| # taz.de -- Nordafrika und der Ukrainekrieg: Flüchtlinge zweiter Klasse | |
| > Menschen aus Nordafrika stecken in der Ukraine fest, weil sie nicht in | |
| > die EU dürfen. In ihren Heimatländern könnte es zur Lebensmittelkrise | |
| > kommen. | |
| Bild: Nur für ukrainische Staatsbürger bestimmt: Lebensmittelspenden im polni… | |
| Tunis taz | Die Regierungen mehrerer nordafrikanischer Länder haben mit der | |
| Rückholung ihrer Bürger aus der Ukraine begonnen. Über 1.500 TunesierInnen | |
| sind derzeit in Luftschutzkellern oder auf dem Weg an die westukrainische | |
| Grenze. Studierende aus der arabischen Welt kommen seit Jahren an die | |
| Universitäten von Odessa, Kiew oder Charkiw, mehrere Tausend Libyer werden | |
| als Patienten in ukrainischen Kliniken behandelt. | |
| „Holt uns hier raus“, fleht die Tunesierin Myrian Amdouni auf einem über | |
| 230.000 Mal gesehenen TikTok-Video. Ihre Wohnung in Odessa hat sie auf | |
| Anraten der Botschaft seit einigen Tagen nicht mehr verlassen. An der | |
| polnisch-ukrainischen Grenze wurden einige ihrer tunesischen | |
| KommilitonInnen von EU-Grenzbeamten wieder zurückgeschickt. UkrainerInnen | |
| und BürgerInnen vieler anderer Nationen [1][können problemlos in die | |
| EU-Nachbarländer] Slowakei, Polen und Rumänien einreisen.„Wir haben uns in | |
| einem Motel ohne funktionierende Heizung in der Nähe der polnischen Grenze | |
| einquartiert“, sagt der Student Mohamed Mejri der taz am Telefon. | |
| Der tunesische Präsident Kais Saied versprach am Freitag, eine Maschine | |
| nach Polen zu schicken, um die ersten BürgerInnen auszufliegen. Tarek | |
| Aloui, der Sprecher der „Gemeinschaft der Tunesier in der Ukraine“ hat in | |
| den letzten Tagen Hilferufe ausländischer Studenten aus Odessa, Dniepr, | |
| Charkiw und Kiew erhalten. „Es ist ein logistischer Albtraum, sie über | |
| mehrere hundert Kilometer unsichere Straßen an die polnische Grenze zu | |
| bringen. Das libysche Außenministerium gab am Samstag bekannt, dass 200 | |
| Landsleute über die slowakische Grenze gebracht wurden.“ | |
| Der Blick auf den Krieg in Europa ist in Nordafrika außerdem von den | |
| aktuellen Krisen geprägt. Im politischen linken Lager Tunesiens und bei | |
| ehemaligen Regimeanhängern herrscht Verständnis für Wladimir Putins | |
| Vorgehen. Sowohl religiöse Vertreter als auch ehemalige Revolutionäre haben | |
| sich wegen der Allianz Moskaus mit dem syrischen Regime, der Unterstützung | |
| des libyschen Generals Haftar oder Ägyptens Präsident Sisi auf die Seite | |
| der Ukraine geschlagen. | |
| ## Sympathien zu Russland | |
| Libyens Übergangsregierung hat nach Beginn des russischen Einmarsches ihre | |
| Solidarität mit der Ukraine erklärt. Der mit General Haftar verbündete | |
| Gegenpremier Fathi Bashaga hält sich mit Kritik an Moskau zurück. | |
| Die Debatte über den Krieg wird in der arabischen Welt viel von | |
| prorussischen Influencern beeinflusst. Ein oft geteiltes Foto mit einem | |
| ukrainischen Panzer während der Invasion des Irak aus dem Jahre 1991 | |
| stellte sich schließlich als Fälschung heraus. Das Foto und der | |
| dazugehörige Text richtete sich gegen jegliche Solidarität mit der | |
| angegriffenen Ukraine, da sie als „Juniorpartner der US-Armee | |
| antimuslimisch ist“, so heißt es im Text. | |
| „Korruption und die wirtschaftliche Krise hat dazu geführt, dass viele in | |
| der Region Sympathien zu Russland hegen, weil es scheinbar gegen die | |
| ehemaligen westlichen Kolonialmächte und das bestehende | |
| Weltwirtschaftssystem aufbegehrt“, sagt die Soziologin Henda Chennaoui. | |
| Der Krieg wird außerdem die Lebensmittelsituation in Nordafrika | |
| beeinflussen. Produktionsausfälle und Preissteigerungen von Weizen und | |
| anderem Getreide sind zu erwarten, warnt David Beasly, der Direktor des | |
| Welternährungsprogramms WFP. Russland und die Ukraine haben einen Anteil | |
| von 30 Prozent der weltweiten Weizenproduktion, bei der letztjährigen | |
| Preissteigerung von 30 Prozent wird es wohl nicht bleiben. | |
| „Der Krieg in der Ukraine wird eine weitere Katastrophe zur Folge haben“, | |
| so Beasly, dessen Organisation in den Krisenländern Jemen, Syrien und der | |
| Sahelregion zur Grundversorgung der Menschen beiträgt. Rund die Hälfte der | |
| Vorräte des WFP stammen aus der Ukraine. Ein durch zerstörte Häfen und | |
| Kampfhandlungen ausgelöster Exportausfall bedroht auch Ägypten und den | |
| Libanon, die mindestens die Hälfte ihrer Getreideimporte aus Russland und | |
| der Ukraine importieren. | |
| 28 Feb 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Mirco Keilberth | |
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