# taz.de -- Kein Besuchsrecht für Syrerin: Frau S. darf nicht nach Bremen | |
> Ein syrische Mutter mit Depressionen will ihre Kinder in Deutschland | |
> besuchen. Doch sie bekommt kein Visum – weil sie zur Geflüchteten werden | |
> könnte. | |
Bild: Nicht jeder darf frei reisen: Dafür braucht es den richtigen Pass | |
BREMEN taz | Herr J. ist verzweifelt. „Es geht um Leben und Tod“, sagt er | |
am Telefon. Zunächst einmal geht es aber vor allem um seine Mutter. Die | |
will der Bremer gern nochmal sehen, zusammen mit drei seiner Geschwister. | |
Doch er darf nicht. Jedenfalls nicht hier. Der Grund: Seine Mutter könnte | |
ja zur Geflüchteten werden. Denn Frau [1][S. lebt in Syrien.] Käme sie aus | |
der Ukraine, würde sie dieser Tage vielleicht sogar mit dem Auto abgeholt. | |
Herr J. wurde vor gut 40 Jahren in Damaskus geboren, lebt aber schon sein | |
halbes Leben lang in Bremen. Hier führt er ein stylisches Restaurant, in | |
dem auch die örtliche SPD manchmal feiert. Fast zehn Jahre schon hat er die | |
deutsche Staatsbürgerschaft. „Ich habe mich immer an alle Gesetze gehalten | |
und zahle jeden Monat pünktlich meine Steuern“, schreibt er dem deutschen | |
Botschafter in Beirut. | |
Sein Begehr: ein Besuchsvisum, zumindest für seine Mutter. Seine Eltern | |
leben beide in Syrien. Eine Schwester auch, die Brüder dank der | |
Familienzusammenführung aber alle mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis in | |
Deutschland. Seit sieben Jahren schon kämpfe er, sagt Herr J., doch | |
vergebens: „Ich bin total verzweifelt.“ | |
Die Entscheidung für solch ein Visum liegt bei der deutschen Botschaft. | |
„Ich finde es unmenschlich, wie man dort mit meinem Fall umgeht. Ich kenne | |
dies von Deutschland anders“, sagt er. Er versichert auch, dass er für alle | |
Kosten bürgen würde. | |
## Die Behörde äußert Zweifel | |
Mitte Januar bekam Frau S. zuletzt einen Ablehnungsbescheid zugestellt, ein | |
Formschreiben mit der EU-Flagge drauf. Punkt 13 der 16 möglichen | |
Ablehnungsgründe ist angekreuzt: „Es bestehen begründete Zweifel an Ihrer | |
Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten | |
auszureisen.“ Begründet wird dann aber doch nicht näher. „Mit Verlaub“, | |
schreibt J. daraufhin dem Botschafter: „Das kann ich leider absolut nicht | |
nachvollziehen.“ Im Gespräch mit ihm fallen auch unfreundlichere | |
Bewertungen der Sach- und Rechtslage. | |
Er fragt in Beirut nach. „Die Antragstellerin ist wirtschaftlich und sozial | |
kaum in Syrien verwurzelt“, sagt ein Botschaftssprecher. „Sie ist nicht | |
erwerbstätig. In der Kernfamilie ist eine starke Migrationsbereitschaft aus | |
dem Bürgerkriegsland erkennbar.“ Also sei die sogenannte „Rückkehrprognos… | |
negativ ausgefallen. | |
„Sie kennen nichts anderes als Syrien, und was ihnen fremd ist, davor haben | |
sie Angst“, sagt hingegen J. über seine Eltern. Zudem hätten sie zwei | |
Häuser in Syrien, und Deutsch spreche seine Mutter auch nicht. Dass seine | |
Mutter hierher nach Deutschland fliehen wolle – diese Vorstellung findet er | |
„absurd“. | |
Um den Vorwurf der deutschen Botschaft nach Möglichkeit ein wenig zu | |
entkräften und ihre „Rückkehrprognose“ zu verbessern, zog sein Vater den | |
Antrag auf ein Besuchsvisum wieder zurück. Nur die Mutter sollte nach | |
Bremen kommen. Genutzt hat es nichts. | |
## Klage mit geringen Erfolgsaussichten | |
Doch wenn die vier Brüder sie „nicht bald in die Arme schließen können, | |
wird sie sich etwas antun“, sagt J. 2018 attestierte ihr ein Arzt ein | |
„[2][depressives Syndrom] mit zunehmender suizidaler Neigung“. Von | |
„emotionaler Vereinsamung“ ist in dem ärztlichen Attest die Rede, und von | |
„völliger Entfremdung ihrer Kinder“. Und weiter: „Medizinisch zwingend | |
geboten ist die Unterstützung durch die auch im Ausland lebende Familie, da | |
dem psychischen Druck mit der realen Gefahr suizidaler Gedanken nur so zu | |
begegnen ist.“ | |
Ein Schengen-Visum wurde aber bereits abgelehnt, sagt die Botschaft, eine | |
Klage von Frau S. war erfolglos. Bei einer erneuten Klage schätze man „die | |
Chancen auf einen Erfolg als äußerst gering ein“, heißt es bei der | |
Botschaft in Beirut. „Vielleicht gibt es ja aber besondere Umstände, die | |
der Botschaft bisher nicht bekannt waren“, schreibt diese. Doch eigentlich | |
ist die Lage seit Langem unverändert. | |
Seine Mutter illegal hierher zu holen, das ist für den Sohn keine Option. | |
Er selbst ist zwar zu ihr nach Syrien gefahren – für seine drei Brüder sei | |
das aber keine Option: „Das Militär würde sie direkt an der Grenze | |
festnehmen.“ Und jetzt? „Meine Familie ist kurz davor, an dieser Distanz zu | |
zerbrechen“, sagt Herr J. – „und ich fühle mich einfach hilflos.“ | |
26 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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