# taz.de -- Angst vor Putins Russland: Alte Wunden | |
> Hunderttausende Menschen flüchten aus der Ukraine in die Republik Moldau. | |
> Dort wächst die Sorge, dass Putins Truppen weitermarschieren werden. | |
Bild: Namensgeber des von der Republik Moldau abtrünnigen Gebiets Transnistrie… | |
11.21 Uhr: „Hilfe, bitte. Wir sind seit 24 Stunden unterwegs. Wir sind neun | |
Menschen, davon sechs Erwachsene und drei Kinder. Wo können wir schlafen?“ | |
11.27 Uhr: „Eine Frau und vier Kinder sowie zwei Frauen und ein Mädchen. | |
Wir sind in Edineț und brauchen dringend einen Schlafplatz in Chişinău. | |
Unklar, für wie lange.“ | |
11.40 Uhr: „Frau mit großem Hund. Brauche einen Ort zum Bleiben.“ | |
Es ist der 4. März 2022, Tag 9, seitdem [1][Putins Russland die Ukraine | |
angegriffen] hat. Olga scrollt durch die digitalen Hilfeschreie in einem | |
Telegram-Kanal. Die Ärmel ihrer Trainingsjacke hochgekrempelt starrt sie | |
auf einen Laptop, der auf einer langen Tischreihe steht, um sie herum | |
weitere junge Menschen, alle zwischen 20 und 40 Jahre alt. Sie tippen auf | |
Tastaturen, telefonieren, laufen hin und her auf dem roten Teppich und vor | |
den langen Fensterreihen mit schweren Vorhängen. | |
Chişinău, die Hauptstadt der Republik Moldau, hat sich seit Kriegsbeginn | |
zum sicheren Hafen für viele Flüchtende aus der Ukraine entwickelt. Die | |
Stadt liegt nur rund 100 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. Bis | |
[2][Odessa, wo sich die Menschen vor Angriffen durch russische Raketen und | |
Panzer wappnen], sind es nur 150 Kilometer. | |
Nach Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks haben bislang mehr als 100.000 | |
Menschen aus der Ukraine [3][in Moldau Schutz gefunden]. Im Empfangssaal | |
des Regierungsgebäudes in Chişinău haben Freiwillige eine Hilfsorganisation | |
eingerichtet, die Regierung hat ihnen den Raum überlassen. Von hier aus | |
organisieren sie Essen, SIM-Karten, Schlafplätze, Transport und erste Hilfe | |
für die Flüchtenden. | |
Auch Olga ist seit Kriegsbeginn jeden Tag hier. Ihren Nachnamen möchte sie | |
nicht nennen, sie will angesichts der Lage nicht zu sehr in der | |
Öffentlichkeit stehen, wie so viele, mit denen man in diesen Tagen in | |
Moldau spricht. Nur so viel: „Normalerweise“ arbeite sie in einer | |
Bildungsorganisation. Nun vermittelt sie Schlafplätze für diejenigen, die | |
seit Tagen auf den Beinen sind. | |
Nur: Wie lange noch? Müssen sie und die anderen Freiwilligen vielleicht | |
selbst bald fliehen? Denn die Republik Moldau ist nicht nur wegen ihrer | |
Nähe zum Krieg in einer besonderen Position. Im Osten der Republik liegt | |
lang gezogen und durch den Fluss Dnister abgetrennt, die Provinz | |
Transnistrien mit etwa einer halben Million Menschen. Sie hat sich mit dem | |
Zerfall der Sowjetunion in einem militärischen Konflikt, der erst durch das | |
Eingreifen russischer Truppen 1992 beendet wurde, für unabhängig erklärt. | |
Seither [4][agiert das Gebiet autonom], mit eigener Währung – dem | |
transnistrischen Rubel –, eigener Regierung, eigenem Militär. Obwohl von | |
keinem UN-Staat der Welt anerkannt, unterstützt Russland die Provinz mit | |
Investitionen in die Infrastruktur und günstigem Gas. Es bestehen enge | |
Verwandtschafts- und Arbeitsbeziehungen. Russland erleichterte die Vergabe | |
russischer Pässe seit den 2000er Jahren; heute hat etwa die Hälfte der | |
Bevölkerung Transnistriens einen russischen Pass. Zudem sind noch immer | |
etwa 1.300 russische Soldaten in dem Gebiet stationiert. | |
## Ein roter Pfeil zeigt von Odessa nach Transnistrien | |
Am achten Tag des Ukrainekriegs präsentierte der belarussische Präsident | |
Alexander Lukaschenko vor seinem Sicherheitsrat eine Militärkarte, auf der | |
die geplanten Truppenbewegungen in der Ukraine mit roten Pfeilen | |
eingezeichnet waren. Ein von offizieller Seite veröffentlichtes Video zeigt | |
diesen Moment. Darauf auch zu sehen: Ein roter Pfeil auf der Karte zeigt | |
von Odessa nach Transnistrien. | |
Das hat die Sorge verstärkt, dass russische Truppen sich über Mariupol und | |
Odessa bis nach Transnistrien vorarbeiten könnten – und Wladimir Putin dann | |
auch vor der gesamten Republik Moldau nicht Halt machen könnte. | |
„Ich fürchte seit dem ersten Tag, dass Moldau als Nächstes an der Reihe | |
ist“, sagt Olga. Den Einmarsch russischer Truppen in die transnistrische | |
Hauptstadt Tiraspol hält sie für vorstellbar. Während sie sich durch die | |
Telegram-Gruppe mit den Flüchtlingsnachrichten scrollt, hält sie manchmal | |
kurz inne. Als müssten die Eindrücke erst einen Platz finden, an den sie | |
gehören. Bis vor drei Wochen gab es diesen Platz nicht mal, nun ist der | |
Krieg nah. „Ich bin eigentlich nur noch im Land, weil ich bei meinen | |
Großeltern bleiben will“, sagt Olga. „Sie sind alt und brauchen mich.“ | |
Die Augen der 36-Jährigen werden feucht, wenn sie darüber spricht, sie | |
dreht sich weg. Ohne ihre Großeltern hätte sie sich bereits auf den Weg ins | |
[5][Nachbarland Rumänien] gemacht, hinein in die Europäische Union. | |
„Niemand weiß, wie Putin gerade denkt“, sagt sie. | |
„Und [6][wenn Putin sich noch die ganze Republik Moldau holen] wollte“, | |
sagt eine andere Freiwillige, „wäre das für ihn eine Sache von einer halben | |
Stunde.“ Tiraspol und Chişinău liegen nur 70 Kilometer auseinander. | |
## „Wir sind der fragilste Nachbar der Ukraine.“ | |
Einer militärischen Intervention hätte die Republik Moldau wenig | |
entgegenzusetzen. „Wir sind kein großes Land, wir haben keine große Armee | |
und auch kein ausgefeiltes Equipment“, sagte der Minister für Auswärtige | |
Angelegenheiten und Europäische Integration, Nicu Popescu, vergangene Woche | |
bei einer Pressekonferenz. „Wir sind der fragilste Nachbar der Ukraine.“ | |
Hinweise für eine militärische Kooperation zwischen Russland und | |
Transnistrien in diesem Krieg gibt es bisher nicht. Flüchtende aus der | |
Ukraine wurden in der Provinz aufgenommen, Politiker zeigen sich | |
öffentlichkeitswirksam in Sammelunterkünften, wie Medien berichten. Und | |
auch offiziell äußern sich Mitglieder der Provinzregierung nicht | |
befürwortend oder kritisch zum russischen Einmarsch. Man sei an einer | |
Lösung interessiert, die Stabilität und Frieden fördere, heißt es. | |
Die Situation beunruhigt aber die Regierung Moldaus. Seit Kriegsbeginn ist | |
der Luftraum gesperrt und der Ausnahmezustand verhängt, Demonstrationen | |
oder andere Versammlungen sind verboten. Die Regierung nehme „alle | |
möglichen Bedrohungslagen“ ernst, sagt Außenminister Popescu. | |
Zudem sucht die Regierung seither mehr denn je die Nähe zum Westen. | |
[7][Staatspräsidentin Maia Sandu] traf sich in den vergangenen zwei Wochen | |
mit dem Außenminister der USA, Antony Blinken, sowie mit der deutschen | |
Außenministerin Annalena Baerbock, um über Unterstützung im Umgang mit den | |
Flüchtenden zu sprechen. Und genau eine Woche nach dem Einmarsch russischer | |
Truppen in die Ukraine unterzeichnete Sandu das Beitrittsgesuch zur | |
Europäischen Union. „The time is now“, [8][schrieb sie dazu auf Twitter]. | |
„Die Anbindung an die EU ist längst überfällig“, sagt eine Freiwillige im | |
improvisierten Hilfszentrum. Und auch in Gesprächen auf den Straßen von | |
Chişinău, in den Kaffeehäusern oder in den Bussen wird deutlich, dass viele | |
diese Aussage unterstützen. Vor dem Regierungsgebäude wehen zwei Flaggen: | |
die der Republik Moldau und die der EU. | |
Doch nur wenige Kilometer von Chişinău entfernt bricht dieser Eindruck. | |
Hinter der Stadtgrenze wechseln sich schwarzerdige Äcker mit Weinreben ab, | |
dazwischen tauchen Dörfer auf, deren Häuser klein und unverputzt sind, an | |
vielen der hölzernen Fensterläden blättert die Farbe. Zwei oder drei | |
Häuserreihen sind es meist nur, danach wieder: Landschaft. | |
## „Der Schritt in Richtung EU ist eine Katastrophe!“ | |
In einem dieser Dörfer steht hinter einer Kühltheke voller eingeschweißter | |
Suppenhühner eine Verkäuferin, Dora heißt sie. „Der Schritt von Maia Sandu | |
in Richtung EU ist eine Katastrophe!“, sagt sie und zieht ihre Hände aus | |
der Kittelschürze, um ihre Worte mit Gesten zu unterstreichen. „Wir sollten | |
jetzt nicht zusätzlich eskalieren!“ | |
Dora lebt in Kongaz, ein paar Kilometer südlich von Komrat, der Hauptstadt | |
von Gagausien. Die Provinz wird mehrheitlich von der Volksgruppe der | |
Gagausen bewohnt, einem Turkvolk, dem weltweit etwa 200.000 Menschen | |
angehören, die Mehrheit lebt in Moldau. Ähnlich wie Transnistrien hat sich | |
auch Gagausien nach dem Zerfall der Sowjetunion als autonome Provinz | |
erklärt. Doch anders als im Falle Transnistriens eskalierte der Konflikt | |
hier nicht, eine diplomatische Lösung wurde gefunden. Die Provinz ist | |
seither Teil der Republik mit weitreichender Autonomie. Russisch ist hier | |
eine von drei Amtssprachen, russische Medien sind allgegenwärtig, viele | |
Menschen haben Verwandtschaftsbeziehungen nach Russland. Die prorussische | |
Gouverneurin Irina Vlah regiert die Provinz seit 2015; sie gewann die Wahl | |
mit großem Vorsprung. | |
„Ich wurde in der Sowjetunion geboren“, erzählt Dora. „Damals haben wir | |
wirklich gelebt. Wir sind morgens aufgewacht und hatten Arbeit.“ Sie trägt | |
die Haare mit einem Tuch zusammengebunden. Man sieht ihr an, dass sie viel | |
draußen gearbeitet hat. „Heute wachen wir auf und haben nichts“, sagt sie, | |
dabei dreht sie die Handflächen zur Decke. | |
Die Wirtschaft in der Republik Moldau gehört zu den schwächsten auf dem | |
europäischen Kontinent. 1990 lebten hier noch knapp 3 Millionen Menschen, | |
heute sind es etwa 2,5 Millionen. Besonders in den landwirtschaftlich | |
geprägten Regionen leidet die Wirtschaft [9][unter der Abwanderung], wie | |
auch hier in Gagausien. | |
„Ich fände es gut, wenn wir mit Gagausien und Transnistrien zusammen näher | |
an Russland rücken würden“, sagt Dora. „Mit der jetzigen Regierung ist | |
einfach alles zu teuer.“ Gas, Benzin, Lebensmittel. Russland hingegen habe | |
hier investiert, vor allem in Busse, Krankenwagen, Mülltransporter. Hinter | |
Dora, an der Wand in einem Gewürzregal, hängt [10][ein kleines | |
orange-schwarz gestreiftes Bändchen]: Das Sankt-Georgs-Band, ein russisches | |
Militärabzeichen. Es gilt als Unterstützungssymbol für den Kurs Wladimir | |
Putins. | |
Dora ist mit ihrer Meinung nicht allein. Die Mehrheit der Menschen in | |
Gagausien unterstützt die russische Linie, niemand spricht von „Krieg“ oder | |
„Invasion“, sie nennen es „Spezialoperation“ oder „Befreiung von den | |
Nationalisten in der Ukraine“ – identische Worte wie in Putins Propaganda. | |
Und nicht nur in Transnistrien oder Gagausien ist das so. Vor allem im | |
Norden des Landes genießen prorussische Politiker und Politikerinnen hohe | |
Zustimmung. | |
Wie zum Beispiel Igor Dodon. Der Kandidat der Sozialisten hatte die | |
Präsidentschaftswahl 2016 mit 52 Prozent der Stimmen gewonnen. Drei Jahre | |
später wurde Dodon vom Verfassungsgericht abgesetzt – er hatte nach der | |
Parlamentswahl eine Regierung vereidigt, die nicht innerhalb der | |
festgelegten Frist zustande gekommen war. Es folgte eine Stichwahl um die | |
Präsidentschaft, darin unterlag er Maia Sandu. Überwunden scheint das | |
nicht: „Unter Dodon war vieles besser“, sagt Dora. | |
## Ein Konflikt um die Zugehörigkeit zu Ost oder West | |
Prorussisch, proeuropäisch – in vielen Gesprächen wird diese Zuordnung | |
deutlich. Was, wenn die Gefahr für Moldau nicht durch russische Panzer | |
droht, die in die transnistrische Hauptstadt Tiraspol einfahren? Sondern | |
dadurch, dass der Krieg in der Ukraine einen 30 Jahre lang „eingefrorenen“ | |
Konflikt innerhalb Moldaus neu entfacht? Einen Konflikt um die | |
Zugehörigkeit zu Ost oder West. | |
An einem Ort wie Coșnița werden diese Bedenken greifbar. 30 | |
Straßenkilometer nordöstlich von Chişinău steht Gafeli Alexei im Rathaus | |
der kleinen Gemeinde vor einem meterlangen Satellitenbild. Er ist der | |
Bürgermeister hier, früher gehörte er den Sozialisten an, also der | |
prorussischen Bewegung um Dodon, heute ist er parteilos. Sein Hemd und die | |
Bügelhose sitzen wie maßgeschneidert, sein Haarschnitt ist akkurat. | |
„Wir sind hier“, sagt er und deutet mit der Hand auf zwei braune Kleckse, | |
die inmitten von sattem Grün liegen: Coșnița und Pohrebea. Dann fährt er | |
mit der Hand einen bläulichen Bogen entlang, der die beiden Kleckse fast | |
umschließt. „Das hier ist der Grenzfluss Dnister.“ Er hält mit seiner Hand | |
über einer geraden Straße weiter östlich inne, auf der eine gestrichelte | |
Linie zu sehen ist. „Und von hier kam der Feind.“ | |
Der Dnister markiert die Grenze zwischen der abgespaltenen Provinz | |
Transnistrien im Osten und dem Rest der Republik Moldau im Westen. Doch | |
nicht hier: Coșnița, die umliegenden Dörfer und insgesamt etwa 65 | |
Quadratkilometer Land liegen östlich des Dnister – und gehören dennoch | |
nicht zu Transnistrien. | |
In der militärischen Auseinandersetzung um die Abspaltung fanden in dieser | |
Region zwischen 1991 und 1992 die größten Kämpfe zwischen moldauischen | |
Truppen und Zivilisten auf der einen und der transnistrischen Regierung | |
sowie Milizen auf der anderen Seite statt. Die Bevölkerung von Coșnița und | |
dem Nachbardorf Pohrebea kämpften für die Zugehörigkeit zur Republik | |
Moldau. Dabei kamen Zivilisten und Soldaten auf beiden Seiten ums Leben. | |
Erst als im Sommer 1992 die russische Armee eingriff, ruhten die Waffen im | |
Transnistrienkrieg. | |
Seither leben die Menschen in der Grenzregion ohne nennenswerte Konflikte | |
nebeneinander, die Checkpoints sind für Einheimische offen. „Wir haben zwar | |
auf behördlicher Ebene keinen Kontakt mit Transnistrien“, sagt | |
Bürgermeister Gafeli Alexei. „Aber die Bürger stehen in engem Austausch.“ | |
Familien, Verwandte, Freunde. Auf dem Parkplatz vor dem Verwaltungsgebäude | |
stehen viele Autos mit transnistrischer Flagge auf dem Kennzeichen: grüner | |
Streifen auf rotem Untergrund, dazu Hammer und Sichel. | |
Sie ließen hier ihre moldauischen Pässe erneuern, sagt Alexei. Zudem | |
befinden sich auf transnistrischer Seite rund 1.000 Hektar Land, die | |
Landwirten aus Coșnița gehören. Eine Vereinbarung zwischen Transnistrien | |
und Moldau sichert den Landwirten zu, dass sie das Getreide im Herbst aus | |
Transnistrien herausholen dürfen. | |
Doch seit Beginn des Krieges herrscht Unsicherheit, berichtet Gafeli | |
Alexei. Im Sommer endet turnusgemäß die Vereinbarung zur Getreideausfuhr. | |
Neue Verhandlungen über die nächsten fünf Jahre seien noch nicht gestartet, | |
sagt Alexei. Das sei ungewöhnlich. Die Landwirte wüssten deshalb nicht, ob | |
sie das Getreide, das sie nun aussäen, im Herbst einholen dürfen. Was, wenn | |
hier erneut so etwas wie ein Kalter Krieg im Kleinen droht? „Die | |
Bevölkerung fürchtet, Coșnița könnte von der Republik Moldau abgeschnitten | |
werden.“ So wie damals, als die transnistrischen Truppen die Brücke auf die | |
westliche Seite des Dnister und damit den einzigen Zugang nach Moldau | |
sprengten. | |
Vasili Tenentiev im Nachbardorf Pohrebea hat das miterlebt. Auf Fotos | |
möchte er nicht zu sehen sein, seine Orden hingegen zeigt er gern. In | |
Sandalen, Jogginghose, Pullover und Wollmütze führt er über einen erdigen | |
Pfad hinunter, vorbei an windschiefen Ställen und Schuppen. Tenentievs Haus | |
steht direkt unterhalb einer zerbombten orthodoxen Kirche. Sie ist das | |
Wahrzeichen von Pohrebea, wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt, dann | |
noch mal beim Konflikt um Transnistrien. Restauriert wurde sie seither | |
nicht. | |
In einem Raum am Ende des Gangs liegt eine Uniform auf einem Sofa, | |
ordentlich ausgebreitet, als würde Tenentiev jederzeit darauf warten, dass | |
sie jemand sehen will. Sieben Orden zieren das linke Revers. „Für meine | |
Zeit bei der Polizei, für eine Spezialoperation, für den Krieg …“, zählt… | |
auf. | |
Tenentiev hat bis zur Rente als Polizist gearbeitet, auch er hat im Krieg | |
um Transnistrien gekämpft. „Ich wurde von einer Mine verletzt“, sagt er. | |
„An der Schulter und am Fußgelenk.“ Als er damals in Pohrebea gestanden | |
habe mit der Waffe in der Hand, habe er nur Angst und Hass gespürt. Je mehr | |
er davon spricht, desto brüchiger wird seine Stimme. „Viele meiner Freunde | |
sind damals gestorben.“ Dann schweigt er lange, sein Blick irrt umher. | |
„Auch damals hätte niemand gedacht, dass wir mit unseren Nachbarn Krieg | |
führen“, sagt Tenentiev. „Und trotzdem ist es passiert.“ Wladimir Putin … | |
vielleicht einfach verrückt geworden, sagt er. Und die Menschen in Russland | |
und Transnistrien würden ihm glauben, ihm „wie Zombies“ folgen. Dass | |
Präsidentin Maia Sandu nun die Nähe zur Europäischen Union sucht, findet | |
Tenentiev gut. „Nur, was ist mit uns?“, fragt er. „Wo sollen wir hin, wenn | |
Transnistrien das als Aggression versteht?“ | |
Anzeichen dafür gibt es. Kurz nach Beginn des Krieges und damit vor dem | |
EU-Beitrittsgesuch kritisierte der De-facto-Außenminister von | |
Transnistrien, Witali Ignatjew, gegenüber russischen Medien die Haltung der | |
Republik Moldau: „Die militärpolitische Entwicklung Moldawiens durch | |
Rumänien, die Vereinigten Staaten und die Nato provoziert eine ständige | |
Verschärfung der Restriktionen gegenüber Transnistrien“, sagte Ignatjew. | |
Dabei benutzte er den umgangssprachlich häufig verwendeten Landesnamen | |
„Moldawien“, der auf die abgekürzte russische Übersetzung der ehemaligen | |
Sowjetrepublik zurückgeht. Das Land ignoriere Verhandlungsinstrumente, so | |
Ignatjew weiter, und werde „direkt vom Westen kontrolliert“. | |
Die Fronten scheinen sich vor der Kulisse des Ukrainekrieges zu verhärten. | |
Alte Wunden werden aufgerissen. Und die Spannungen verunsichern nicht nur | |
die Bevölkerung Moldaus – sondern noch viel mehr diejenigen, die sich hier | |
in Sicherheit gebracht haben. | |
Wie Anastasia und Ana. In Coșnița, ein paar Hundert Meter vom Büro des | |
Bürgermeisters entfernt, sitzen sie auf den Betten eines Zimmers im | |
Schullandheim. Vor zwei Tagen sind sie aus Odessa gekommen mit ihren drei | |
Kindern und zwei Katzen. Nun blicken sie nicht mehr auf das Schwarze Meer, | |
sondern auf den Dnister. Wenige Meter neben der Sammelunterkunft fließt er | |
entlang. | |
„Wir verfolgen, wie sich der Krieg entwickelt“, sagt Ana. Jeden Tag seien | |
sie in Kontakt mit ihren Ehemännern und Brüdern. Sprechen mit ihnen, wie | |
viele Lebensmittel es noch gibt, ob in der Nacht wieder die Sirenen vor | |
Bombenangriffen gewarnt haben. Aber auch die Situation in Moldau hätten sie | |
im Blick. „Ob wir weiter nach Westen fliehen, wissen wir noch nicht. Angst | |
macht es uns schon“, sagt Ana. „Wir hoffen, Moldau wird nicht involviert.“ | |
Ein Zufall, dass Ana und Anastasia gerade jetzt in Coșnița angekommen sind: | |
Am 14. März hat die Gemeinde des blutigen Konflikts um ihr Gebiet östlich | |
des Dnister gedacht. Der Gedenktag jährt sich zum 30. Mal. | |
Mitarbeit: Mircea Baștovoi | |
19 Mar 2022 | |
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