevor Sie einen Blick in die Zukunft tun, wäre | |
| es gut, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen.“ Eine Frau im | |
| Zuschauersaal fängt an zu weinen. | |
| 27 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
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