# taz.de -- Die Klimabewegung im Portrait: Mensch, diese Familie! | |
> Die Klimabewegung besteht mittlerweile aus vielen Gruppen. Für alle, die | |
> da schon mal den Überblick verlieren: das Klima-Familien-Porträt. | |
Bild: Unterschiedliche Ansichten im Detail, aber gemeinsame Ziele im Blick – … | |
## Die gütigen Großeltern | |
Damals war natürlich alles viel aufregender! Von der Klimakrise redete in | |
den Jugendjahren der heutigen Ökogroßeltern noch niemand. Den | |
Umweltverbänden wie Greenpeace, Nabu, BUND oder WWF ging es aber auch um | |
den Erhalt der Erde – und um „Gegen die da oben“! | |
Die ersten Umweltinitiativen in Deutschland wollten Anfang der 70er Jahre | |
die Expansion einer Erdölraffinerie, ein Bleichemiewerk und das [1][AKW | |
Wyhl] verhindern. In der Folge schockten die verschiedenen Bewegungen mit | |
Bildern von abgeschlachteten Robben, Waldsterben und Atomwahnsinn. Die Ökos | |
der 80er und 90er Jahre muckten auf gegen Startbahn West, Atommüll, | |
Chemiefabriken, Tropenwaldvernichtung, das [2][Ozonloch] oder die Quälerei | |
in der Tiermast, die Deutsche Umwelthilfe engagierte sich letztens | |
maßgeblich beim [3][VW-Abgasskandal]. | |
Die Szene institutionalisierte sich immer mehr, bekam 1986 von Helmut Kohl | |
im Westen sogar ein eigenes Umweltministerium spendiert, 14 Jahre später | |
als im Osten. Heute haben viele der Ökos von damals zumindest graue | |
Schläfen, aber jede Menge Einfluss – auch in Regierungsverantwortung. Es | |
ist gar nicht so leicht für die aktuellen Klimaaktivisten, den Grünen Dampf | |
zu machen, denn immerhin sagen die ja auch, sie wollten die Ziele des | |
Pariser Abkommens erreichen. Es ist wie immer in einer großen Familie: Die | |
Jungen krakeelen lautstark für ihre Ziele. Vielen Alten ist die Randale | |
zwar zu stressig, aber sie denken: Lass die mal machen, vielleicht | |
erreichen sie ja, was wir nie geschafft haben. | |
Der Deutsche Naturschutzring wurde 1950 gegründet und vertritt als | |
Dachverband 97 deutsche Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen mit | |
insgesamt 11 Millionen Mitgliedern. | |
## Der überkorrekte Onkel | |
Endlich Regeln! Na klar, die Klimakrise erfordert radikales Handeln – aber | |
deshalb in die üblichen Blockadegruppen, wo die einen gerade vom | |
Marx-Lesezirkel kommen, die anderen vom Genderdekonstruieren? | |
Gibt es bei [4][Extinction Rebellion] zwar definitiv auch – aber vor allem | |
übersichtlich durchnummeriert, genau drei Forderungen und zehn | |
Aktionsprinzipien. Damit trat die Gruppe an, um dem Rest der Familie mal zu | |
zeigen, wie das mit dem Klimaprotest eigentlich geht, denn Mitgründer | |
Roger Hallam hat das Ganze aus seiner Forschung abgeleitet. Der wollte | |
zwar auch mit antisemitischen Äußerungen Aufmerksamkeit für die Bewegung | |
erregen, die deutsche Sparte hat sich aber ausgiebig von ihm distanziert. | |
Die Rebellierenden sind freundlich zu Autofahrer:innen und zur Polizei | |
(Prinzip 8) – aber blockieren gewaltfrei Straßen gegen das Massenaussterben | |
(Prinzip 9), manchmal als „der Tod“ verkleidet und mit Kunstblut. Das | |
Bewegungsmarketing soll auch die Zahnärztin, den Grundschullehrer, die | |
Anwaltsgehilfin ansprechen. Von politisch links bis konservativ sind alle | |
willkommen (Prinzip 6). Die Idee: Wenn alle auf dem Weg zur Arbeit immer im | |
Stau stehen, steigt der Druck auf die Politik. Bis es so weit ist, müssen | |
aber vielleicht doch noch ein paar mehr Rebell:innen rekrutiert werden. | |
Und wann war überhaupt die letzte große XR-Aktion? Das Wichtige (neben dem | |
Verhindern des menschlichen und sonstigen Aussterbens, Prinzip 1): Hier hat | |
alles seine Ordnung. | |
Extinction Rebellion wurde 2018 in Großbritannien gegründet. Dort hat die | |
Bewegung auch schon Tausende auf die Straße gebracht, in Deutschland sind | |
die Proteste bisher eher kleiner. | |
## Die aufsässige Tante | |
Wo geht’s hier eigentlich zur Revolution? Ach so, gibt’s noch nicht, na | |
dann packen wir mal an – und rein in die Maler:innenanzüge. Auch wenn man | |
bei [5][Ende Gelände] natürlich denjenigen skeptisch gegenübersteht, die | |
damit wirklich schicke Klamotten schützen wollen. Solche Spießer:innen! | |
Auch die ausgrenzungslose Gesellschaft hat ihre Grenzen. | |
Aber zurück zu den Anzügen: Es gibt einfach ein großartiges Bild ab, wenn | |
Tausende in einheitlicher Kleidung in den Kohletagebau strömen, durch die | |
Polizeiketten fließen und einen Ort der Zerstörung besetzen. Endlich nicht | |
mehr nur demonstrieren und hoffen, dass irgendwer, der an irgendeinem Hebel | |
sitzt, die Schilder liest. Nein, den eigenen Körper zwischen Gesellschaft | |
und Fossilwahnsinn zu stellen, das fühlt sich groß an und mächtig, das hat | |
zumindest kurzzeitig praktische Folgen. Mit etwas Glück raucht das nahe | |
Kohlekraftwerk ein paar Stunden lang nicht, und ein, zwei Tage mediale | |
Aufmerksamkeit sind auch gewiss. | |
Anders als bei der Straßenblockade stört man nicht die Pendlerin auf dem | |
Weg zur Arbeit, sondern den Kohlekonzern bei seiner Profitmaximierung. Auf | |
die Polizei sind viele bei Ende Gelände nicht gut zu sprechen. Man lässt | |
sich eben nur eine gewisse Anzahl Schlagstockschläge gefallen, bevor man | |
die Sache persönlich nimmt. Aber es geht auch ums Grundsätzliche, und zwar | |
immer. CO2-Emissionen reduzieren ist kein Selbstzweck. Das gute Leben für | |
alle kann es nur ohne Kapitalismus, Patriarchat, Rassismus, Kolonialismus | |
und die anderen Unterdrückungsmechanismen geben. Früher schloss die | |
Bewegung jegliche Gewalt aus, jetzt – wie zuvor etwa schon die | |
Splittergruppe Sand im Getriebe – nur noch gegenüber Menschen. Der eine | |
oder andere Kohlebagger könnte also als Ersatzteillager herhalten. Für eine | |
wirklich revolutionäre Schraubensammlung. | |
Ende Gelände startete 2015 die erste große Aktion und besetzte Teile des | |
Kohletagebaus Garzweiler in Nordrhein-Westfalen. In den Folgejahren gab es | |
immer wieder Aktionen mit bis zu 5.000 Teilnehmer:innen. | |
## Die starke Schwester | |
Mitlaufen okay – aber bitte in die richtige Richtung: [6][Fridays for | |
Future] ist groß und will alle mitnehmen. Hopphopp, wer nicht hüpft, der | |
ist für Kohle. Die Streikenden wurden zwar von Corona ausgebremst, bleiben | |
aber die bekannteste Klimagruppe. | |
Seitdem Greta Thunberg an einem Freitag im August 2018 vor dem schwedischen | |
Parlament ihr berühmtes „Skolstrejk för klimatet“-Schild ausgepackt hat, | |
tun es ihr Tausende Schüler*innen nach. Mit Wortführer*innen wie | |
Luisa Neubauer und Jakob Blasel brachte die Bewegung einige Monate lang | |
erstaunliche Faktenkenntnis in jede Talkshow – und CDU und SPD dazu, ein | |
Klimaschutzgesetz zu verabschieden (das später mangels Klimaschutz vom | |
Bundesverfassungsgericht kassiert wurde) sowie den Kohleausstieg | |
einzuleiten (der abgeschlossen ist, wenn Bochum Temperaturen wie Neapel hat | |
oder so). | |
Das ist mehr, als viele anderen Klimaschützer:innen von sich behaupten | |
können. Bei der Bundestagswahl 2021 sind sogar ein paar | |
Freitagsdemonstrierende ins Parlament eingezogen. Wer Bock auf einen Job in | |
der Politik hat: Am ehesten wird das hier was. | |
Neben dem Schilderbasteln, SUV-Fahrer*innen-Anpöbeln und Nachschreiben von | |
verpassten Klassenarbeiten kann man sich bei FFF hervorragend mit | |
Flügelkämpfen die Zeit vertreiben. Die werden bevorzugt in den | |
abertausenden Whatsapp- und Telegram-Gruppen ausgetragen und lassen sich | |
bei einer solch großen Gruppierung mit basisdemokratischem Anspruch auch | |
nicht verhindern. | |
Bonus: Während die selbst erklärte Mitte der Gesellschaft dich für eine | |
baumknutschende Kommunistin hält, kannst du dir des Hochmuts der | |
radikaleren Seite der Familie sicher sein. Für sie bist du zu moderat, | |
kompromissbereit … und sowieso, dieses Streiken, damit kommt man doch auch | |
nicht mehr in die „Tagesschau“. Immerhin: Wenn FFF zum globalen Klimastreik | |
aufruft, machen auch überregionale Tageszeitungen eine Klimaspezialausgabe. | |
Als Fridays for Future demonstrieren seit 2018 vor allem Schüler*innen | |
und Studierende freitags für den Klimaschutz. Im Sommer 2019 mobilisierte | |
FFF Hunderttausende. | |
## Die kauzige Cousine | |
Viele haben sie, diese etwas zu exzentrische Cousine. Mit der man auf der | |
Familienfeier dann doch irgendwann zu diskutieren anfängt. Bis das Gespräch | |
ins Stocken gerät, weil sie zum fünften Mal betont, dass wir bald alle | |
verhungern werden. Und weil sie die Vorteile eines Essen-retten-Gesetzes | |
erklärt, obwohl ihr da ja schon alle zugestimmt haben. | |
Manchmal kommt sie mit einem Jutebeutel voll containertem Essen zum | |
Familientreff, das sie dann überall auf dem Tisch zwischen Omas | |
Kartoffelsalat und Hackbraten verteilt. „Wir müssen unser Essen retten, um | |
unser Leben zu retten“, murmelt sie dabei mantramäßig vor sich hin. Dann | |
geht sie sich noch mal kurz den Alleskleber von den Händen waschen. Oder | |
ist das der Senf aus dem Containernpaket? | |
Manchmal trifft man sie auch auf der Straße (meistens in der Nähe von | |
Autobahnausfahrten), sie zieht kurz den Kopf ein, grüßt dann aber doch. Ist | |
schließlich Familie. Grundsätzlich ist man sich ja einig. Und ein bisschen | |
tut sie einem auch leid. Kann schließlich nicht einfach sein, so als | |
Tochter des überkorrekten Onkels. Richtig Revolte ist ja heute fast | |
unmöglich: Straßen- und Flughafenblockaden schockieren ihren Papa längst | |
nicht mehr. Da muss schon ein Hungerstreik her. Und konkrete Forderungen. | |
Mehr Druck gegen die Regierung. Nimmt denn diese Familie die Klimakrise | |
überhaupt so richtig ernst? Wenigstens lassen sich alle die containerten | |
Gurken schmecken. Schön grün, oder? | |
Den „[7][Aufstand der letzten Generation]“ gibt es seit Ende 2021, er ging | |
aus dem einige Monate zuvor absolvierten „Hungerstreik der letzten | |
Generation“ hervor. Anfang des Jahres blockierten 50 bis 100 | |
Aktivist:innen fast täglich Autobahnen bei verschiedenen Städten. Sie | |
fordern ein Essen-retten-Gesetz und kippen bei ihren Protesten containerte | |
Lebensmittel auf die Straße. | |
24 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
Jonas Waack | |
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